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Nachdem „Captain America: The First Avenger“ die Ursprungsmythologie des Comichelden als historisches Abenteuer mit Steampunk- und Fantasyelementen erzählte, ist die Fortsetzung „Captain America: The Winter Soldier“ ein vergleichsweise geerdeter Mix Politthriller und Comicaction.
Steve Rogers (Chris Evans), besser bekannt als Captain America, ist also nach den Geschehnissen des Erstlings und von „The Avengers“ als S.H.I.E.L.D.-Agent tätig, häufig in Kooperation mit Natasha Romanoff (Scarlett Johansson) alias Black Widow. Als moralisches Gewissen der Organisation kann er sich nicht immer mit den Taktiken und Zielen von S.H.I.E.L.D. identifizieren, was gerade im Zusammenspiel mit dem pläneschmiedenden Direktor Nicky Fury (Samuel L. Jackson) und der ähnlich eingestellten Black Widow zu Differenzen führt. Damit zeigt sich der Gegensatz zwischen einem zwar veraltet wirkenden Idealismus und der deutlich weniger skrupelhaften Politik heutiger Tage, die den Film hindurch den Wert des angeblichen Fossils Captain American zeigt und gleichzeitig auf den Anachronismus des ersten Avengers in der heutigen Zeit verweist – ähnlich wie auch schon der erste Filme die Figur neu dachte.
Diese moralische Klarheit, der Mangel zu ideologischen Kompromissen ist es dann auch, der Nick Fury in die Wohnung von Rogers führt, nachdem ein Attentat auf ihn verübt wird. S.H.I.E.L.D. ist von Verrätern unterwandert worden, die auch noch den Winter Soldier, einen geheimnisvollen Assassinen, für ihre Zwecke eingespannt haben. Bevor Rogers Genaueres von Fury erfahren kann, wird dieser von einer Kugel des Winter Soldier niedergestreckt. Nicht nur Comickundige, auch mit dem Genre vertraute Filmzuschauer werden die Identität des Winter Soldier erahnen, dessen Name zudem an den berühmten Winter-Soldier-Prozess aus dem Jahre 1971 erinnert, in dem US-Kriegsverbrechen in Vietnam untersucht wurden.

Alexander Pierce (Robert Redford), ein Freund Nick Furys und Teil des Weltsicherheitskonzils, übernimmt die Leitung von S.H.I.E.L.D. nach dem Vorfall, doch für Rogers sieht es nicht gut aus. Die Verräter schieben ihm die Tat in die Schuhe und machen Jagd auf ihn, woraufhin der Captain gleichzeitig die eigene Unschuld beweisen und die Hintergründe der Verschwörung aufdecken muss. Seine einzige Verbündete: Black Widow...
Einen modernen Politthriller drehen und gleichzeitig Robert Redford als Aushängeschild des Genres in einer Nebenrolle zu casten, das hat schon was, zumal der Altstar eine famose Performance aufs Parkett legt. Chris Evans als gestählter Sunnyboy, der immer noch nicht so recht in der Gegenwart angekommen ist, überzeigt wie schon im ersten Teil, Scarlett Johansson als undurchsichtige, mit allen Wassern gewaschene Agentin bildet ein hervorragendes Team mit ihm. Samuel L. Jackson dagegen muss in erster Linie cool sein und schafft das ohne sich allzu groß anzustrengen, während Haley Atwell unter dickem Make-Up eine Szene als gealterte Peggy Carter mit Bravour meistert. Unter den Neuzugängen macht vor allem Frank Grillo, derzeit anscheinend der erste Ansprechpartner für Harter-Mann-Rollen in Hollywood, eine gute Figur, auch Emily VanCamp und Cobie Smulders überzeugen, während Anthony Mackie ganz solide agiert, aber darstellerisch doch etwas gegen den Rest abfällt. Neben dem obligatorischen Cameo von Stan Lee und einem von Danny Pudi, mit dem die Russo-Brüder schon bei „Community“ zusammenarbeiteten (und an dessen Abed-Rolle sich der Part auch anlehnt), sind auch einige Darsteller des Erstlings (oft in Rückblenden) kurz zu sehen und während der Credits gibt es natürlich auch Cameos.

