Der Pfandleiher Nazelman (Rod Steiger in einer außergewöhnlichen Rolle) bringt seinen Alltag mit Monotonie und Distanziertheit hinter sich. Was die meisten seiner Kunden und auch sein junger hispanischer Kollege nicht wissen: Als Jude überlebte er ein Konzentrationslager der Nazis, seine Frau und Kinder wurden aber grausam ermordet. Dieses Trauma verfolgt ihn unerbittlich und lässt ihn immer wieder an sich selbst und seinen Mitmenschen verzweifeln...
Mit Rod Steiger als gealtertem Juden und Geraldine Fitzgerald als gutmütig-naiver Bekannter inszenierte der selbst jüdischstämmige Regisseur Sidney Lumet schon zu einem frühen Zeitpunkt seiner Jahrzehnte währenden Karriere einen ebenso stillen wie spektakulären Film über die seelischen Wunden, die das größte Verbrechen gegen die Menschlichkeit des 20. Jahrhunderts bei den Überlebenden angerichtet hat. Im Schatten seiner weit berühmteren und erfolgreicheren Filme längst vergessen, gehört dieses Werk dringend wieder ins öffentliche Bewusstsein.
Allein die intensiven Leistungen der Darstellenden sind schon einen Blick wert. Wobei Rod Steiger sie alle an die Wand spielt: Mit dünnem Haar, aufgequollen und trübseligen Blicks schleppt er sich durch den gesamten Film, aus jeder Bewegung, jedem Seufzen die tiefe Müdigkeit seiner Figur ausströmend. Sein stoisches Schweigen in der Anfangsphase des Films, während Kundschaft und Kollege um ihn herum laut und hektisch sind, vermittelt ohne Worte die Apathie, in der er sich gefangen fühlt und aus der er bis zum Schluss trotz einiger Wutanfälle (die zum Intensivsten und Packendsten gehören, was Hollywood in dieser Richtung zu bieten hat) nicht wirklich auszubrechen vermag. Spannend ist dabei auch die ungewollte Grausamkeit, in die ihn seine Unfähigkeit, auf seine Umwelt einzugehen, stürzt: So sagt er einer verzweifelten Schwangeren mit beinahe toter Kälte, dass der Ring, den sie versetzen will, nur aus Glas sei; und den einsamen alten Schwarzen, der nur zum Reden zu ihm kommt, schickt er ebenso unbarmherzig davon – zwei kurze, aber sich tief ins Herz grabende Szenen, die lange nachwirken und die vor allem zu einer multiperspektivischen Betrachtung einladen: Alle Beteiligten hier leiden an sich und ihrer Umwelt, selbst die härtesten Gangster lassen ihre menschlichen Verletzungen durchschimmern. Ein grandioses Werk, das alle Figuren ernst nimmt und respektiert. Das funktioniert auch deshalb so gut, weil sämtliche Nebenrollen hervorragend gespielt werden, intensiv, authentisch und überzeugend; dass sie neben Steiger verblassen, ist nicht ihre Schuld.
Darüber hinaus fesselt „Der Pfandleiher“ auch formal: Die Kamera findet immer wieder erstaunliche Perspektiven, etwa aus der Unterschau eines Rasenmähers, den zwielichtige Kunden ins Geschäft schieben, und entwickelt ein überraschendes formales Tempo durch lange Schwenks und regelmäßig in Handlungsabläufe einsprengende stakkatohafte Bildschnipsel aus dem KZ. Vor allem diese Momente, die jedes Mal in völliger Stille ablaufen, können tief erschüttern und die Grausamkeit des Erlebten und nicht zu Vergessenden emotional klar machen, ohne besonders brutale Bilder zeigen zu müssen. Inszenatorisch ist der Film ein kleines Meisterstück, das zeigt, wie man ohne große Oberflächenhektik Spannung und Tempo in eine tiefgründige Geschichte bringen kann.
Nur gegen Schluss verliert „Der Pfandleiher“ leider ein wenig an Intensität, verblassen die Figuren etwas und zieht sich ihr Handeln oder auch Nichthandeln etwas zu sehr in die Länge; auch verlieren sich hier die inszenatorischen Stärken in handelsüblicher Formalität. Das wiegt aber insgesamt nicht schwer, haben doch die ersten drei Viertel des Films derart in ihren Bann gezogen und emotional mitgerissen, dass man sich noch lange danach nicht richtig davon erholt hat. Ein frühes, enorm intensives und fesselndes Werk des großen Sidney Lumet, das es nicht nur für Fans unbedingt wiederzuentdecken gilt.