Schattenseiten.
Klatsch und Tratsch gleicht einem Volkssport. Die Menschen absorbieren Gerüchte und verbreiten sie weiter. Sie lieben den anrüchigen Mief – so lange dieser nicht von der eigenen schmutzigen Wäsche herrührt. Je abgründiger, desto besser. Homosexualität, Kommunismus, Drogenmissbrauch und Gewaltverbrechen sind der Stoff, aus dem in Hollywood Mitte des 20. Jahrhunderts pechschwarze Klatsch-Alpträume für so manche prominente Persönlichkeit gewoben werden. Die einen verpuffen noch ehe ihr Klang verhallt ist, andere hingegen haften hartnäckig. Alles streng vertraulich und „Hush-Hush“. Selbstverständlich! Curtis Hansons „L.A. Confidential“ (1997), basierend auf dem gleichnamigen Mammutwerk des wortgewaltigen Kriminalautors James Ellroy, präsentiert solch ein düsteres Alptraumnetz aus Verbrechen und Klatsch – die Film bzw. Buch gewordene Antithese zur vordergründigen Glamourwelt der Traumfabrik Hollywoods.
Wem James Ellroys Roman ein Begriff ist, der weiß, um welch komplexe – für eine filmische Adaption denkbar ungeeignet vielschichtige – Vorlage es sich bei „L.A. Confidential“ handelt. In diesem Kontext ist Brian Helgelands Verdienst am Script umso höher einzustufen. Er präsentiert ein Paradebeispiel dafür, wie man aus einer diffizilen Vorlage mit scheinbar chirurgischer Akribie ein kleines Juwel zu Tage fördert. Sicher, Details gehen hier und da verloren und auch so mancher Subplot musste auf der Strecke bleiben. Im Großen und Ganzen ist dies jedoch mehr als gut zu verschmerzen. Es zählt die ausgewogene Balance, welche Helgeland besonders im Hinblick auf den nötigen Entfaltungsraum der drei Protagonisten Edmund Exley, Jack Vincennes und Wendell ’Bud’ White herauskristallisiert hat.
Ein Restaurant-Massaker wird für diese drei grundverschiedenen Charaktere zur Feuerprobe. Jeder mit eigenen Lastern und Schwächen, die er zu schultern hat, gerät auf individuelle Weise in den gleichen Strudel aus Korruption, Mord und Erpressung. Scheinbar zufällige Ereignisse gewinnen in einem übergeordneten Kontext an Bedeutung, geschickt werden Querverbindungen aufgebaut, welche sich schlussendlich zu einem perfekt verwobenen Verbrechensmosaik zusammenfügen. Aus dieser nonchalanten Beiläufigkeit „L.A. Confidential“ zu erzählen, gewinnt der Film seinen ungeheuer starken Reiz und eine nicht zu unterschätzende Bodenständigkeit. Nichts an der Story wirkt erzwungen oder überkonstruiert, nur damit am Ende eine imaginäre Rechnung aufgehen kann. Stattdessen hat der Zuschauer das angenehme Gefühl einer natürlichen Entwicklung, die gar keinen anderen Weg zulässt, beizuwohnen.
„L.A. Confidential“ ist nicht nur eine Huldigung, eine perfekt inszenierte Reminiszenz in Spielfilmlänge – „L.A. Confidential“ ist reiner Film Noir. Die Handlung, ihre Charaktere, ebenso das gesamte Setting atmen im Sekundentakt den schmutzigen Staub der großen Brüder aus den frühen Tagen Hollywoods – vielleicht noch ein Stück düsterer, dichter und undurchschaubarer gestrickt. Zweifelsohne war in einigen frühen Vertretern der Schwarzen Serie eine klare Rollenverteilung bis zu einem gewissen Grad auch nicht stets gegeben („On Dangerous Ground“, 1952; „Asphalt Jungle“, 1950), aber so weit ins Herz der Finsternis wie Curtis Hanson dürfte sich bisher kaum jemand gewagt haben, was zumindest unter den zu der Zeit gegebenen Umständen, – u. a. den Reglementierungen des Production Codes – auch nicht weiter verwundert. Deshalb ließ man sicherlich auch bevorzugt klar definierte Fronten aufeinanderprallen („Crossfire“, 1947, „The Racket“, 1951; „The Narrow Margin“, 1952; „Crime Wave“ (1954), um der Gerechtigkeit am Ende mit Hilfe eines strahlenden Helden zu ihrem Recht zu verhelfen.
