„Große Mädchen weinen nicht“. Ich schon. Was für ein Quark!
„Große Mädchen weinen nicht“: Geste statt Gehalt.
Ist GMWN Trash? Oder Camp? Ich tendiere zum zweiten, denn Camp sei (so wie ich Wikipedia verstehe) eine stilistisch überpointierte Art von kulturellen Produkten, die am Künstlichen und der Übertreibung orientiert ist; oft gehören die als „campy“ erlebten Werke der Trivial- oder Populärkultur an.
Besonders als „Camp“ gelten Werke, die ihrer Epoche zeitlose Archetypik und Großartigkeit vermitteln wollten und dabei mehr oder minder grandios scheiterten.
GMWN will tatsächlich zeitlose Phänomene vermitteln, wie „die Jugend“, „die Sorgen der Jugend“, „die Gefahren der Jugend“ oder „Versuchung und Verführung“. Das heillos überzogene Pathos, mit dem dies GMWN versucht, spricht für „Camp“.
Ferner entstehe sog. „campy Kunst“ eher naiv und unfreiwillig. All das (Anspruch, Pathos, Naivität) qualifiziert GMWN für „Camp“. Denn ein Merkmal für Camp ist: Alles ist ernst gemeint!
Doch damit empfiehlt sich GMWN zugleich auch als Trash, jedenfalls der Kategorie „unfreiwilliger Trashfilm“ (Wikipedia): Das seien Filme, die unfreiwillig schlechte Machwerke darstellen.
„Charakteristisch ist der sichere, naive Glauben der Filmemacher und Vertreiber an die Qualität des Produkts.“ Das sei „ein wesentlicher Faktor, der neben einem offensichtlichen filmischen Defizit (z. B. dümmliche Plots) zur Belustigung des Zuschauers beiträgt.“ Diese Einordnung träfe oft auch auf „A-Movies“ zu, „also sehr kostenintensive, offenbar gut produzierte Projekte“, sogar mit guten SchauspielerInnen (GMWN!), doch „mit eklatanten Fehlleistungen“ und „unfreiwilliger Komik“. Dazu zählt GMWN!
Muß ich noch mehr sagen? Natürlich verlangt Ihr genervten LeserInnen nun von mir (genau wie von den Wikipedia-AutorInnen), meine Behauptungen mit Zitaten und Beispielen zu belegen. Sorry, Leute: Der ganze Film dient als Beispiel. Er soll irgendwie zwei junge Frauen portraitieren, also irgendwie realistisch sein – arbeitet aber mit extremem Realitäts-Exorzismus. Stattdessen hantiert er mit Pathos und einer Fülle von Klischees. Nehmen wir also zum Beleg einige der krassesten, auffallendsten Stereotypen und Gemeinplätze, die uns den Tiefsinn mit dem Holzhammer um die Ohren hauen. Nichts bleibt auf dem Teppich oder „normal“, alles ist übertrieben und dick aufgetragen. Ausstattung, Dialoge und Acting folgen natürlich jeweils auf dem Fuß, die Kamera rückt all den Quark übertrieben großartig ins Bild, bis mir die Augen tränten.
Arbeiten wir die Liste ab (ich liebe Listen!) und verfassen wir gleich ein „Handbuch für Trashfilmer – wie wird mein Film garantiert zu abgeschmacktem Trash? Welches sind die einfältigsten Klischees, die Dir einen Platz zur Prime Time im Deutschen Fernsehen garantieren?“. Achtung, Spoiler:
SCHAUPLÄTZE: Welche Stadt dient am besten als Tor zur Hölle? - Berlin.
Der beste Ort höllischer Niedertracht? - Szene-Diskothek.Wo soll die Tochter ihren Pappi beim Fremdgehen beobachten? - In der Disko.
Wo geht Daddy am besten fremd? - In der Disko.Wie zeige ich den Verfall der braven Töchter? - Sie ballern sich Koks rein.
Wo? - Im Disko-Hinterzimmer.
PS: Wie begründe ich vor dem Produzenten die Disko-Szenen? - Sie brauchen keinen Dialog, ich kann alle meine bunten Lampen anknipsen, ich kann coole Musik laufen lassen, ich kann heiße Girls ihre Knackärsche schütteln lassen, keiner muß schauspielern können.
PERSONAL:1.) Beruf des Love Interests A? - Musiker (Im Jugendfilm: In 'ner Band; Im Erwachsenenfilm: Liedermacher; Im Seniorenfilm: Alleinunterhalter).
