Review

Callboy Chris hängt mit seinen Kumpels an der französischen Mittelmeerküste ab, wo er bevorzugt Ausschau nach älteren Damen hält. Um seine Privatkasse aufzubessern, bestiehlt er anschließend die Kundinnen oder raubt sie aus, falls diese Wind davon bekommen. Nachdem er bei einer solchen Aktion handgreiflich wird und das Opfer regungslos am Boden liegt, flieht er in Panik aus dem Hotel. Auf dem Weg nach draußen entdeckt er eine offene Tür – die Suite Nr. 16 – wo der ältere und wohlhabende Glover im Rollstuhl lebt. Er versteckt Chris, und es entwickelt sich eine seltsame Freundschaft zwischen beiden Männern, welche fortan die Bedürfnisse des Anderen befriedigen.

In diesem Film geht es jedoch nicht um Homosexualität, auch wenn dieses Thema latent über dem Treiben der beiden Hauptpersonen schwebt. Zudem ist Glover eine hilfsbedürftige Vaterfigur, die ihren neuen rebellischen Sohn nur dadurch an sich binden kann, weil sie behauptet dass Chris seine letzte Kundin im Handgemenge erschlagen hat. Der Jüngling kann sich also vorerst nicht mehr auf der Straße blicken lassen, und lässt sich seinen Aufenthalt mit Drogen und Weibern versüßen. Als er checkt dass sein Treiben mit Videokameras beobachtet wird, dämmert ihm, dass Glover durch ihn wieder Freude am Leben empfinden will, da dieser gesundheitsbedingt weder Drogen verträgt noch als Gelähmter dem alten Rein-Raus-Spiel frönen kann.

Aus dieser Konstellation ergeben sich einige witzige Passagen, z.B. wenn Chris im Doggystyle vor der Kamera posiert oder wenn er von einem Lederschwulen rangenommen wird, nachdem er eine gefesselte Nutte beglücken sollte und meint „Eigentlich hatte ich mir das andersherum vorgestellt“. Nach einigen Jahren hat er diese Spielchen jedoch satt und verschwindet, muss aber schnell feststellen, dass das Leben außerhalb der Suite kein Zuckerschlecken ist. Glover hingegen steigert sich immer weiter in seine Phantasien hinein und verlangt von Chris schließlich einen Mord, was eine Ereigniskette in Gang setzt, an deren Ende sich Chris entscheiden muss, wie sein Leben weitergehen soll: bleibt er ein Sklave im Luxus oder nimmt er sein (ungewisses) Schicksal selbst in die Hand?

Ich finde diesen Streifen auf psychologsicher Ebene hochinteressant. Er schildert nachvollziehbar, wozu einsame Menschen in ihrer Sehnsucht nach zwischenmenschlicher Gesellschaft fähig sind. Ebenso wird die fast schon philosophische Frage aufgeworfen, ob man seines eigenen Glückes Schmied ist – und wenn ja – welche Konsequenzen das hat. Reicht es aus, die jeweiligen Vor- und Nachteile gegeneinander aufzuwiegen, um eine realistische Entscheidung treffen zu können? In der Not wird Moral zu einer flexiblen Sache, und wer das abstreitet, ist entweder ein Lügner oder war noch nie in wirklicher Not. Ich kann sowohl Chris als auch Glover verstehen, ihre unterschiedlichen Lebensentwürfe, die Beweggründe für ihr Handeln, auch wenn ich selbst nie in einer vergleichbaren Situation war.

Erwähnenswert ist auch Glovers persönlicher Diener, der zwar alltägliche Wünsche seines Brötchengebers erfüllt, sich jedoch nie die Hände schmutzig macht und sämtliche Drecksarbeit von Chris erledigen lässt. Ob dieser Diener irgendwann mal in einem ähnlichen Abhängigkeitsverhältnis stand, wird offengelassen, und so bleibt dessen Rolle und Motivation der Interpretion des Publikums vorbehalten. Im Hinblick auf das Ende ist das eine spannende Frage, ändert aber zunächst nichts an der portraitierten Beziehung zwischen Glover und Chris.

Wenn das Werk eines Regisseurs es schafft,  Empathie für seine Protagonisten hervorzurufen, hat er gewonnen, insbesondere wenn es sich dabei um wirklich alternative bis absurde Lebensentwürfe handelt, die auch ganz „normalen“ Zuschauern gewisse Erkenntnisse ermöglichen. Zu dieser Leistung tragen hauptsächlich Pete Postlethwaite als weiser Millionär und Antonie Kamerling als naives Großmaul bei, die sich stets amüsante Wortgefechte liefern. Die raren Außenaufnahmen machen Lust auf Urlaub a la Dolce Vita und durch seine künstlerischen Nacktszenen wirkt der Film auch sehr erotisch, sowohl für Hetero- als auch Bi- und Homosexuelle. Was mich letztendlich von der Höchstnote abhält, ist der konventionelle Ausgang, welcher dennoch konsequent ist und zum Nachdenken einlädt ... wie hätte man selbst anstelle von Chris gehandelt? – 9/10

Details
Ähnliche Filme