Zack Snyders düsteres Epos über Identität, Herkunft und Bestimmung
Manchmal reicht ein Film, um eine ganze Ära zu definieren. Zack Snyders Man of Steel war ein solcher Film. Mit ihm begann nicht nur die „Snyder-Ära“ des DC-Universums, sondern auch eine grundlegende Neuinterpretation von Superman – dem wohl ikonischsten aller Superhelden. In Zeiten, in denen die Comicverfilmung längst als Massenware durch die Multiplexe rollte, setzte Snyder einen Kontrapunkt: sein Superman war nicht der lichte, augenzwinkernde Hoffnungsträger, sondern ein Getriebener, ein Suchender, ein Mann aus Stahl in einer Welt voller Risse.
Jetzt, da James Gunn mit Superman: Legacy den Reboot der Franchise eingeläutet hat, lohnt sich der Blick zurück. Es lohnt sich, noch einmal dorthin zurückzugehen, wo alles begann: zu Henry Cavill, der im blauen Anzug und mit wehenden roten Cape den Mythos Superman in eine neue, ernsthafte und düstere Dimension geführt hat. Denn gerade im Kontrast zum helleren, humorvolleren Ton von Gunns Film zeigt sich, wie konsequent Snyder seinerzeit eine andere Richtung einschlug – düsterer, ernster, schwerer. Und, so sei vorweggenommen: genau das macht Man of Steel bis heute zu einem Ausnahmefilm.
Damals im Kino, bei meiner Erstbegegnung mit Man of Steel, war ich zwiegespalten. Ich erinnere mich gut: Die Erzählstruktur – dieses Wechselspiel zwischen Kindheit, Jugend und Erwachsenenalter – empfand ich als sperrig. Es wirkte für mich wie ein Rhythmus, der sich nicht recht finden wollte. Doch bei der Zweitsichtung, im heimischen Wohnzimmer mit gedämpftem Licht, guter Anlage und der nötigen Ruhe, erlebte ich denselben Film fast wie neu. Plötzlich war da keine Sperrigkeit mehr. Im Gegenteil: Die Dramaturgie entfaltete ihre ganze Kraft. Rhythmus, Struktur, Tonalität – alles passte. Der Film entpuppte sich als exzellentes Werk, das ich heute ganz klar zu den stärksten Comicverfilmungen der letzten zwei Jahrzehnte zähle. Und warum? Weil Man of Steel etwas wagt, was viele Superheldenfilme nicht mehr wagen: Er nimmt sich ernst. Er wagt eine düstere, fast schon schwergewichtige Tonalität, ohne dabei ins Prätentiöse abzudriften. Er kleidet Superman nicht in Bonbonfarben und Witzeleien, sondern in eine Welt aus Stahl und Schatten. Für mich persönlich ist das nicht nur erfrischend, sondern schlicht grandios.
Mosaik einer Identität
Das Drehbuch von David S. Goyer – basierend auf einer Idee von Christopher Nolan – wagt, was viele Origin Stories scheuen: Es erzählt nicht linear. Was mich beim ersten Mal störte, empfinde ich heute als Stärke. Snyder und Goyer springen zwischen Zeiten, verweben Clark Kents Kindheit mit seiner rastlosen Jugend und seinem späteren, erwachsenen Ich. Rückblenden führen den Zuschauer immer wieder zurück zu den prägenden Momenten in Smallville, zu den Konflikten mit Mitschülern, zur strengen Liebe des Vaters Jonathan Kent. Diese Rückblenden wirken nicht willkürlich, sondern wie präzise gesetzte Mosaiksteine. Sie zeigen, wie aus dem verunsicherten Jungen vom Land ein Mann wird, der die Last der gesamten Menschheit auf seinen Schultern trägt.
Diese Struktur ist nicht bloß ein Kunstgriff. Sie spiegelt inhaltlich Clarks Identitätssuche wider: so, wie er zwischen zwei Welten steht, Krypton und Erde, so changiert auch die Erzählweise zwischen Vergangenheit und Gegenwart. Es ist eine Art „komprimierte Origin Story“, die nicht den Umweg über zig Filme nimmt, sondern direkt auf den Punkt kommt. Ohne Umwege bekommen wir Einblicke in Krypton, Clarks Kindheit, seine Identitätskrise und schließlich seine erste Konfrontation mit der Welt – und mit General Zod. Alles greift nahtlos ineinander, wie Zahnräder in einem Uhrwerk. Besonders bemerkenswert ist dabei die Kompaktheit: In nur gut zweieinhalb Stunden gelingt es Snyder und Goyer, sowohl Kryptons Untergang, Clarks Heranwachsen, seine Selbstfindung als Superman und die Konfrontation mit General Zod zu erzählen – ohne dass der Film je ausfranst oder zerfällt.
Herkunft, Identität, Bestimmung
Superman ist mehr als ein Kostüm mit Cape. Snyder betont dies, indem er den Mythos nicht als heroisches Märchen inszeniert, sondern als existenzielles Drama. Im Zentrum steht die Frage: Wer bin ich? Und was ist meine Rolle in dieser Welt?