Diese letzten Cameos bereiten teilweise auch schon „The Avengers 2“ vor, wie auch „Captain America: The Winter Soldier“ das Marvel-Universum weiterschreibt: Am Ende stehen einschneidende Veränderungen für die gesamte Mythologie, die interessante Folgen für die Fernsehserie „Agents of S.H.I.E.L.D.“ und die nächsten Filmadaptionen haben dürfte. Der Wille zur Weiterentwicklung macht aus dem Sequel mehr als nur einen x-beliebigen Comicactionreißer, zumal auch weitere neue Helden- und Schurkenfiguren im Verlauf der Handlung entstehen, während die Geschehnisse des Erstlings immer noch als wichtiger Part mitschwingen.
Gleichzeitig muss man zugeben, dass die Story vom Bauernopfer, das deutlich wehrhafter als gedacht ist und auf der Flucht zurückschlägt, schon mehr als einmal erzählt wurde, doch „Captain America: The Winter Soldier“ macht keinen Hehl aus seinen Vorbildern, die vor allem in den 1970ern gedreht wurden. Mancher Plottwist ist natürlich wenig überraschend (Denkt wohl irgendjemand, dass Nick Fury tatsächlich stirbt?) und trotz der Verschwörung ist das „Captain America“-Sequel ein gradliniger Reißer, dessen Wendungen in erster Linie den Motor am Laufen halten, weniger dem Zuschauer den Boden unter den Füßen wegziehen. Doch die Russo-Brüder legen dabei ein bewundernswertes Tempo, bei dem die einzelnen Bestandteile des Films zackig ineinandergreifen, wodurch das kaum auffällt.

Was außerdem dazu beiträgt, dass „Captain America: The Winter Soldier“ mehr Eindruck hinterlässt als manche andere Superheldenreißer, ist die Tatsache, dass die Action wesentlich geerdeter daherkommt. Meist beharkt man sich im Nahkampf oder mit Faustfeuerwaffen, die Unterstützung durch CGI und Drahtseile gibt es nur in geringerem Maße, dafür eine gute Actionchoreographie, die vor allem der versierten Second-Unit-Regie von Spiro Razatos geschuldet sein dürfte. Gerade die Kämpfe Captain Americas gegen mehrere S.H.I.E.L.D.-Agenten in einem Fahrstuhl oder die Mano-a-Mano-Konfrontationen mit dem Winter Soldier haben den Charme des Spektakulären und trotzdem Körperlichen, bei den Verfolgungsjagden werden zudem reichlich echte Autos und nicht nur deren CGI-Modelle verschrottet, ehe das Finale dann verstärkt auf Zerstörung und Effekte setzt, als End- und Höhepunkt aber Derartiges auch einsetzen darf ohne dass es verschwenderisch wirkt, sondern viel mehr verdeutlicht was hier alles auf dem Spiel steht und welch episches Gefecht deswegen ausgetragen werden muss. Das konvertierte 3D bereitet in den Actionszenen mal Freude, mal Frust: In den schneller geschnittenen, dynamischen und nicht wirklich auf 3D ausgelegten Kampfszenen sorgt es für Unschärfen, andere Szenen zeigen dagegen die Möglichkeiten auf, etwa wenn auf diese Weise ausgesprochen plastisch ein Schiff als Schauplatz der ersten Actionszene eingeführt wird oder man die Autojagd nach dem Attentat auf Nick Fury dadurch noch unmittelbarer gestaltet.
Noch dazu beschäftigt sich „Captain America: The Winter Soldier“ auch teilweise mit dem Thema der staatlichen Überwachung: Mit dem Anschlag auf Nick Fury scheint ein neuartiges Projekt verbunden zu sein, bei dem drei Helicarrier, ähnlich dem aus „The Avengers“ von nun als fliegende Kontroll- und Einsatzstationen für S.H.I.E.L.D. dienen sollen und Terroristen frühzeitig aufspüren können. Nick Fury bezeichnet dies als nötigen Preis des Friedens, Steve Rogers vergleicht es damit der ganzen Welt eine Waffe an den Kopf zu halten. Es sind keine tiefschürfenden Erkenntnisse, die der Film im Zuge dieser Debatte zutage fördert, doch er thematisiert sie immerhin gelungen in den Plot eingebunden.

„Captain America: The Winter Soldier“ führt die Ereignisse aus dem Vorgänger und aus „The Avengers“ nicht nur konsequent fort, sondern er schreibt auch das Marvel-Universum weiter, hat ein paar Spitzen zu den Themen Geheimdienste und Überwachung parat und bietet einen packenden Comic-Politactionthriller mit dem richtigen Schuss Selbstironie und toller Besetzung. Dass das Ganze dabei das Genre der Comicverfilmung nicht unbedingt neu erfindet und sich auf bekannte Plotelemente verlässt, fällt in der bisher vielleicht besten Solo-Adaption aus dem Hause Marvel Studios dann auch nicht wirklich störend auf.

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