Es ist schlicht nicht möglich, mit den großen Serienhits US-amerikanischer Provenienz mitzuhalten. Also versucht man es in der alten Welt erst gar nicht. Zu exorbitant hoch nicht selten dort das Budget und zu zugkräftig die Seilschaften - zu gering andernorts einfach die bescheidenen Möglichkeiten. Wenn es also sozusagen von vornherein an Hybris grenzt, zu versuchen, den Amerikanern die Erdnussbutter vom Gummibrot zu nehmen, dann bequemt man sich vielleicht mit etwas anderem. Etwas kleinerem. Etwas, das eben gerade nicht amerikanisch extravagant und bunt daherkommt, sondern in aller Ruhe seine Nische sucht. Wie wäre es zum Beispiel mit einer realistisch ins Werk gesetzten, unaufgeregten Produktion über eine Reihe von Frauenmorden im Setting des traditionell krisengeschüttelten Belfast, der Hauptstadt Nordirlands?
Zugegeben, die Themenstellung sieht auf den ersten Blick zunächst einmal ziemlich öde und abgegrast aus. Ein Irrer, der eine Blutspur hinterlässt und der örtlichen Polizei Rätsel aufgibt - ein alter Hut! Wenn man aber nun hergeht und ein wenig mit den Zutaten experimentiert, könnte - das weiß jeder Filmfreund - auch ein durch die (Film-)Generationen gereichtes Hausrezept neuen Pepp bekommen. Und nichts anderes macht die für den britischen Sender BBC Two produzierte Serie „The Fall - Tod in Belfast".
Die Londoner Ermittlerin Stella Gibson („Akte X" Star Gillian Anderson) wird für eine Reihe von Morden an die Kollegen aus Belfast ausgeliehen, wo sie die Arbeit am Fall als Kriminalkommissarin leiten soll. Zwei Frauen um die Dreißig wurden stranguliert und entkleidet in ihren Schlafzimmern aufgefunden. Es gibt Hinweise darauf, dass beide zuvor vom Täter wochenlang beobachtet wurden und er überdies schon vor der Tat in die Wohnungen der Frauen eingebrochen war. Die Polizeiarbeit wird dadurch erschwert, dass der Killer (Jamie Dornan) weiß, wie man Spuren verwischt und offenbar recht intelligent ist.
Und schon wieder klingeln die Glocken. Thomas Harris‘ Hannibal Lecter steht da nämlich vor dem geistigen Auge. Die Kultfigur einer ganzen Reihe an Filmproduktionen, die einem großen Karthager und Namensvetter seit Jahren ganz schön die Show stiehlt. Doch ist das vergnügt vor sich hin dinierende Genie aus der Feder des amerikanischen Schriftstellers zwar unterhaltsam konzipiert, dafür aber vollkommen der Realität entflohen. Und das nutzt „The Fall" sozusagen. Hier ist die Nische. Denn die Serie entwirft einen Psychopathen, der ebenfalls von Beginn an den Zuschauer begleitet und mit durch die Folgen führt, der aber restlos plausibel entworfen ist. Der Trauertherapeut und Familienvater ist kein amerikanischer Über-Killer. Er ist ein Wesen aus Fleisch und Blut, der seinen dunklen Drang eines Tages schlicht nicht mehr zügeln will und seinen Fantasien nachgibt. Es ist, ganz wie im wahren Leben, sehr wahrscheinlich, dass so ein Mehrfachtäter von der Polizei über kurz oder lang gefasst werden wird. Die Frage ist, wie lange gelingt es dem Mann, seine selbstsüchtige, klinische Misanthropie auszuleben und die Sicherheitsbehörden an der Nase herumzuführen?
„The Fall - Tod in Belfast" nimmt sich Zeit. Zuviel Zeit womöglich für den „Game of Thrones" und „Breaking Bad" verwöhnten Serienjunkie. Polizeiarbeit, Zwischenmenschliches, Kulissen, Dialoge und Cast sind nicht darauf angelegt, vordergründige Schauwerte oder Ruckzuck-Unterhaltung zu liefern. Man muss sich Zeit nehmen, sich in die Serie und ihre Protagonisten tasten wollen. Denn nur dann könnte man entdecken, dass das psychologische Profil des Killers deshalb überzeugt und Angst einflößt, weil es solche gestörten Menschen tatsächlich gibt. Weil sie wirklich in der Nachbarschaft leben könnten. Weil sie traurige Realität sind. Im Gegensatz zu den in kultivierte Konversation gepackten kulinarischen Entgleisungen Mads Mikkelsens. Die gibt es nämlich nicht.
Das Katz- und Mausspiel zwischen Stella und dem Killer, die einander immer näher kommen, wird angereichert mit leisen Zwischentönen feministischer Weltsicht, die zwar nicht frustriert oder aggressiv daherkommt, sich aber doch das Recht herausnimmt, die Triebhaftigkeit des männlichen Wesens zu kommentieren. Es ist kein Zufall, dass Gillian Anderson, die sich nebenberuflich vehement für Frauenrechte engagiert, nach eigenem Bekunden schnell überzeugt war von der Rolle der taffen, bisexuellen Polizistin, die in Männern allenfalls die Befriedigung ihrer Interessen sucht und deshalb den Kontakt auf sporadischen, promiskuitiven Sex und das Berufliche begrenzt. Und doch ist sie verletzlich. Es ist der Mann, den sie sucht, ein gefährlicher, gut aussehender, wortgewandter Psychopath, der in ihr ein Interesse entfachen wird, das sie aus ihrem von Gleichförmigkeit und langweiliger (männlicher) Vorhersehbarkeit geprägten Trott reißen wird. Ein Mann, der für sich entschieden hat, aus den einengenden Konventionen gesellschaftlichen Miteinanders auszubrechen und die eigenen Bedürfnisse absolut zu setzen. Kann man von so einem Menschen tatsächlich lernen? Und wenn ja, was?
Das graue Belfast ist nicht das kunterbunte Miami „Dexters" oder das mit ermüdendem Geplauder bedachte Minnesota „Hannibals". Es ist ungekünstelt. Und vielleicht sogar ein wenig zu wenig artifiziell. Das muss man mögen. Oder hinnehmen. Denn keine der angelegten Rollen sucht oder fände den Weg zur Kultfigur. Es sind Menschen, die mit nur allzu menschlichen Problemen zu kämpfen haben. Hier ist nichts knallig und es knallt insgesamt nur selten. Es ist der trübe Horror der Wirklichkeit, den man hier einzufangen versucht.