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ULRICH TUKURS dritter Auftritt, als zwischenzeitlich von seinem Gehirntumor geheilter LKA-Ermittler Felix Murot, zählt zu den TATORT-Beiträgen der letzten Zeit, an denen sich die Geister scheiden. Die einen bezeichnen ihn als den "besten TATORT aller Zeiten", während die anderen an der recht experimentellen Episode weniger Gefallen finden.
Aufgebaut als blutrünstiges Shakespeare-Drama in mehreren Akten, hier und da Quentin Tarantino zitierend, und mit mehr Leichen als in Til Schweigers beiden Einsätzen zusammen, endet IM SCHMERZ GEBOREN in einem Finale, das einer antiken Tragödie gleicht.
Rache, eines der ältesten Motive überhaupt für Mord und Totschlag, ebenso in der klassischen Literatur als auch im inszenierten Krimi, ist der Auslöser für eine perfide, bis ins kleinste Detail durchdachte Charade eines charismatischen, aber wahnsinnigen Schurken, der von ULRICH MATTHES eindrucksvoll verkörpert wird. Er ist der ideale Gegenspieler für den eher schnöden und trockenen Murot, dem hier, neben der über alle Maßen übertriebenen Handlung, eine Vergangenheit angedichtet wird, die so gar nicht zu seinem Typus passen will. Trotzdem ist die Konfrontation der einst besten Freunde, die sich sogar die Geliebte teilten, äußerst hervorragend gespielt und mit herrlichen Wortduellen abgestimmt. Auch wenn der Großteil des Intrigenspiels voreilig offenbart wird, erstreckt sich vor allem im Finale ein ungeheurer Spannungsbogen. Darüber hinaus besticht der Krimi ohnehin vielmehr durch das beeindruckende Schauspiel, die sehr gute Besetzung und dem Wahnwitz des Gegenspielers, auf den die komplette Handlung aufgebaut ist.
IM SCHMERZ GEBOREN ist nicht der beste TATORT und auch nicht so schlecht, wie ihn die Kritiker sehen, die ohnehin mit experimentellen Inszenierungen nichts anfangen können und alles zerreißen, was nicht der sonntäglichen Kriminorm entspricht. Dieser TATORT ist gewöhnungsbedürftig, aber das war der letzte Kölner TATORT auch! Der Kölner TATORT hatte Längen und eine Story, die man als belanglos bezeichnen konnte. Dieser TATORT hatte keine Längen, überrascht mit einer packenden Geschichte und ist, trotz gewisser inszenatorischer Freiheiten, sehr unterhaltsam.
Shakespeare, Operetten und die krankhafte Auswirkung von Kunst auf die Psyche des Menschen, auch Stendhal Syndrom genannt (Dario Argento lässt kurz grüßen), dazu Verweise an Tarantinos Inszenierungsstil, den klassischen Western und den französischen Film - dieser TATORT ist mehr Kunst als "normale" Krimi-Unterhaltung, mehr theatralische Bühnen-Inszenierung mit Tiefgang als steife Verhör-Methodik. Das Sinfonieorchester des Hessischen Rundfunks steuerte den Soundtrack bei, der die klassischen Nuancen einer Shakespeare-Tragödie unterstreicht, ALEXANDER HELD begleitet als eine Art Moritatensänger das Publikum von Akt zu Akt, während das Kernstück des infernalischen Rachefeldzugs, die blutige Konfrontation zwischen Polizei und Gangstern, trotz Dutzender Toter und drastischer Shoot Outs, durch einen Kniff abgemildert wird:
Während bei Tarantinos Rache-Epos "Kill Bill" die Teehaus-Szene zur Entschärfung des blutigen Gemetzels in schwarz-weiß gedreht wurde, wurde hier die Methode variiert und das Massaker mit Ölgemälden (als weiterer Verweis zur Kunst) nachgestellt. Das mag inszenatorisch anspruchsvoll und geschickt gelöst sein, raubt dieser Szene aber jegliche Dramatik. Und zugegeben: mit ULRICH TUKUR, der mit einer MP und versteinertem Gesicht wild um sich schießt, ist dann, bei aller Liebe zur Theatralik, der Gipfel unfreiwilliger Komik erreicht. In dieser Szene das musikalische RAMBO-Thema und der Wechsel vom Drama zur Komödie wäre perfekt gewesen.

Wie gesagt: IM SCHMERZ GEBOREN ist, wie man es von Shakespeares dramatischen Stoffen kennt (oder eben nicht), kein leichtes Vergnügen. Die Ansprüche wurden hoch gesteckt und größtenteils erreicht - nur muss man als Zuschauer tolerant genug sein, dass diese Ansprüche auch genügen. Und genau da trennt sich die Spreu vom Weizen, was diesen TATORT die Fernsehgemeinde in zwei Lager teilen lässt. Bei IM SCHMERZ GEBOREN gibt es nur "gut" oder "schlecht" - ein Mittelding ist, bei dieser extremen Inszenierung, nicht möglich. Hier verhält es sich wie bei Til Schweiger und seinem "Nick Tschiller": man liebt ihn - oder man hasst ihn.
Ich als Filmfreund und Kenner, der die Verweise richtig zuordnen und daran Spaß und Freude empfinden kann, will nicht unbedingt behaupten, dass ich ihn liebe - aber ich finde ihn gut und sehr unterhaltsam. Nicht ganz so packend und unterhaltsam wie der letzte Münchner Beitrag, DER WÜSTENSOHN, aber auf einem überdurchschnittlichen Level. Ein Meisterwerk ist er nicht, und schon gar nicht der beste TATORT überhaupt - denn dafür war er nicht perfekt genug. Ein durchaus interessantes Projekt, das aber nicht in Serie gehen muss. Aber eine kleine Ablenkung von der Ermittlungsroutine tut einem alten Schlachtross wie dem TATORT hin und wieder auch einmal ganz gut!

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