Clark Kent ist in Man of Steel nicht sofort Superman. Er irrt durch die Welt, bevor er fliegt, er arbeitet auf Schiffen, nimmt Jobs an, streift anonym durch Kleinstädte, verbirgt seine Kräfte – immer auf der Suche nach Antworten. Seine Herkunft, seine Bestimmung, seine Rolle in dieser Welt – all das wird nicht einfach vorausgesetzt, sondern erzählt. Dieser Weg zur Selbstfindung ist glaubwürdig, emotional und manchmal schmerzhaft. Die Figuren Jonathan und Martha Kent sind hier nicht nur Nebencharaktere, so wie in Superman: Legacy, sondern entscheidend für Clarks Entwicklung. Jonathan (Kevin Costner) verkörpert die Stimme der Vorsicht, manchmal fast tragisch, wenn er seinen Sohn dazu anhält, sich nicht zu offenbaren. Martha (Diane Lane) hingegen gibt ihm Wärme und emotionale Heimat. Diese Gegensätze formen Clark, bis er schließlich in die Rolle des Superman hineinwächst.
Und dann ist da noch Jor-El, gespielt von Russell Crowe. Als Vater aus einer anderen Welt schenkt er Clark den Schlüssel zu seiner Herkunft. Damit bekommt der Held zwei Väter, zwei Stimmen, die ihn prägen: die des Himmels und die der Erde. Zwischen diesen Polen entsteht ein Spannungsfeld, das Clark zwingt, eine eigene Identität zu finden. Die Themen sind damit universell: die Suche nach Herkunft, der Konflikt zwischen Bestimmung und freiem Willen, die Last, anders zu sein – und doch Verantwortung zu tragen. Snyder macht aus Superman nicht bloß einen Helden, sondern eine Projektionsfläche für existentielle Fragen.
Eine Welt aus Stahl und Schatten
Wer Snyders Superman mit James Gunns neuem Superman vergleicht, erkennt sofort die unterschiedliche Handschrift. Gunn setzt auf Leichtigkeit, bunte Farbpalette und ironische Untertöne. Snyder hingegen entschied sich für eine völlig andere Tonspur: Er wählt den Weg der Schwere. Sein Film ist durchdrungen von einer düsteren Grundstimmung, die sich in der entsättigten Farbgebung ebenso niederschlägt wie in der melancholischen Grundatmosphäre. Das Ergebnis ist ein Superheldenfilm, der fast wie ein modernes Drama wirkt. Wo andere Produktionen auf Klamauk und Schlagabtausch setzen, betont Snyder Ernsthaftigkeit, ja Pathos. Für viele war das zu viel. Für mich ist es genau die Qualität, die Man of Steel über das Gewöhnliche erhebt. Dieses Gewicht, diese Ernsthaftigkeit, die der Film ausstrahlt, verleiht dem Mythos Superman eine Dimension, die ihn aus dem Reich der Märchenfiguren herauslöst und ins Kino der großen Dramen hebt.
Zack Snyder gilt als Stilist, als ein Regisseur, der polarisiert. Sein Stil ist unverkennbar – und in Man of Steel brilliert er. Seine Bildkompositionen sind sorgfältig arrangiert, fast malerisch. Immer wieder setzt er weite Panoramen, um dann abrupt mit Zooms mitten ins Geschehen zu springen. Die Kameraarbeit von Amir Mokri verleiht dem Film Dynamik, ohne die Übersicht zu verlieren. Es ist ein Film voller ikonischer Momente: Superman, der zum ersten Mal abhebt. Clark, der seine Faust in den Boden rammt, bevor er in den Himmel schießt. Die Begegnung mit Lois Lane, die nicht kitschig, sondern organisch erzählt wird. Jede Szene trägt Snyders Handschrift – bombastisch, aber präzise. Auch im Showdown, wenn Metropolis im Chaos versinkt, behält die Inszenierung Klarheit. Trotz apokalyptischer Zerstörung bleibt die Action nachvollziehbar, jede Bewegung, jeder Schlag wird lesbar in Szene gesetzt.
Snyder hat ein Faible für Spektakel – und Man of Steel liefert. Schon die Eröffnung auf Krypton ist ein audiovisuelles Feuerwerk: organisches Weltdesign, wuchtige Architektur, ein Kampf um das Überleben eines Planeten. Doch die eigentliche Wucht entfaltet sich im Finale. Die Schlacht zwischen Superman und Zod legt Metropolis in Schutt und Asche. Eine Zerstörungsorgie, ja – ganze Straßenzüge werden pulverisiert, Hochhäuser stürzen ein, die Stadt wird zum Schlachtfeld. Aber Snyder verliert nie den Überblick. Die Action ist brachial, klar, spektakulär, aber nicht chaotisch. Kritiker warfen dem Film damals Maßlosigkeit vor. Doch im Rückblick wirkt diese Radikalität konsequent: Wenn Götter kämpfen, darf die Welt nicht unversehrt bleiben. Snyder zeigt hier, was auf dem Spiel steht – und dass Superman seine Menschlichkeit erst inmitten der Trümmer beweist. Die Effekte sind bis heute beeindruckend. Die Flugsequenzen, die Kämpfe, das visuelle Design von Krypton – alles ist auf hohem Niveau.
