Review

Funny Games

Im selben Jahr, in dem Michael Haneke seinen Gewaltschocker über eine bürgerliche Kleinfamilie, die Opfer zweier wahnsinniger und völlig skrupelloser jungen Männer wird, drehte, nahm sich auch Frankreichs junger Frauenfilmer Francois Ozon (Unter dem Sand) einem ähnlichen Sujet an, der aus dem Nichts hereinbrechenden Bedrohung einer friedlichen und glücklichen Existenz durch einen „psychisch degenerierten“ Menschen, oder um es mythischer zu formulieren, das Böse.

Doch im Gegensatz zu Hanekes schonungsloser Gewaltreflexion läuft dieser 50-Minüter sehr subtil ab. Ozon baut nach ohnehin völlig idyllischem Beginn in ruhigen, aber unter der Oberfläche immer bedrohlicher werdenden Szenen ein stets wachsendes Unbehagen beim Zuseher auf, das den Film zu einem gelungenen Kurzpsychodrama werden lässt.

Eine Mutter und ihr Baby sind an einem Haus am Meer auf Urlaub, der Vater wird erst einige Tage später nachkommen. Es klingelt an der Tür, eine Tramperin fragt, ob sie ihr Zelt ein paar Tage am großräumigen Grundstück aufschlagen dürfe. Sie ist eine „junge Wilde“, die es nicht länger an einem Ort aushält und das scheint der Mutter zu gefallen, sie gewährt der Fremden schon bald Eintritt ins traute Heim, wirkt erfreut über die Gesellschaft der jungen Frau, die sie wohl an ihr früheres Leben erinnert. Doch die beiden Protagonistinnen könnten unterschiedlicher nicht sein: hier die brave, fröhliche, liebevolle Mutter, auf der anderen Seite eine, wie sich bald herausstellt, Borderlinerin, in der Wut, Hass und noch mehr schlimme Dinge brodeln und nur schwerlich kontrolliert werden können oder wollen.

Zur Mitte des Films schenkt uns Ozon mit einer kühl gefilmten, überraschenden und ekligen Szene dann endgültig den reinen Wein der weiteren Gangart dieses Werks ein: Eine Zahnbürste fährt in die soeben mit Kot gefüllte Kloschüssel, gleitet fast zärtlich an den braunen Spuren entlang und wird danach wieder säuberlich in den Zahnputzbecher der Mutter platziert. Die Katze ist aus dem Sack, die Tramperin hat also definitiv nicht alle Borsten am Stiel des, zumindest, guten Benehmens oder auch Moralgefühls. Und es kann einem zum ersten Mal nun unwohl werden in der Erwartung weiterer Geschehnisse. Als die Mutter, nachdem sie sich genüsslich die Zähne geputzt hat (Feine Klinge - Sarkasmus olé!), die Tramperin mit dem Baby allein lässt (welch ein fieser Schock für das Publikum, Verletzlichkeit pur ist nun bereits hergestellt!), um in der Stadt einzukaufen. Doch es passiert zunächst nichts Schlimmes, außer dass das Baby mit dem Zungenpiercing der Tramperin herumspielt (mit ihren Händen wohlgemerkt). Hieran kann man schon ganz gut erkennen, dass Ozon auch ein Meister der ironischen Brechung düsterer Themen ist, eine gewisse Leichtigkeit ist all seinen Filmen stets anheim, auch wenn sie, wie hier, eine untergeordnete Rolle zugewiesen bekommt.
Am nächsten Morgen findet die Mutter im Zelt der diesmal downtown einkaufenden Tramperin ein Tagebuch, in dem sich düsterstes Geschreibsel und einem Sorgenfalten auf die Stirn treibende Zeichnungen befinden. Nun geschieht allerdings etwas Unerwartetes: die Mutter scheint darauf - nicht einmal innerlich - besorgt zu reagieren, ganz im Gegenteil, sie behandelt die potentielle Gefahr noch warmherziger und Ozon lässt mit diesem auf Charakterebene etwas unglaubwürdig scheinenden Trick, ganz ähnlich wie Haneke in der berüchtigten und famosen Szene, die „Funny Games“ so besonders macht, das Böse nun unwiderruflich und unaufhaltsam die Kontrolle gewinnen.
Als der Mann am nächsten Tag wie angekündigt endlich zur Familie stößt, wird er bereits zu spät sein…

„Regarde la mer“ ist ein leiser, fieser, verstörender Film, der Unbehagen hervorruft und, wie es so schön heißt, an Urängsten kratzt. Die Tramperin hat zwar anscheinend ein Motiv für ihre Tat, was sie im Vergleich zu den Killern aus „Funny Games“ etwas menschlicher erscheinen lässt (trotzdem ist sie extrem kühl und emotionslos angelegt, was vor allem beim „Geburtsdialog“, der auch den Hinweis zum Motiv liefert, noch mal überdeutlich wird), darin liegt womöglich der kleine Unterschied zwischen der herausragenden Arbeit von Haneke und dieser gelungenen, aber nicht ganz so gewichtigen von Ozon.
Was der mit einer surreal anmutenden Sexszene am Strand andeuten wollte, erschloss sich mir nicht ganz, vielleicht war dies auch nur ein Ausprobieren filmischer Optionen, eine Fingerübung für spätere Werke, als Wunschtraum einer sexuell gelangweilten Ehefrau passt er jedenfalls nicht unbedingt in den Kontext der reduzierten Geschichte.

In diesem frühen Film zeigen sich jedenfalls schon die Qualitäten, die Ozon später, in Arbeiten wie „Unter dem Sand“ perfektioniert hat. Ruhige Bilder, die von einer unterschwellig bedrohlichen Stimmung begleitet werden und interessante Frauenfiguren, die immer etwas rätselhaft bleiben. So auch hier, denn bei allem Naturalismus der Kamera ist dies alles andere als ein realistischer Film. Eher lesbar als ein düsteres Märchen, in dem Naivität und Gutmütigkeit vom realitätskonformen „Bösen“ heimgesucht und bitter bestraft werden.

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