Review

Louis Malle's "Black Moon" ist zweifellos einer der seltsamsten und verrücktesten Filme, die ich je gesehen habe! Er scheint ohne jedlichen Sinn gedreht worden zu sein.
Und in der Tat gab Malle damals sogar zu, dass er es als Experiment betrachtete, einmal einen Film, ohne großartige Storyline und spezielle Vorgaben drehen zu wollen. Lediglich, dass er eine Art Märchen werden sollte, das sollte er festlegen.
Und ein Märchen ist ihm gelungen, ein äußerst bizarres obendrein!

Zu Beginn des Filmes verharrt die Kamera auf einen Dachs, der auf einer Landstraße seelenruhig herumschnüffelt. Man hört von weitem ein Auto heranrauschen und plötzlich erfasst es den Dachs. Eine erschrockene junge Frau steigt kurzzeitig aus. Sie befindet sich auf der Flucht, ihren Namen erfährt der Zuschauer nicht. Kurz darauf sieht man, warum sie flüchtig ist: männliche Soldaten kämpfen gegen weibliche Soldaten, der "Krieg der Geschlechter" wird von Louis Malle hier äußerst wörtlich genommen. Mit dieser Ausgangssituation könnte man den Film sogar als postapokalyptischen Sci-Fi-Streifen begreifen. Doch es bleibt nur eine Ausgangssituation. Quasi das notwendige Übel, das eintreffen muss, um Lily an diesen seltsamen Ort zu bringen.
Sie kann gerade noch einer Erschießung entkommen und gelangt nun auf dieses Anwesen.

Dort erlebt sie äußerst seltsame und bizarre "Abenteuer". Man kann zweifellos Parallelen zu "Alice im Wunderland" ziehen. Garantiert schwebte Louis Malle ein bisschen Lewis Carroll's wunderbar skurrile Märchenwelt im Kopf herum. Dort wie auch in "Black Moon" gibt es redende Tiere, verrückte Gestalten, scheinen die Gesetze der Realität ausser Kraft gesetzt. Die Szene im Schlafzimmer der alten Dame, als plötzlich aus heiterem Himmel die Uhren anfangen zu klingeln und Lily sie reihenweise aus dem Fenster schleudert, kann man als Homage an die Figur des verrückten Hutmachers aus der "Alice-Geschichte" interpretieren. Jedoch ist Malles "Alice-Version" weitaus düsterer und auch "schmutziger". Ein Einhorn taucht auf und sieht, bis auf das Horn natürlich, eher aus, wie ein kleines Pony. Nicht stolz, groß und weiß wie in den Märchen.
Hinzu kommt noch der schon eingangs erwähnte "Krieg der Geschlechter", den Malle mit ziemlich trostlosen Bildern zu schildern versteht. Auch ist "Black Moon" keine Allegorie auf das Erwachsenwerden. Lily flüchtet von einer bizarren Realität in eine andere und muss von nun an damit versuchen, klar zu kommen.

Bemerkenswert ist auch, dass der Zuschauer den Namen der "Heldin" irgendwann einfach so beiläufig erfährt, in dem sie mit dem männlichen Part des seltsamen Geschwisterpaares spricht. "Spricht"? Die Geschwister reden nicht, jedoch scheint der Mann durch Handauflegen mit Lily sprechen zu können. Und er heißt auch Lily, ebenso seine Schwester. Verwirrt? Fasziniert? Beides würde ich sagen. Aber man findet heraus, dass die "männliche" Lily sich doch mit Wörtern artikulieren kann, sie singt Arien aus "Richard Wagners Meistersingern", hört jedoch auf, wenn sich unsere Lily in der Nähe befindet.

Der Film ist voll von skurrilen Szenen, so sieht man die alte Dame (den Namen erfährt man nicht) im Bett liegen und mit einer Ratte sprechen. Die Sprache versteht weder Lily noch der Zuschauer. Dann scheint sie via Funkgerät mit irgendjemanden woanders zu sprechen, und zwar über Lily. Und wenn sie Hunger hat, lässt sie sich von ihrer Tochter Lily (der weibliche Part des Geschwisterpaares) die Brust geben.
Das klingt alles sehr verwirrend und bizarr? Ist es auch!

Jedoch übt der Film eine unheimliche Faszination aus, wenn man etwas mit solch verrückten Stoffen anfangen kann. Der Zuschauer fühlt wie Lily, zuerst ist man erstaunt und kann es einfach kaum glauben, was man sieht. Mit der Zeit gewöhnt man sich daran und wird zum Teil eines fantastisch-skurrilen Universums, das es eigentlich nicht geben sollte. Louis Malle lässt den Zuschauer allein, über eine konkrete Intension verfügt er nicht. Der Zuschauer muss selbst mit dem Gesehenen klar kommen. Was hat es mit dem Anwesen auf sich? Warum rennen nackte Kinder lachend und mit den Tieren spielend durch den Garten des Anwesens? Warum kann das Geschwisterehepaar anscheinend nicht reden? Fragen über Fragen...
Die Lösung bleibt dem Zuschauer selbst überlassen. Aber bestimmt hatte Louis Malle doch etwas im Sinn: die Rückkehr zum Ursprung, erklärbar durch die nackten, fröhlichen Kinder, die ohne Kleiderzwänge eins mit den Tieren und ihrer Umwelt zu sein scheinen. Und dass man, in all der harten Realität, seinen Sinn für die Fantasie nicht unbedingt verlieren sollte. Manchmal ist das Unlogische die einzig wahre logische Konsequenz. Reine Interpretationssache, natürlich. Jeder wird das anders sehen und gerade das macht diesen Film so interessant.

Es ist schwer ein schlüssiges Review zu schreiben, am besten jeder sieht sich diesen Film eigenständig an. Auf jeden Fall ist Louis Malle, einem echten Drama-Regisseur, ein interessanter surrealistischer Fantasyfilm gelungen, dessen Geheimnisse sich einem nicht beim einmaligen Ansehen erschließen. Abgerundet wird das Ganze durch sehr schöne Bilder des ehemaligen Bergman-Kammeramannes Sven Nykvist, der es schafft dieses Anwesen einmal verträumt und dann wieder kühl und seltsam erscheinen zu lassen. Auch die Darsteller fügen sich in dieses bizarre Treiben sehr gut mit ein. Herauszuheben sind auf jeden Fall die Hauptdarstellerin Cathryn Harrison, die es schafft ihrer Figur diese leicht kindlich anmutende Naivität zu verleihen, und der deutschen Bühnenschauspielerin Therese Giehse, als unheimliche alte, bettlegerische Dame. Wer etwas mit surrealistischen Stoffen anfangen kann, sollte einen Blick riskieren. Allen anderen wird er vermutlich zu wirr und auch langweilig sein.

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