Dass dies bei „L.A. Confidential“ – und sicherlich anderen Vertretern in abgeschwächterem Maße – nicht der Fall ist, verleiht dem Film und insbesondere seinen Charakteren ihre besondere Anziehungskraft und Vitalität. Der Reiz des Verbotenen schenkt der Geschichte, explizit in Bezug auf den unberechenbaren ’Bud’ White, die emotional stärksten Szenen, welche sich hier evident aus seinen Schwächen entwickeln. Seine Überfürsorge für misshandelte Frauen in Verbindung mit dem exzessiven Hang zur Gewalt versetzen den Zuschauer bereits zu Beginn des Films in starke emotionale Anspannung, die durch geschickt gesetzte Stützpunkte (u.a. die „Bloody Christmas“-Schlägerei, Whites wiederholte Konfrontationen mit dem verhassten Ed Exley oder sein Alleingang bei der Befreiung des mexikanischen Mädchens) über die gesamte Spielzeit aufrecht erhalten werden kann. White gelingt es auf süffisante Art, den Zuschauer als Komplizen zu gewinnen und erschreckend leicht für sich zu vereinnahmen. Obwohl er zumindest in der ersten Hälfte nichts weiter als ein Hooligan mit Dienstmarke zu sein scheint, wirken er und seine Taten anziehend. Taten, die objektiv jenseits des Guten liegen, subjektiv aber gefährlich starke Genugtuung bereiten. Aus rein persönlicher Sicht lässt sich deshalb konstatieren, dass ’Bud’ wohl der interessanteste Charakter des Dreiergespanns ist – sowohl in der grandiosen Romanvorlage als auch in Hansons/Helgelands kongenialer Adaption. Dafür prädestinieren ihn sowohl eine kompromisslose Geradeheraus-Attitüde als auch die äußerst subtil eingewobene Charakterentwicklung, die den Bogen vom tumben, aber doch naiv-gutherzigen Prügelknaben zum selbstständig ermittelnden Cop schlägt – vielleicht eine direkte Symbiose aus Sterling Haydens Filmcharakteren Dix Handley ("Asphalt Jungle") und Det. Lt. Sims ("Crime Wave"). Jedenfalls bestehen vom Typus her zwischen Hayden und Crowe nicht von der Hand zu weisende Parallelen.
Brian Helgeland ist es hoch anzurechnen, dass er die psychologischen Charakterisierungen und die Vielschichtigkeit der Figuren vorlagengetreu übernommen und filmgerecht verarbeitet hat. Nicht nur White, ebenso die Kollegen Ed Exley und Jack Vincennes bieten im Film genügend Material für eine differenzierte Betrachtung. Der Zuschauer kommt in den Genuss, die Charaktere mit verstreichender Zeit kennen und verstehen zu lernen. Verhaltensmotivationen werden nicht plump in den Raum geworfen, sie werden beiläufig dargeboten, was seinen Anteil zu der bereits zuvor geschilderten, natürlich erscheinenden Entwicklung des Stoffes beiträgt.
Neben der inhaltlichen Ebene ist ebenso das Formale bestechend. Ein Umstand, der den Freund des klassischen Noir-Kinos beim Anblick von Setting und Requisiten das Herz schneller schlagen lässt. Würde man dem Bild seine Farben entziehen, ließe sich keinerlei Unterschied zwischen den klassischen Noir-Vertretern und diesem Neo-Noir ausmachen. Einen großen Anteil an der superben Visualisierung hat ohne Zweifel Kameramann Dante Spinotti, der „L.A. Confidential“ mit Hilfe unterschiedlichster Stilmittel zur optischen Perfektion verhilft.
Curtis Hansons Interpretation verdient ohne Zweifel seinen Ruf als beste Ellroy-Umsetzung und sticht damit andere Adaptionsversuche wie den inakzeptablen „Cop„ (1988), basierend auf Ellroys erstem Teil der wuchtigen Lloyd-Hopkins-Trilogie, genauso wie Brian De Palmas mittelmäßigen „Black Dahlia“ (2006) problemlos aus. Die inhaltliche Dichte wird ohne große Probleme filmgerecht komprimiert. Der kantige Stil und die Rauheit der Vorlage finden sich kompromisslos umgesetzt. Abgerundet wird das Gesamtpaket schließlich noch durch einen hervorragenden Cast, welcher u. a. mit Höchstleistungen von Russel Crowe, Kevin Spacey und Kim Basinger aufwarten kann.