Staffel 1
Schachmacht
Politik ist öde? Pah! Seit 2013 beweist das Netflixflagschiff "House of Cards" das komplette Gegenteil. Nicht unbedingt als Kompliment für unsere Systeme, Politiker und oberen Zehntausend, ganz im Gegenteil, aber teuflisch unterhaltsam und interessant und spannend. Der Streaminggigant hat Kevin Spacey und "House of Cards" einiges zu verdanken und diese erste Staffel setzte nicht weniger als neue Massstäbe, was Streaming-, Fernseh- und Bingewatchinggewohnheiten betrifft. Herausragend besetzt, audiovisuell eine Macht, clever geschrieben und absolut am Zahn der Zeit - "House of Cards" hat auch nach über 5 Jahren nichts von seiner Faszination und seinem beachtlichen Suchtfaktor verloren!
In den ersten 13 Kapiteln, also der ersten Staffel, lernen wir die Underwoods kennen - und wie diese mit gezielten Schachzügen und Nadelstichen in der Polithierarchie Washingtons Schneisen schlagen und sich auf den Weg nach oben begeben. Koste es, was es wolle. Gerne auch die eigene Seele... Warum mich Frank Underwoods beginnender Aufstieg so fasziniert hat? Und was man in den folgenden Jahren vielleicht noch etwas besser, straffer machen könnte? Hier meine Gedanken:
POSITIVES
+ herausragende Darsteller auf höchstem Kinoniveau - allen voran ein brutal guter Kevin Spacey, wohl in der Rolle seines Lebens
+ die ersten zwei Folgen von David Fincher (!) inszeniert, der damit den Ton setzt
+ dichte, düstere Atmosphäre
+ erinnert schon jetzt, so früh in der Serie, an Trump und aktuelle politische Diskussionen, Situationen, Probleme
+ nicht nur amerikanisch, sondern zum Teil auch hierzulande anwendbar und vergleichbar
+ alle Figuren sind ambivalent und vielschichtig; keine "Engel" oder "Teufel"
+ leinwandreife Bilder
+ intensiver, minimalistischer Score
+ wenn es einmal rollt, dann richtig ("Suchtfaktor")
+ meta; Franks Reden an uns Zuschauer sind jetzt schon legendär und setzten einen heftigen Trend (Wade Wilson lässt schön grüßen)
+ traurig und schockierend - vor allem, weil entlarvt wird, dass es vielen nur um Macht + Geld und kaum um die Sache, das Volk oder Andere geht
+ wahrscheinlich gar nicht mal allzu weit hergeholt bzw. übertrieben
+ (für meinen Geschmack) nie zu trocken, geschwätzig oder politisch
+ politisches Fachwissen kein Muss
+ Folgen haben meist die genau richtige Länge
+ erstaunlich ehrlich und kritisch (vor allem für US-Verhältnisse)
+ stellt den britischen "Vorgänger" bzw. das Original in vielerlei Hinsicht gewaltig in den Schatten
+ starke Frauenfiguren, trotz all der Macht von Frank und vielen seiner Kollegen
+ die "Ehe" der Underwoods; was für eine interessante Dynamik und Symbiose
+ viele Überraschungen, Wendungen, Tricks und Finten
+ bockstarke Dialoge; Chapeau an die Schreiber
+ geht runter wie ein guter Whisky
+ wenig wirkt überflüssig oder lang gezogen
+ trockenster, schwärzester Humor
+ genug WTF?!-Momente
+ macht Politik wieder interessant (wenn auch aus zum Großteil völlig falschen und bösen Gründen)
NEGATIVES
- für manche vielleicht etwas abschreckend und doch noch immer "zu politisch"
- braucht ein wenig um ins Rollen zu kommen
- Washington kann etwas eintönig werden; Schauplatzwechsel würden gut tun
- leider nur zwei Folgen von Fincher
- es gibt durchaus noch ein wenig "Fett" bzw. Füllmaterial
- manche Nebenfiguren kommen (noch) etwas kurz
- zum Teil vorhersehbar für mitdenkende Gucker
Fazit: Intrigen und Pläne, Macht und Monster, Berechnung und Menschlichkeit, Fehler und Fiesheit - "House of Cards" zeigt die düsteren Seiten der Politik und brilliert mit einem Antihelden für die Ewigkeit. Hut ab, Herr Spacey! Nicht nur für Politikinteressierte ein faszinierendes Mustsee. (8,5/10)