Als im Fahrwasser von Wes Cravens Überraschungserfolg „Scream – Schrei!“ Teen-Horrorfilme immer populärer wurden, erschöpfte sich die Idee der immer neuen maskierten Killer bald. So ist es nicht verwunderlich, dass mit Dracula mal ein anderer Todesengel die Leinwände unsicher machte. Regisseur Patrick Lussier arbeitete für Cravens „Scream“-Trilogie bereits als Cutter, so dass es kaum überrascht, dass der Horrorpapst für Lussiers Regiedebüt seinen Namen hergab und es produzierte.
„Wes Craven präsentiert Dracula“ ist eine Mischung aus dem klassischen Bram-Stoker-Stoff und modernen Vampirfilmen á la „Blade“ oder „John Carpenters Vampire“. Um Horror im eigentlich Sinne handelt es sich bei „Wes Craven präsentiert Dracula“ allerdings nicht: Denn Angst verursacht die Milleniumversion des Fürsten der Finsternis nicht. Lussier zeigt zwar ein zwar ein paar ordentliche Schockeffekte, aber trotzdem kann man nach Genuss des Films problemlos schlafen gehen.
Der Beginn orientiert sich klar an der Buchvorlage: Als Dracula auf einem Schiff nach London transportiert werden soll, erwacht er und massakriert die Schiffsbesatzung. Dies ist stimmungsvoll, was vor allem am Score von Altmeister Marco Beltrami liegt.
Zeitsprung ins Jahr 2000: Ins Museum von Dr. Van Helsing (Christopher Plummer), Enkel des berühmten Vampirjägers Abraham Van Helsing, wird eingebrochen. Auch Van Helsings Mitarbeiterein Solina (Jennifer Esposito) gehört zu den Dieben um Marcus (Omar Epps). In der entdeckten Grabkammer finden die Diebe einen geheimnisvollen und stark gesicherten Sarg, dessen Sicherheitssystem zwei von ihnen das Leben kostet. Währenddessen spritzt sich Van Helsing den Inhalt eines Blutegels. In diesen Szenen werden bereits die beiden Stärken des Films impliziert. Zum ersten die religiöse Neuinterpretation des alten Stoffes, ausgedrückt durch die religiöse Symbolik (Kreuze etc.). Viele dieser Details fallen erst bei zweiten Mal Ansehen des Films ins Auge. Die religiöse Interpretation erklärt sehr konsequent typische Vampirmerkmale wie z.B. der Hass auf Kreuze, Silber und Sonnenlicht. Ebenso konsequent ist die Dichte des Drehbuchs. Denn die einzelnen Szenen sind untereinander brillant verlinkt, auch wenn sich ihre Bedeutung (wie hier die Blutegelszene) sich erst später dem Zuschauer offenbart.
So ist es auch passend, dass die nächste Überleitung sehr dynamisch ist: Mary Heller (Justine Waddell) träumt mit einem geheimnisvollen Fremden (Gerard Butler) in dem gestohlenen Sarg eingeschlossen zu sein. Aus ihrem Alptraum reißt sie ihre Freundin Lucy (Colleen Ann Fitzpatrick). Auch wenn Vitamin-C-Sängerin Fitzpatrick keine Topschauspielerin ist, passt die Figur der Lucy perfekt in Lussiers Neuinterpretation. Der Charakter der besten, sexuell aktiven Freundin der Heldin gabs schon in Bram Stokers Original, aber sie passt auch perfekt in den Neo-Horrorfilm (siehe Rose McGovan in „Scream“).
Dann geht’s zu den Klängen von Panteras „Avoid The Light“ zum Arbeitsplatz von Lucy und Mary, dem Virgin Megastore. So hat Lussier die Chance den Schriftzug Virgin über den Film hinweg immer wieder auftauchen zu lassen – eine Eigenschaft die ebenfalls sowohl auf Stokers Heroine als auch auf die meisten Scream-Queens zutrifft.
Währenddessen öffnen die Diebe in ihrem Flugzeug den Sarg und reaktivieren Dracula so. Zum Dank verhackstückt er die Bande und bringt den Flieger zum Absturz. Van Helsing, inzwischen auf der Suche nach seinem gestohlenen Eigentum, kommt in New Orleans an. Am Flughafen erfährt er, dass in einem Kaff in der Nähe die Leichen des Flugzeugabsturzes aufgebahrt wurden. Van Helsing und sein ihm nachgereister Assistent Simon (Jonny Lee Miller) machen sich zur Untersuchung der Leichen auf. Simon, sonst für die Verwaltung des Museums zuständig, muss zum Vampirkillerazubi werden. Bis auf Solina und Marcus können Simon und Van Helsing die Vampire töten. Nun enthüllt der Doktor seinem Assistenten sein dunkles Geheimnis: Er ist Abraham Van Helsing, nicht dessen Nachkomme. Er fing damals Dracula mit einem Spiegeltrick ein (den sich Dracula allerdings merkt), schloss ihn in dem Sarg weg und zapfte dessen Blut mit besagten Egeln ab. Mit diesem Blut erhielt er sich am Leben, da Dracula anscheinend nicht vernichtet werden kann. Doch er zeugte eine Tochter: Mary. In ihr lebt Draculas Blut weiter und er will sie zu seiner Königin machen. So hat Van Helsing neben der Rettung von Menschenleben auch ein persönliches Ziel bei der Verfolgung von Dracula im Sinn.