Wenn Zack Snyder Superman neu definierte, dann tat Hans Zimmer dasselbe auf musikalischer Ebene. Anstatt die berühmte Fanfare von John Williams zu zitieren, bricht Zimmer bewusst mit der Tradition. Er komponiert ein Hauptthema, das nicht sofort hymnisch, sondern fast meditativ beginnt und sich dann zu einer Welle aus Klang und Kraft steigert. Zimmers Score ist ungewöhnlich, intensiv und absolut perfekt für diese Interpretation von Superman. Er arbeitet viel mit repetitiven Mustern, mit rhythmischer Wucht und düsteren Klangfarben. Das Ergebnis ist kein pathetischer Triumphmarsch, sondern ein Score, der die innere Reise der Figur widerspiegelt. Er ist modern, roh, beinahe archaisch – und gerade dadurch unverwechselbar. Zimmer schafft eine emotionale Sprache, die perfekt zu Snyders düsterer Tonalität passt.
Zwischen Vaterfiguren und Göttern
Die Besetzung ist schlicht grandios. Henry Cavill ist Superman. Punkt. Es gibt keinen anderen Ausdruck. Er verkörpert die Rolle mit physischer Präsenz, einer Ernsthaftigkeit, die Respekt einflößt, und gleichzeitig mit einer Verletzlichkeit, die ihn menschlich macht. Sein Clark Kent zeichnet keinen überhöhten Halbgott, sondern einen Mann, der zweifelt, ringt und dennoch unbeirrbar nach dem Richtigen strebt. Für mich steht Cavill auf einer Stufe mit David Corenswet – beide sind, auf ihre Weise, perfekte Inkarnationen des Stählernen.
Ihm zur Seite stehen zwei Vaterfiguren, die unterschiedlicher nicht sein könnten: Kevin Costner gibt Jonathan Kent eine stille, beinahe mythische Größe. Er verkörpert den Archetyp des amerikanischen Farmers, verwurzelt in Erde und Tradition, zugleich aber gezeichnet von der Ahnung, dass sein Sohn nicht für ein gewöhnliches Leben bestimmt ist. Jonathan Kent ist kein überhöhter Mythos, sondern ein Mann, der versucht, das Richtige zu tun – und gerade darin wird er zu einer der wichtigsten Figuren in Clarks Weg zu Superman. Russell Crowe als Jor-El strahlt Autorität aus, ohne jemals zu kalt zu wirken. Er ist nicht nur Kryptons letzter großer Sohn, sondern eine moralische Instanz, die Clark den Weg weist. Er ist Mentor, Mahner, Visionär – und bleibt doch immer Vater.
Diane Lane als Martha Kent ist der emotionale Anker des Films und Amy Adams als Lois Lane ist eine Idealbesetzung, gerade weil sie nicht dem Klischee einer bloßen „Reporter-Liebelei“ entspricht und stattdessen die Figur mit Intelligenz, Empathie und Durchsetzungsvermögen ausstattet. Michael Shannon schließlich liefert mit General Zod eine Antagonisten-Leistung, die weit über das Gewöhnliche hinausgeht. Sein Zod ist kein Karikaturen-Bösewicht, sondern ein Mann, der für das Überleben seines Volkes kämpft – radikal, brutal, aber verständlich. Shannon spielt keinen eindimensionalen Tyrannen, sondern einen Mann, dessen Brutalität aus Überzeugung geboren ist. Sein Zod ist Soldat, Nationalist, beinahe Märtyrer für Kryptons Überleben. Shannons Intensität macht ihn zu einem der besten Superschurken der letzten Dekade.
Fazit
Man of Steel ist ein Film, der polarisiert. Vielen war er zu düster, zu bombastisch, zu schwer. Doch gerade in dieser Ernsthaftigkeit liegt seine Stärke. Zack Snyder hat mit Man of Steel kein buntes Comicabenteuer inszeniert, sondern ein modernes Epos, ein filmisches Gedicht über Identität, Herkunft und Bestimmung. Henry Cavill prägt die Rolle mit einer Präsenz, die ihn bis heute zu einem der überzeugendsten Supermänner macht. Das Ensemble glänzt in jeder Nebenrolle, die Inszenierung ist visuell überwältigend, die Action spektakulär, der Score von Hans Zimmer eine Wucht.
Gerade im Kontrast zum neuen, helleren Superman-Film von James Gunn wird deutlich, wie einzigartig Snyders Ansatz war. Man of Steel erzählt die Geschichte des „Mannes aus Stahl“ nicht als Fabel, sondern als Drama. Er macht aus dem Helden einen Menschen, aus dem Mythos ein existenzielles Ringen. Zwölf Jahre nach seiner Premiere bleibt Man of Steel ein Monument des Genres. Ein Film, der nicht jedem gefallen will, aber der Superman für eine Generation neu definiert hat. Wer ihn heute noch einmal sieht, entdeckt: Dies ist kein gewöhnlicher Superheldenfilm – dies ist ein Mythos, gegossen in Stahl und Bild.