Review

Wenn man berücksichtigt, dass James W. Byrkit bisher fast nur als Mitarbeiter der Gore Verbinski-Mainstreamfilme von "Mousehunt" (1997) über die ersten drei Beiträge der Pirates of the Caribbean-Reihe (2005, 2006, 2007) bis hin zu "Rango" (2011) in Erscheinung getreten ist, dann kann man die Überraschung sicherlich nachvollziehen, die er als Regisseur mit seinem ersten Langfilm außerhalb des Fernsehens ausgelöst hat: "Coherence" gibt sich originell & verzwickt und kommt in einer eigenwilligen Inszenierung daher; hinzu gesellt sich eine ungewöhnliche, aber keineswegs neuartige Form des Umgangs mit den Darsteller(inne)n, die vielfach improvisieren durften und bloß häppchenweise über den Verlauf der Handlung aufgeklärt worden sind. Dennoch ist der Film noch konventionell genug, um als Genrefilm zu funktionieren und sein Publikum zu erreichen: "Coherence" ist ein kleiner Achtungserfolg unter hartgesottenen SciFi-Fans, bleibt jedoch als kammerspielartiges Werk in seiner Fixierung auf seine originelle Grundidee und in seinem Verzicht auf spektakuläre Schauwerte eher ein Nischenfilm - wie in den Jahren zuvor etwa "Primer" (2004), "The Man from Earth" (2007) oder "Moon" (2009) -, hebt sich von solchen Independent-Erfolgen allerdings dadurch ab, dass es hier nicht nur eine kreative Idee, sondern zugleich auch eine konsequent gestaltete, intelligent gewählte Form gibt, in der das Ganze daherkommt... hier ist Film tatsächlich einmal Film und nicht bloß eine hübsch pointierte Kurzgeschichte. Tatsächlich scheint die Entsprechung von Form und Inhalt sogar das Beste am Film zu sein, der vor allem Cineasten beeindrucken dürfte, während SciFi-Fans mit dem leider etwas simplen & vorhersehbaren Schluss und den diversen Logikfehlern, welche die Figuren des Films vereinzelt begehen, zum Teil ein wenig hadern dürften.

"Coherence" ist ein Titel, bei dem eigentlich von vornherein klar ist, dass es letztlich gerade nicht um Kohärenz im allgemeinen Sinne (und schon gar nicht um Dekohärenz), sondern um Inkohärenz geht: Das zeigt sich zunächst bloß in der Form, die ein unvorbereitetes Publikum ähnlich überrumpeln dürfte, wie es einst Godards "À bout de souffle" (1960) oder die Filme der Dogma-Bewegung vermochten. Die Handkamera wird oftmals unruhig & nervös geführt, die Schnitte schneiden hier tatsächlich ganz erheblich: sie wollen nicht unsichtbar, sondern hart sein, sie folgen größtenteils der jump cut-Ästhetik und irritieren den Fluss der Bilder spürbar. Bewusst unsaubere Achsensprünge bilden in dieser Hinsicht Höhepunkte, aber auch der großzügige Einsatz von Offscreen-Tonquellen und die Ausbreitung des Schnitts zur Leerstelle, zu einem schwarzen Fleck zwischen den Einstellungen - wie er schon bei Resnais oder später bei Lynch erprobt worden ist und in Deleuzes Filmtheorie als Ent-Kettung & Neuverkettung der Bilder einerseits und Reich der Inkommensurabilität und des Unentscheid- & Unerklärbaren andererseits behandelt wird[1] - werden die Kohärenz der Form regelmäßig aufbrechen: je länger der Film läuft, desto auffälliger & irritierender.
Zu Beginn ist noch nicht klar, dass [Achtung: Spoiler!] nicht bloß in der Form Unterbrechungen und Einschnitte entstehen, sondern dass prinzipiell auch die gesamte innerfilmische Wirklichkeit abgewürgt und durch eine neue ersetzt wird - oder ersetzt werden könnte: denn wann welche Realitäten in welchem Umfang durch Alternativen ersetzt werden, ist nicht ohne weiteres auszumachen, weshalb der Film auch einen hohen Wiedersehenswert besitzen dürfte, wenngleich solche Fragen nicht beantwortet werden müssen, um die Ereignisse des Films grundsätzlich nachvollziehen zu können.
Nach knapp zehn Minuten wird dann jedoch sehr plötzlich im Grunde der gesamte Film zusammengefasst: 1923 sei Millers Komet über Finnland gesichtet worden, die Einwohner wären zeitgleich desorientiert gewesen, hätten sich verlaufen und wären anschließend zum Teil davon überzeugt gewesen, anstelle ihrer Mitmenschen Doppelgänger wahrzunehmen. Die Frau, die diese Anekdote im versammelten Freundeskreis berichtet, durchlebt am Ende ganz ähnliches wie eine Frau aus ihrer Finnland-Anekdote, die später noch um eine Tunguska-Anekdote ergänzt wird. Und allmählich beginnt die Kohärenz mehr und mehr zu bröckeln: Die Freunde und Bekanntschaften, die sich für einen netten Abend im Haus des Gastgebers versammelt haben, stellen fest, dass Telefone und Internet nicht mehr funktionieren, seit ein Komet gut sichtbar über ihnen am Nachthimmel vorbeizieht. Während eines Stromausfalls begibt man sich nach draußen - und nach der Rückkehr sind heile Gläser plötzlich zerbrochen. Freunde verlassen die Wohnung und kommen sichtlich irritiert wieder zurück; es tauchen Fotos der Freunde auf, die offenbar an diesem Abend entstanden sein müssen, kaputte Handys sind wieder heile, Erinnerungen weichen voneinander ab - und bei gemeinsamen Erkundungsgängen stößt man schließlich auf eine fast vollständig identische Gruppe, die ähnlich panisch reagiert wie die Hauptfiguren auch; wobei Hauptfiguren im Grunde der falsche Begriff ist, denn viele von ihnen werden allmählich durch einen von zigmillionen weiteren Doppelgängern ersetzt.
Zeit, die Katze aus dem Sack zu lassen... oder aus der Kiste. Als man planlos nach Büchern über Kometen und Quantenmechanik oder 'solchen Krams' sucht, erinnert sich einer der Freunde an Schrödingers Katze - und schon beginnt man, sich über die seltsamen Begebenheiten im Klaren zu sein: Die am Beispiel einer Katze auf die gewohnte Umgebung übertragene Überlappung zweier Zustände innerhalb reiner Isolation mündet schließlich in eine Viele-Welten-Theorie, in der alle Abweichungen der Realität als eigene, alternative Realität bestehen. Kurz: Im Sog des Kometen entsteht außerhalb des Hauses ein blinder Fleck, über welchen man unkontrolliert in eine von zigmillionen Alternativwelten wechselt.