Bei der nun folgenden Jagd spielt Lussier mit dem vampirtypischen Aspekt der Verführung. Was macht ein Vampir, sonst an die keuschen Damen vergangener Jahrhunderte gewöhnt, in unserer heutigen Zeit in New Orleans, in dem sich willige Opfer an jeder Ecke zu den Klängen von Slayers „Bloodline“ darbieten. Aber auch diesen kann der Fürst der Finsternis in der Kiste etwas neues bieten: Sex beim Schweben.
Immer wieder interessant sind auch die visuellen Einfälle von Lussier: Wenn sich ein Glasauge in eine aufschwingende Tresortür verwandelt oder sich eine vermeintliche Holzstatue als Performancekünstler entpuppt.
Die Schauspieler sind nichts besonderes aber auch nicht schlecht. Meist passen sie auch wunderbar in ihre Rollen; lediglich Jeri Ryan wirkt etwas deplaziert: Ihr erster Auftritt als Nachrichtensprecherin ist ein wenig ironisch, aber auch ein wenig klischeehaft. In ihre weitere Rolle als Vampirin passt sie auch nicht wirklich, da ihr einfach die geheimnisvolle Ausstrahlung fehlt. Diese hat Jennifer Esposito (bekannt als Sekretärin in „Chaos City“) umso mehr, so dass sie ihre Rolle mit reichlich Sex-Appeal meistert und sich für größere Rollen empfiehlt.
In den Actionszenen ist „Wes Craven präsentiert Dracula“ sehr fetzig und temporeich. Es handelt sich meist um Zweikämpfe mit den „Matrix“ populären Drahtseilaktionen und Verfolgungsjagden. Meist sind diese routiniert umgesetzt, lediglich eine Kampfszene am Ende wirkt ein wenig zu gestelzt. Als eher actionreicher Vampirfilm steckt in „Wes Craven präsentiert Dracula“ auch eine Huldigung von John Woos „Harte Ziele“. Denn auch hier gibt es eine Verfolgungsjagd über den Friedhof von New Orleans inklusive Versteck in einem Grab.
Da Lussiers Regiedebüt seine Existenz zu großen Teilen Craven und dessen "Scream" verdankt, fehlt auch eine Hommage an Cravens Werk nicht: Auch Mary bekommt einen sehr bedrohlichen Telefonanruf...
Ordentlich ist auch der Humor: Teilweise makabere Details, aber vor allem coole Sprüche lockern den Film auf. Das beste Beispiel bietet ein Kampf zwischen Simon und Marcus: Simon drückt dem Vampir Marcus ein Kreuz ins Gesicht, doch dieser antwortet: „Sorry Alter, ich bin Atheist“. Daraufhin lässt Marcus eine versteckte Klinge aus dem Kreuz hervorspringen, sticht Marcus ins Auge und antwortet: „Gott liebt dich trotzdem.“
Doch das allerbeste ist die Musik: Hardrock und Heavy Metal vom feinsten, wobei „One Step Closer“ von Linkin Park der bekannteste Song sein dürfte. Die meisten Stücke des Soundtracks bekommt der Zuschauer auch im Film zu hören, die besten sogar relativ lang: „Ultra Mega“ von Powerman 5000 bei Feierlichkeiten in New Orleans, „A Welcome Burden“ von Disturbed im Abspann und „Metro“ von System of a Down bei Simons Besuch im Virgin Megastore. Zum Teil kommen diese in einer leicht veränderten Version (z.B. "Ultra Mega" oder "Ostego Undead" von Static X), aber den Kauf des Soundtracks kann ich nur empfehlen.
Im Endeffekt ist „Wes Craven präsentiert Dracula“ zwar ein etwas unentschlossener Genremix, aber die sehr gut ineinander übergehenden Handlungsstränge, die erstklassige Musik und die gelungene Umsetzung sorgen für einen unterhaltsamen Neo-Horrorfilm, der hervorragend für Videoabende geeignet ist.