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Umberto Lenzi war es, der 1972 mit „Mondo Cannibale“ die recht kurzlebige, aber durchaus erfolgreiche Ära des italienischen Kannibalenfilms einleitete, einer höchst umstrittenen Subkategorie des Horrorgenres. Dario Argento hatte in der Zwischenzeit den blutigen Mord in seinen Gialli zur Kunstform erhoben, da wollten auch andere, meist weniger talentierte Regisseure des stiefelförmigen Landes nicht zurückstehen und ein wenig mit Kunstblut panschen.

Einen der bemerkenswerteren Beiträge des Kannibalenfilms stellte dabei Ruggero Deodato her, der mit dem hierzulande fälschlich als Fortsetzung von „Mondo Cannibale“ angepriesenen „Ultimo mondo cannibale“ (im Originaltitel auch mit dem Vorgänger verknüpft) gleichzeitig auch die wesentlichen Plotmerkmale fortführte, die Lenzi fünf Jahre zuvor etabliert hatte:

Weiße geraten freiwillig oder unfreiwillig (hier: eher unfreiwillig, weil ein Privatflugzeug bruchgelandet ist) in den finsteren Dschungel. Dort hausen neben Wildtieren auch Eingeborene, die die Eindringlinge mit ihren für sie so fremden Sitten verstören oder gar schockieren (Tiere werden meist roh verspeist, Jieper auf Menschenfleisch ist vorhanden). Früher oder später (hier: früher) stören sie die Eingeborenen durch welchen Grund auch immer so sehr, daß sie gefangen genommen und im schlimmsten Fall getötet werden. Auch kehrt zumindest einer von den Eindringlingen lebend in die Zivilisation zurück, um von den Erlebnissen berichten zu können, weshalb die jeweiligen Filmgeschichten auch fast immer als wahr deklariert werden.

Jeden der formelhaften Kannibalenfilme kann man nach genau diesen Punkten abklappern, in irgendeiner Form wird man sie wohl immer darin finden. Böse gesagt könnte man auch behaupten: Kennt man einen, kennt man alle. Allerdings sind innerhalb des Genres durchaus Ausnahmen zu finden, die sich von ihren Geschwistern abheben und eine Sichtung lohnen: „Ultimo mondo cannibale“ ist dafür ein Beispiel. Den Konventionen der von Lenzi aufgestellten Regeln folgend hat Deodato ein Werk auf die Beine gestellt, das offenkundig nur am Rande Schaulustige anlocken soll, weil er das Abenteuer eines nach Bruchlandung von Kannibalen verschleppten Ölsuchers in den Mittelpunkt rückt, ohne sich ausschließlich an Menschenfresserszenen zu laben, auf die er trotzdem nicht verzichtet. Die Ohnmacht des wie ein Tier gefangen genommenen Robert (Massimo Foschi), der von jetzt auf gleich in eine für ihn völlig surreale Welt geworfen wird und nichts dagegen tun kann, kommt recht beklemmend rüber und ist nicht ohne Spannung inszeniert.

Leise Töne sind über weite Strecken das Stichwort, gesprochen wird folglich auch nur selten. Roberts Martyrium unmittelbar nach seinem Abtransport in eine Höhle, wo er ausgezogen und als ein mit einer entsprechenden Apparatur durch die Luft fliegender Vogelmensch gedemütigt wird, ist der stärkste Teil des Films. Das Aufeinanderprallen zweier verschiedener Kulturen, die kaum vereinbar sind, weil man sich nicht versteht, und Roberts teilweise notgedrungenes Hinabsteigen auf die intellektuelle Ebene seiner primitiven Gegenüber, um nicht mehr als böser Eindringling wahrgenommen zu werden (d.h. er muß selbst zum Kannibalen werden), sind in der Tat Themen, die großes Potential beinhalten, das allerdings leider nie ausgeschöpft wird. Deodato gefällt sich gelegentlich zu sehr in den Bildern der fremdartigen Sitten, kostet das realistische und schwer erträgliche Auseinandernehmen und Ausweiden eines menschlichen Körpers zu Eßzwecken spürbar aus (und untermalt sie zudem mit jeder Wirkung abträglicher Disco-Musik), und kann es sich nicht nehmen lassen, zur bis heute kontrovers diskutierten Unsitte der Kannibalenfilme zu greifen und lebendige Tiere vor der Kamera zu töten. Selbst wenn der Tiersnuff im Fall des abgemurksten Krokodils nicht aus reinen Unterhaltungsgründen vonstatten geht, sondern von der Handlung her motiviert erscheint – zu verachten und zu verurteilen ist er dennoch.

Außergewöhnlich ist „Ultimo mondo cannibale“ indes durch seine Rauhheit, die ebenfalls ein Markenzeichen italienischer Kannibalenfilme geworden ist, aber selten so konsequent umgesetzt wurde: Die männliche Hauptfigur läuft über zwei Drittel splitternackt durch die Gegend – kein verschämtes Filmen nur bis zum Bauchnabel oder die Unterhose als Mindesttextil – und vergewaltigt ein unwilliges Eingeborenenmädchen (das in typischer Chauvi-Manier dem Helden danach bei seinen Aktionen nur zu gern behilflich ist – Motto: Vergewaltigung macht willig; zeichnet kein erfreuliches Frauenbild von Deodato). Kombiniert mit dem bereits oben angesprochenen nüchtern dargestellten Ausweiden eines Körpers, das bis ins kleinste Detail gezeigt wird, ergibt dies ein dreckiges Gesamtbild, das die Rezeption nicht angenehm macht. Die Welt wird so gezeigt, wie sie ist, ungeschönt und unverfremdet.

„Ultimo mondo cannibale“ präsentiert sich somit letzten Endes als zwiespältige Angelegenheit, wie es eigentlich jeder Kannibalenfilm sein sollte, in dem Tiere sterben müssen, weil der Regisseur es will: einerseits erstaunlich zurückhaltend im Gewaltgrad und spannend, durchaus gut gespielt und die besondere Atmosphäre des Dschungels wie die Geräuschkulisse, die ungewöhnliche Tierlaute einfängt, die man im Leben nicht so oft bis gar nicht hört, hervorragend für sich nutzend, andererseits sich selbst ein Bein stellend durch die ausgiebig zur Schau gestellten Grausamkeiten an Mensch und Tier, die die interessante Ausgangslage teilweise überlagern – ein großes Problem, das er mit dem wohl berühmtesten Vertreter des Genres „Cannibal Holocaust“ ebenfalls von Ruggero Deodato teilt. 5/10.

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