Die Neuentdeckung des Westerns?
Nun ist die Reanimierung dieses altehrwürdigen Genres bereits ein alter Hut. Clint Eastwood schaffte mit „Erbarmungslos“ 1992 ein kurzes Aufflammen und bewies, dass der Western auch heute seine Berechtigung hat. Sam Raimi schaffte 1995 mit „Schneller als der Tod“ einen langjährigen Lieblingsfilm von mir und scharrte dabei eine beachtliche Anzahl an glänzenden Darstellern um sich. Der Western war nie Tod, er schläft nur hin und wieder.
So erweckt ausgerechnet Quentin Tarantino das Genre um Cowboys und Prärie aus dem Schlaf. Nach einer abscheulichen, jedoch bejubelten, Kriegsgroteske gibt es nun „Django Unchained“. Wieder eine Hommage und man hofft nur noch, dass sich Tarantino irgendwann selbst eine spendiert, um so erneut zu den Wurzeln seines Schaffens zu kehren. Solange dreht er einen (finanziellen) Knaller nach dem anderen. Wenn die Leute in einen Tarantino gehen, wissen sie mittlerweile was sie bekommen. Im Vergleich zu den früheren Werken gibt es stets die selben Zutaten, nur sind es nach der Zeit wesentlich mehr Zuschauer geworden. Das merkt man dem „neuen“ Tarantino (leider) auch an.
Entgegen dem Original ist Django ein schwarzer Sklave, welcher von einem deutschen Zahnarzt befreit wird. Der Zahnarzt stellt sich als Kopfgeldjäger Schultz heraus und benötigt Django zur Identifikation neuer Zielpersonen. Schnell nimmt Dr. King Schultz den aufstrebenden Helden unter seine Fittiche und lehrt ihn die Kunst des Tötens für Geld. Dabei versuchen sie mit vereinten Kräften Django's Frau aus den Händen eines großen Sklavenhalter-Tiers zu befreien – ein schweres Unterfangen.
Dieses schmale Storygerüst wird in satten 160 Minuten zelebriert und, wie nicht anders zu erwarten, meilenweit gestreckt. Unendliche Dialog- bzw. Sülzpassagen sollen mal wieder dem billigen Plot Glanz bescheren, nur um dann im nächsten Moment durch Kugelgewitter erschüttert zu werden. Bei „Django Unchained“ ist das nicht anders. Nur irgendwie mündeten die Dialoge mir wesentlich besser, als bei schlimmeren Ausfällen (siehe „Inglourious Basterds“). Ich badete regelrecht in der Konversation eines grandios aufgelegten Di Caprio (welcher auch in „Schneller als der Tod“ sehenswert war) und dem Herrn Waltz. Kein Wunder also, dass ich die Szenen im Anwesen des Sklavenhändlers Candle (Di Caprio) als die Besten im gesamten Film sehe. Samuel L. Jackson setzt der Szenerie endgültig die Krone auf. Als verschlagener Obersklave in Beraterfunktion glänzt er und sieht wirklich aus wie ein Mann mit 76 Lenzen.
Wichtig bei jedem Tarantino-Knaller ist: Der Cast! Erstmal die beste Nachricht vorweg: Til Schweiger spielt nicht mit, wobei er zweifellos Westernerfahrung besitzt. Man denke nur an seinen legendären Auftritt, in dem modernen Klassiker des Fremdschämkinos „Lucky Luke gegen die Daltons“. So brilliert erneut ein anderer deutschsprachiger Schauspieler und stiehlt (wie bei den „Basterds“) allen die Show.
