Review

Leichte Spoiler!

Saskia und Rex sind ein junges Pärchen, das sich auf dem Weg in den Urlaub befindet. Bei einem kurzen Zwischenstop an einer Tankstelle will Saskia schnell noch ein paar Kleinigkeiten im Laden kaufen, während Rex am Auto auf sie wartet - vergeblich, denn sie ist plötzlich und völlig unerwartet wie vom Erdboden verschluckt. Ihr Freund macht sich auf die verzweifelte Suche nach ihr, ohne Erfolg. Drei Jahre später hat er immer noch keinen einzigen Anhaltspunkt, bis sich ein Fremder bei ihm meldet, der vorgibt zu wissen, wo seine Saskia steckt...
Selten genug kommt es vor, daß man heutzutage noch einen Film findet, der einem den Boden unter den Füßen wegzieht, und um so dankbarer ist der Zuschauer dann, wenn man doch noch einen solchen im Fernsehprogramm versteckt findet: „Spurlos verschwunden“ ist so ein rarer Ausnahmethriller, bitterböse und alptraumhaft zugleich, mit einer konsequent auf die Spitze getriebenen perfiden Schlußpointe, die sich seit dem ersten Ansehen vor einigen Jahren fest in meinem Kopf manifestiert hat. Das Regiewerk von George Sluizer ist aufgrund dessen eine leise vor sich hin schimmernde Filmperle der späten 80er Jahre. Schade, daß Sluizer den Verlockungen aus Hollywood nicht widerstehen konnte, dort fünf Jahre später ein beinahe identisches Remake mit Größen wie Jeff Bridges, Kiefer Sutherland und Sandra Bullock drehte und dabei das komplette Finale, das ja gerade den Reiz dieses Films ausmachte, mit einem konventionellen und harten Showdown verwässerte und somit jeder Innovation beraubte, denn alles andere als ein wenigstens halbwegs glückliches Ende kann man den Amis bekanntlich nur schwerlich zumuten. Glücklicherweise habe ich das niederländisch-französische Original zuerst gesehen.
Der Film ist ausgesprochen ruhig aufgebaut, die ersten zwanzig Minuten werden damit verwendet, dem Publikum das junge Paar mit all seinen Macken näherzubringen, bis es jäh auseinandergerissen und eine dritte Figur, die bis dahin nur am Rande erwähnt wurde, eingeführt wird - Raymond Lemorne, ein ebenso biederer und spießig wirkender wie unscheinbarer Chemielehrer und Familienvater, der einem ganz besonderen Hobby frönt: Er geht der Wirkung von Chloroform nach und erstellt dazu umfangreiche Statistiken. Und obwohl wir früh ahnen - daraus macht der Film auch gar kein großes Geheimnis -, daß dieser Mensch voraussichtlich einiges mit dem Verschwinden von Saskia zu tun hat, läßt der Regisseur bis eine Viertelstunde vor Schluß den Zuschauer im Unklaren, was denn nun genau an jenem bedeutenden Tag an der Tankstelle vor sich ging und präsentiert uns erst dann die Rückblende. Bis es soweit ist, vergehen drei Jahre der Ungewißheit, Rex hat sich eine neue Freundin (die hier eine weitaus kleinere Rolle einnimmt als Nancy Travis im US-Remake und sich ziemlich abrupt aus der Handlung verabschiedet) angelacht, freilich ohne Saskia vergessen zu können, während Raymond ein idyllisches Familienleben führt, dessen Frau Simone zwar zwischenzeitlich vermutet, ihr Ehegatte würde fremdgehen, aber diese Zweifel kann dieser ohne weitere Probleme wegwischen. Doch dann meldet er sich eines Tages bei Rex und gibt an, ihm erzählen zu können, was Saskia damals widerfahren ist - unter einer Bedingung, die Rex kaum ablehnen kann. Ich will das gar nicht näher ausführen, aber alles dreht sich um die Frage: Kann Rex es verkraften, sein Leben lang im Ungewissen über das Schicksal seiner Ex-Freundin zu bleiben? Dies fragt sich nicht nur Rex, sondern auch der Zuschauer. Wie würden wir reagieren, wenn wir in seiner Lage stecken würden? Würden wir sein Angebot annehmen oder nicht? - Eine wirklich aufregende Angelegenheit, und obgleich „Spurlos verschwunden“ ohne hastige Action inszeniert wurde, schafft Sluizer es immer wieder, dem Betrachter höchste Aufmerksamkeit abzugewinnen, gerade weil Rex‘ verzweifelte Situation und das Mysterium Raymond zu interessant sind, um in irgendeiner Form zu langweilen.
Letztendlich gibt es eine überdeutliche Antwort auf die oben angegebene Frage - und die fällt wahrhaft überraschend aus, denn die Wahrheit ist grausam-markerschütternd-abgründig (jedes nur denkbare sinnverwandte Wort paßt hier) und vor allem eins: Gänzlich unversöhnlich! Die Schlußeinstellung verstärkt diesen Eindruck nochmals.
Diese abschließenden zehn Minuten sind schlichtweg absoluter Wahnsinn; beim ersten Mal stockte mir der Atem, und es war mir nicht ohne weiteres möglich, zur Tagesordnung überzugehen. Wie sagt man so schön umgangssprachlich? Das Ende haut rein, folglich sind Nachwirkungen für all diejenigen vorprogrammiert, die sich von Anfang an auf diesen Thriller eingelassen haben. Es ist also nicht übertrieben, wenn in Filmbesprechungen die Warnung „Achtung: Nach diesem Film werden Sie nicht ruhig schlafen!“ (TV Spielfilm) angegeben wird - in der Tat trifft diese Aussage voll und ganz (zumindest bei mir) den Nagel auf den Kopf. Ohne jeden Zweifel!
Die Darstellerriege ist mir völlig unbekannt, was aber auch nichts daran ändert, daß die Leistungen durch die Bank weg überzeugend sind, ganz besonders die von Bernard-Pierre Donnadieu, der der Rolle des Biedermanns Raymond den nötigen Hauch Rätselhaftigkeit verpaßt. Gene Bervoets (Rex) macht seine Sache ebenfalls recht gut, wird allerdings getoppt von der sympathischen Saskia-Darstellerin Johanna ter Steege, die nicht ganz unverständlicherweise einen Europäischen Filmpreis abstaubte.
Hinzu kamen der Große Preis des Niederländischen Films für den besten Film 1988, der Preis der niederländischen Filmkritik 1988 und die Nominierung für den Oscar 1989.

Fazit: Mir ist unbegreiflich, warum „Spurlos verschwunden“ den Zuschauern in Deutschland ziemlich fremd ist, ist er doch einmal völlig anders als der US-typische Thriller-Einheitsbrei. Kluge Filme sind selten geworden, und Sluizers Werk ist nicht nur wegen seiner interessanten Ausgangslage, sondern insbesondere wegen seines restlos fiesen Finales denkwürdig und nahezu unvergeßlich. Selbst die international nicht weiter bekannten Schauspieler liefern absolut professionelle Leistungen ab. Ein echter Geheimtip, der den Vergleich mit größeren Blockbustern aus den Vereinigten Staaten nicht zu scheuen braucht. Wem die Action fehlt, der soll auf das Remake „Spurlos“ zurückgreifen, das am Ende richtig reißerisch wird (aber dort fehlt eben auch die mehrfach erwähnte pechschwarze Schlußpointe). 8/10.

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