Charakter von A? - So nett und lieb, daß er gleich die fiese Freundin abschiebt (gilt für alle Genres).
2.) Beruf des Love Interests B? - Fotograf. Charakter von B? - So nett und lieb, kriegt bei der geilen, fiesen Frau keinen Ständer.
Welches Auto charakterisiert einen süßen Fotografen? - Kübelwagen mit offenem Verdeck.Welches Licht für die Fahrt mit einem süßen Fotografen im Kübelwagen? - Orangene Abendsonne.
Wo wird mit dem Süßem nach der Fahrt gepoppt? - Im romantischen Maisfeld. (*)
3.) Welchen Bösewicht wähle ich? - Pornofilmer.Charakter des Bösewichts? - Am besten nicht bloss sleazy abgefuckter Pornofilmer, sondern auch noch Serienmörder und -vergewaltiger.
Wie gestalten wir einen einprägsamen Bösewicht? - Wir lassen ihn total ausflippen. D.h. Serienmörder genügt nicht, er muß der der irrste, übertriebenste, kreischendste, ungeduldigste Spinner der Filmgeschichte sein. Angesichts dieser „filthiest person alive“ soll John Waters weinend seine „Filth“-Preisträger heimgeschickt haben (also diejenigen, die noch nicht gestorben sind).Wo wohnt ein Bösewicht? - (Generell gilt: „Nicht kleckern, sondern klotzen!“ [Hitlers Generaloberst Heinz Guderian] Daher:) : In einem ganzen Stockwerk, einem Rohbau, unmöbliert.
PS: Die Wahl eines Pornofilmers als Bösewichts ermöglicht die richtige Antwort auf:Das erste Jobangebot für naive junge Mädels? - Strippen vor einem perversen Pornofilmer.
4.) Wir haben zwei Familien zu besetzen. (Es gilt: „Klotzen!“ Also:)a) Familie A: White Trash.
White Trash-Familie: beherrscht von religiöser Fanatiker-Mutter (à la Stephen Kings „Carrie“).White Trash-Familienvater: Duckmäuserischer Kriecher.
b) Familie B: Upper Class-Akademiker-Milieu, also glücklich, reich, nett zu Kind und dessen Freundin.Familienvater B: hat keine Sorgen, ist also gelangweilt, geht also fremd.
Fremdgehen: Geschieht öffentlich in der Szene-Disko, wo auch die Tochter rumhängt.Schlechtes Gewissen: führt zum Angucken alter Super-8-Filme aus glücklichen Zeiten.
Zur Erinnerung an gute alte Zeiten dienen: Alte Super-8-Filme.Kaputte Tochter B: Hängt mit offenen Pulsadern überm Müllkübel. Überlebt wegen der stets edlen Tochter A.
Edle, aber angefochtene Tochter A: Rettet Tochter B.Edle Tussi C: Ist kreuzbrave Songwriterin.
Kreuzbraves Mädchen: Fällt gleich dem Teufel (Serienmörder) in die Hände.Hintergrundmucke: Laut. Aus der Konserve.
Hintergrundmucke: Ist total ausdrucksvoll und vielsagend!Hintergrundmucke: Ist englischsprachig (weil der Film ja die Jugendszene „zeigt wie sie ist“).
Schauplätze: Alle nach extremem Stylish-Wert ausgesucht, krass pittoresk, voll kreativ und so.
So viel Schein, daß das reale Sein dann nicht weiter wichtig genommen wird, zeigt sich dann in Anfängerfehlern, z.B. beim Schnitt (wenn sie die Pillen runterschmeißt) oder beim Anschluß (wenn im pittoresken Hinterhof die leeren Flaschen verschwinden).
(*) Daher das Wort „Poppcorn“ (**)
(**) Im Bonus-Interview verrät Anna Maria Mühe (unfreiwillig), wie sehr der Film um's Lügen bemüht ist: Das romantische Örtchen war völlig ungemütlich und von Mückenschwärmen heimgesucht.
Es ist natürlich klar, jeder Film manipuliert da rum, aber in GMWN ist Manipulation der Standard: Jedes Bild, jede Idee soll mehr scheinen als es ist, übertreibt jegliche Realität, stellt Behauptungen ohne Bodenhaftung auf, serviert uns Codes, Chiffren und Symbole, die – wie Smileys in einer E-mail – leere Hüllen ohne Inhalt sind.