Christoph Waltz – die neue Lebensversicherung des Quentin Tarantino? So weit hergeholt ist das nicht. Waltz trägt den Film weite Strecken allein und lässt Titelheld Django (Jamie Foxx) alt aussehen. Obgleich Waltz in diesem Film die Rolle des „Befreiers“ und „Helfers“ spielt, ähnelt sein Auftreten sehr an seinen Durchbruch in „Inglourious Basterds“. Dennoch erhielt Waltz, erneut völlig verdient, sämtliche Auszeichnungen. Jamie Foxx ist allerdings bei weitem nicht so farblos wie Brad Pitt im Vorgängerwerk und so trumpft Foxx besonders am Ende auf. Generell gibt es bei „Django Unchained“ viele grandiose Darsteller zu sehen. Wie bereits erwähnt ist Di Caprio erneut der absolute Gott, als homo-erotisch anmutender Sklavenhalter. Don Johnson spielt auch mit und setzt die amüsanten Akzente im Film. Diese sind u.a. zu erkennen in Kommunikationsschwierigkeiten mit seinen weiblichen Sklavinnen, als auch mit der mühevollen Beschäftigung, was die Schneiderarbeiten für spezielle Kapuzen angeht. Der Kurzauftritt von Original-Django Franco Nero bietet für Cineasten ein kleines Schmankerl mit Augenzwinkern.
Typisch für Tarantino ist der übermäßig häufige Gebrauch des N-Wortes in seinen Filmen. Die Sklaventhematik ist somit der goldene Präsentierteller für sämtliche blumigen Variationen des N-Wortes. Aufdringlich und zuerst nervig wird geniggert was das Zeug hält. Mit steigender Laufzeit ignoriert man das allerdings und findet sich damit ab.
Es geht in seinen Filmen (ebenfalls leider) nicht mehr ums bloße töten. Ein geschichtlicher Hintergrund muss auch hier als Stütze dienen. Kurz vor dem amerikanischen Bürgerkrieg sind es nun die Sklavenhalter, die im Film ihre nachträgliche Abschlachtung verdienen. Zu dumm, das hier sämtliche geschichtlichen Fakten über den Haufen geworfen werden. Es wird fleißig mit Dynamit hantiert, bevor es überhaupt erfunden wurde etc. Aber das soll nicht weiter ins Gewicht fallen, hab nichts anderes erwartet. „Django Unchained“ soll ja ein reiner Genre-Film sein. Doch leider kommt der Streifen selten an die dreckigen Italo-Western heran, die als Vorbild dienten. Lediglich die Vollbärte könnten als schmutzig bezeichnet werden. Vieles wirkt nett und auf Hochglanz poliert. Sklavenkämpfe werden nicht im dreckigen Sand ausgetragen, sondern auf dem heimischen Parkettboden. Gladiatorenkämpfe für Gentlemen, garniert mit herrlich sonnigen Südstaatenbilderbuchlandschaften – schön!
In der Gewaltdarstellung kommen wir der Sache schon näher. Rote Farbeimer werden in gewohnt ausufernder Weise ausgeschüttet. Dies geschieht so drastisch, dass es schon grotesk wirkt. Jede Kugel erzeugt eine übertriebene Blutfontäne. Nach fein gesponnenen Dialogen, plötzliches erweckendes Dauerfeuer. Nach geschichtlichem Anklagen der amerikanischen Geschichte, wieder trockene abgeklärte Sprüche. Nach schöner originaler Westernmusik, wieder Hip-Hop Gedöns. Ein eigenartiger und zugleich unberechenbarer Stil, mit dem ich mich nicht anfreunden konnte – aber den meisten hat es (wie erwartet) gefallen, allein wenn man einen Blick auf die Einspielergebnisse wirft.
Tarantino ist anders und das ist sein ganzes Kapital. Er ist in einer, für einen Regisseur, traumhaften Komfortzone. Er kann gänzlich jeden Scheiß drehen und die Leute fressen aus seinen Händen. Seine Reputation ist einfach gigantisch und sicherlich wird auch der nächste Film von allen gesehen werden. Mittlerweile wird jeder noch so offensichtliche Schnitzer in seinen Filmen großzügig übersehen oder als stilistisches Mittel verballhornt. Den Segen der FSK hat der Mann aus Knoxville übrigens auch endgültig erhalten. Übertriebene Gewaltdarstellung ist bei Tarantino inzwischen Kunst und verdient stets ein lukratives blaues Siegel.
So gibt es für Tarantino hoffentlich noch viele geschichtliche Grausamkeiten, welche in eine Genre-Hommage verpackt werden und mit einer Überdosis Waltz daherkommen...
...aber irgendwie wird es langweilig.