Paul Thomas Anderson ist mit "Magnolia" definitiv einer der sonderbarsten und beeindruckendsten Filme der letzten Jahre gelungen, mit dem er seinen Status als Riesentalent der Branche weiter festigte. Seine Sehgewohnheiten und Erwartungen sollte man vorher unbedingt vergessen, denn hier wird eh alles anders kommen als man denkt.
Der Film beginnt mit einem Prolog, der zunächst ohne jeden Zusammenhang dazustehen scheint, eine Zusammenfassung früherer Ereignisse, die auf nahezu unglaublichen Zufällen basieren. Anschließend setzt der Vorspann ein, nur um uns noch mehr zu verwirren. Schnell montierte Schnitte, ständig wechselnde Gesichter, Menschen, die der Zuschauer bisher nicht kennt, sind in Situationen zu sehen, die später wichtig sein werden. Das kann man alles kaum zuordnen, man ist überfordert und hätte alles erwartet, bloß nicht so einen Einstieg - P.T. Anderson hat eines seiner Ziele, den Zuschauer zu überraschen, bereits erreicht.
Das Erzähltempo wird in der Folgezeit immer wieder variiert, wie es Anderson passt. Die Verwirrung über die Anfangsminuten legt sich langsam, denn nun offenbart sich das Schicksal mehrerer Menschen, die uns behutsam näher gebracht werden und scheinbar alle etwas miteinander zu tun haben. Das verspricht Spannung, denn diese Figuren sind so interessant und abwechslungsreich, dass man unbedingt wissen will, wie sich die Sache weiterentwickelt. So entblättert sich das Mosaik Stück für Stück, bis am Ende sogar so etwas Ähnliches wie ein Sinn entsteht: Alle Charaktere wurden in diesen 24 Stunden mit irgendwelchen Geschichten aus der Vergangenheit konfrontiert, die sie miteinander oder alleine lösen konnten (oder auch nicht), aber nur durch den Umstand, dass sie sich gegenseitig getroffen haben. Das ist laut Meinung des Erzählers kein Zufall - womit wir wieder beim Prolog wären!
Das alles ist derart genial verschachtelt, dass man gar nicht merkt, worauf der Film eigentlich hinaus will. Man sitzt einfach nur gebannt da und verharrt bei diesen kleinen Geschichten, die wie aus dem Leben gegriffen scheinen. Dabei kommt über geschlagene drei Stunden nicht einmal Langeweile auf, obwohl Anderson die eine oder andere Passage nicht so sehr hätte überdehnen müssen. Besonders auffällig in die Länge gezogen sind die Szenen am Sterbebett, welche auch noch ziemlich sentimental daherkommen. Ein wenig mehr Leichtigkeit hätte eventuell auch an anderen Stellen besser gepasst, doch nur durch verbreitete Ernsthaftigkeit gelingen Anderson die denkwürdigsten Abschnitte, wie etwa das Essen Claudias mit Polizist Jim oder auch die letzte Einstellung einer lächelnden Claudia, wo für wenige Momente derart viel Menschlichkeit und Wärme aufblitzt, dass man weinen möchte. Die Geschichte um Claudia ist meiner Meinung nach ohnehin die gelungenste, was vor allem Melora Waters (Mein Gott spielt die großartig, ich bin echt sprachlos!) und John C. Reilly zu verdanken ist.
Der übrige Cast (ein sehr großer) ist gespickt mit Prominenz: Luis Guzmán, Philip Seymour Hoffman (wie immer gut), William H. Macy, Jason Robards, Julianne Moore, Alfred Molina, um nur einige zu nennen. Nicht zu vergessen Tom Cruise, der als Sex-Guru endlich einmal eine Rolle gefunden hat, in der er sich austoben kann und zeigen darf, dass sogar schauspielerische Klasse in ihm steckt.
Alle Cruise-Fans, die nur seinetwegen zur nächsten Videothek rennen, dürften aber enttäuscht sein, weil das Wort "Mainstream" mit diesem Film keinesfalls in Verbindung gebracht werden kann. Mit so einer raffinierten Erzählweise, innovativen Figuren und Fröschen, die vom Himmel fallen, rechnet halt niemand. Ein Film, der die Kritiker mal wieder in Jubelstürme ausbrechen lässt und das Publikum spaltet. Da war selbstverständlich P.T. Anderson, die große Hoffnung des Autorenkinos für die Zukunft, am Werk...und das ist auch gut so!