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Erwachsenwerden zum Anfassen

Richard Linklaters "Boyhood" ist kein Film, den man sich mal eben zwischendurch anguckt. Er stand daher ungewöhnlich lange auf meiner Watchlist. Doch vor die diesjährige Oscarverleihung passte das intime 3-Stunden-Epos perfekt und das Warten hat sich gelohnt. "Boyhood" erzählt die Geschichte des kleinen Mason, von den ersten Schultagen bis zu den ersten Stunden am College. Über 12 Jahre gedreht, durchgehend mit den gleichen Schauspielern, ist es genau diese Besonderheit, die einem außergewöhnlich nah geht. Nie zuvor sah man Menschen, lebendig in alltäglichen Geschichten, in so kurzer Zeit vor dem eigenen Auge aufwachsen, groß werden, sich verändern. "Boyhood" ist ein Mammutprojekt, ambitioniert und irgendwie genial. Die Darsteller sind allesamt, durch jedwede Altersstufen sehr stark und wachsen einem ans Herz. Die ganze Geschichte wirkt extrem realistisch und so etwas hat man schlicht noch nie gesehen. Komprimiert und konzentriert. Das wird einzigartig in der Filmgeschichte bleiben. Linklater hält über ein Jahrzehnt alle Fäden in der Hand und orchestriert sie meisterhaft, lässt sie schwingen, klimpern und erstarren, immer in den richtigen Momenten.

Linklater war schon immer ein Meister darin, im Alltag und kleinen Gesten den Sinn des Lebens einzufangen. "Boyhood" ist da keine Ausnahme, eher sein neues Paradebeispiel. Fast hat das Langzeitprojekt eine Art Dokucharakter. Jeden weiteren zeitlichen Sprung erwartet man mit Spannung und die Alltäglichkeit der Ausschnitte verfehlt ihre Wirkung nicht. Das Erwachsenwerden ist halt überall ähnlich. Zu sagen, die fast drei Stunden hätten absolut keine Längen, wäre zwar gelogen, langweilig wurde mir jedoch nie. Dafür sorgen schon der feine Soundtrack und die vielen nachvollziehbaren Meilensteine, von Britney Spears über Dragonball Z bis Harry Potter, mit denen man womöglich selbst aufgewachsen ist. "Boyhood" ist greifbar, weise und zutiefst menschlich. Experiment gelungen. Und wenn der Film mit Masons Beginn am College endet, kann schonmal eine kleine Träne ins Auge laufen und man gönnt ihm ein schönes weiteres Leben. Aufregend wird es sicher. Denn "Boyhood" zeigt, dass jedes Leben besonders und faszinierend ist. Man muss nur richtig hinsehen.

Fazit: teilweise ein Experiment, teilweise ein unheimlich bewegendes Epos über das Aufwachsen und Aufblühen. Im Kleinen wie Großen. Über das Sein und das Werden. Wundervoll wie das Leben selbst. Mit dem Auge für das große Ganze sowie das kleine Feine. Eine kraftvolle, menschelnde Kombination und Komposition. Einzigartig!

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