"Coherence" ist also der SciFi-Nachfolger von "L'Année dernière à Marienbad" (1961), ein deleuzesches Kristallbild von Film, eine scheinbar ungeordnete leibnizsche Pyramide oder borgeske Bibliothek: Die Virtualität ist Aktualität geworden und alles koexistiert nebeneinander, wobei ein blinder Fleck alles miteinander verquirlt. Spannend wird der Film besonders dann, wenn die Figuren merken, dass ihre Freunde längst nicht mehr die alten Freunde aus altbekannter Realität sind, sondern alternative Varianten, die es im blinden Fleck in die falsche Realität verschlagen hat: Form und Inhalt sind dann ganz beieinander.
Weshalb die tatsächlich sichtbaren Doppelgänger dann nur in so geringer Zahl in Erscheinung treten, ist bloß eine der Unklarheiten des Film, dessen größtes Manko sicherlich die haarsträubend unlogischen Folgerungen der Figuren sind, die mit mehr Glück als Verstand der Wahrheit näherkommen. Unnötig sind auch einige Einschübe, die das Publikum verunsichern sollen: ist die weibliche Hauptfigur, an deren Aktionen man von Anfang bis Ende teilnimmt und die mit ihrer Finnland-Anekdote bereits den gesamten Film vorwegnimmt, womöglich bloß wahnsinnig, wie sie selbst es an einer Stelle befürchtet? Oder liegt es an den Drogen, welche die Gastgeberin unbekümmert ins Essen gegeben hat? Diese Irritationsmomente lenken vom eigentlichen Ablauf ab, was auch für die kleinen Dramen der Figuren gilt, die ein paar unschöne Beziehungskrisen mit sich herumschleppen. Dass die Hauptfigur Probleme mit ihrem Partner hat, wird dann leider als einziger Punkt zufriedenstellend aufgelöst, wenn sie der zunehmenden Disharmonie in eine schönere Alternativwelt entflieht - welch unwahrscheinlicher Glückstreffer! -, um dort egoistisch ihr Alter Ego zu morden und an dessen Stelle zu treten - bis der neue, alternative Gatte so misstrauisch wird wie die Finnin in ihrer Anekdote zu Beginn.
Hier fehlt dem Film ein bisschen die dramaturgische Konsequenz, die sicherlich auch auf das Konzept der Improvisation zurückgeht: für eine psychologische Studie bleiben die vielen Figuren in knapp 80 Minuten (auch angesichts der bizarren Ereignisse, welche die Aufmerksamkeit doch ziemlich auf sich selbst ziehen) zu flach und eindimensional und auch als Beziehungsdrama mag "Coherence" nicht so recht funktionieren, die Viele-Welten-Theorie ist dann doch vor allem ein Aufhänger für einen mysteriösen Thriller und wird nicht ernsthaft verhandelt, zumal falsche Fährten das Konzept eher stören.
Kann man sich mit solchen Abstrichen - zu denen auch manche Dummheiten der Figuren zählen - arrangieren, bekommt man zumindest einen unterhaltsamen & originellen SciFi-Mystery-Thriller geliefert, dessen eigenwillige und vielleicht etwas gewöhnungsbedürftige Form das Thema der Virtualität, der real werdenden Alternativen hervorragend umsetzt. Ein wirklich schöner Soundtrack rundet das Ganze dann noch ab.
7/10


1.) Vgl.: Gilles Deleuze: Das Zeit-Bild. Kino 2. Suhrkamp 1997; S. 263-277.

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