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Albert ist Strassenmusikant in Paris und verdient sein Geld damit, dass er Passanten Notenhefte zum Mitsingen verkauft. So lernt er auch die junge Rumänin Pola kennen und verguckt sich natürlich in sie. Blöd nur, dass die bereits mit einem gewissen Fred zusammen ist. Doch als sich herausstellt, dass der wiederum schon eine andere hat, verlässt Pola ihn und schmeisst sich, zu dessen grosser Freude, an Albert heran.
Es läuft gut mit den beiden (abgesehen von einigen Kabbeleien zwischen Albert und Fred); sie wollen bereits zusammenziehen und nächstens mal heiraten, doch da findet die Polizei in Alberts Wohnung gestohlenes Silber, das Bill, ein mit ihm befreundeter Dieb, dort deponiert hat. Albert wandert unschuldig in den Knast; Fred, tatsächlich Chefgangster der Gegend und auch Auftraggeber besagten Diebes, verlässt vorsichtshalber mal die Stadt. Pola indes bändelt mit Louis, Taschendieb und ebenfalls ein Kumpel Alberts, an.
Nach einiger Zeit wird der wahre Silberdieb gefasst und Albert aus dem Gefängnis entlassen; zudem kehrt Fred zurück nach Paris. Jetzt muss Pola sich zwischen drei Männern entscheiden...

Wieder ein früher Tonfilm, diesmal aber einer aus Europa. Auch hier wird das neue Medium dazu benutzt, Musik und Gesang (vor allem Chansons) auf die Tonspur zu bannen, wobei es sich bei SOUS LES TOITS DE PARIS aber nicht um ein Musical handelt, zumindest gibt es keine Tanznummern und sowohl Songs als auch Musik sind der Handlung eher untergeordnet als umgekehrt.

Ein reiner Tonfilm ist der Streifen übrigens (wie so viele frühe Vertreter seiner Art, angefangen beim legendären JAZZ SINGER) auch nicht, sondern eine Art Hybrid-Film, der zu grossen Teilen aus stummen Passagen besteht (inklusive vieler Dialogszenen), die höchstens von Musik oder einzelnen Geräuschen unterlegt werden. In diesen ist der Ton aber auch gar nicht nötig, um der Handlung folgen zu können (man kommt zudem ohne Untertitel aus). Schuld daran dürften übrigens weniger die technischen Schwierigkeiten sein, als Clairs kritische Einstellung gegenüber der neuen Art Film: Wo der Ton nicht unbedingt vonnöten ist, lässt er ihn, wie geschildert, aus; andererseits hat er auch gemerkt, was man damit machen kann: Den Kampf im letzten Viertel des Filmes lässt er im Dunklen und nur über die Geräusche stattfinden.

René Clair (bekannt geworden mit dem dadaistischen Kurzfilm ENTR'ACTE, hier mit seinem ersten Tonfilm zugange) liefert eine leichtfüssige Komödie über die Unterschicht von Paris ab, die anfangs vielleicht etwas lange braucht, um in die Puschen zu kommen (es dauert doch ein Weilchen, bis sich endlich so etwas wie ein Plot entwickelt), und auch danach ab und zu die eine oder andere Länge hat, aber grösstenteils doch einen guten Rhythmus findet zwischen Slapstick, vereinzeltem Wortwitz, Melodram und dank Fred, dem Gangsterboss, auch ein bisschen Spannung hat. Letztere findet ihren Höhepunkt in erwähntem Kampf zwischen Fred und Albert, die doch recht hart rüberkommt. (Mit der anschliessenden Verfolgungsjagd, die sich die Verprügelungswilligen mit der Polizei liefern, geht man dann aber schnell wieder in Richtung Slapstick.)

Ein Schwachpunkt der Story ist der Charakter der Pola. Ich sag's mal frei heraus: Sie ist eine treulose Schlampe, die sich von Kerl zu Kerl und wieder zurück hangelt. Erst ist sie ja noch das Betthäschen von Fred (zumindest hätte er das gerne), dann wirft sie sich Albert an den Hals. Als der im Gefängnis landet, ist Louis dran, als dieser wiederum anderen Weibern nachguckt, geht sie wieder zum zurückgekehrten Fred, dann ist der aus dem Knast entlassene Albert nochmals dran und schliesslich muss dieser zusammen mit Louis auswürfeln, wer die Tussi nun kriegen soll. Klar, sie ist ein schüchternes kleines Frauenzimmer ohne Vermögen, das Unterstützung gebrauchen kann und sich diese halt bei den gerade unbesetzten Herren sucht und man weiss Schlussendlich nicht, ob man vielleicht nicht doch Mitleid mit ihr haben soll (oder ob René Clair hier eine sozialkritische Anmerkung machen wollte). Trotzdem: Allzu sympathisch kommt sie nicht rüber.

In visueller Hinsicht bieten sich dem Zuschauer ein paar eindrucksvolle Kamerafahrten durch die „Häuserschluchten" von Paris dar und auch sonst versucht Clair, mit dezenten Kamerabewegungen die langen Einstellungen aufzulockern und das Bild nicht allzu statisch werden zu lassen. Und der eine oder andere Blick auf das Paris der Dreissiger Jahre hat doch was ungemein Charmantes.

Wie oben gesagt: Pola Illéry (wieso eigentlich treten die beiden Hauptdarsteller mit ihren echten Namen auf?) hat aufgrund des zwiespältigen Charakters, den sie spielen muss, bei mir einen schweren Stand. Aber ich muss ihr zugestehen, dass sie in ihrer Rolle überzeugt - und irgendwie ist sie doch ganz süss.

Albert Préjean (der unter anderem in drei Kommissar-Maigret-Verfilmungen die Hauptrolle gespielt hat) gibt den Albert verschmitzt, aber mit einem Schuss Melancholie. Seine recht plumpen Annäherungsversuche an Pola (die man heutzutage teilweise wohl als sexuelle Belästigung bezeichnen würde) irritieren zwar etwas, aber dennoch ist er doch alles in allem ein netter Kerl.

Gaston Modot (als Filmschauspieler schon seit Anfang des 20. Jahrhunderts unterwegs) ist als Fred angemessen grosskotzig und arrogant (der Schnauzer hilft). Edmont T. Gréville als Louis und Bill Bocket als der diebische Bill haben wenig zu tun.

Fazit: SOUS LES TOITS DE PARIS könnte von mir aus etwas schneller zur Sache kommen, aber unterhält doch mit viel Witz, etwas Spannung und guten Schauspielern; die Mischung aus Ton- und Stummfilm gibt dem Streifen einen zusätzlichen Reiz. Wer mit Chansons oder Liebesmelodramen nichts anfangen kann, sollte sich allerdings was anderes suchen.

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