Nach "Brüder" widmet sich der Bremer "Tatort" erneut einer Parallelwelt unserer Gesellschaft: waren es im vorletzten Einsatz Ermittlungen gegen einen verbrecherischen Familienclan, der Bremens Justiz fest in seiner Hand hat, so handelte der gestrige Einsatz des Ermittler-Gespanns Lürsen/Stedefreund von den mafiösen Strukturen hinter der "sauberen" Fassade von Bremens Entsorgungsbetrieben. Die Fäden im Hintergrund zieht dabei ein zwielichtiger Bewährungshelfer, der seine schwarzen Schafe als Müllmänner bei der Müllabfuhr unterbringt, dessen Personalchef widerum mit dem Leiter einer Müllverbrennungsanlage um einen profitablen Vertrag schachert, dessen Abschluss notfalls mit Erpressung über illegale Müllentsorgung durchgesetzt wird.
Während der Bewährungshelfer in einem China-Restaurant thront und von dort aus seine Machenschaften um sein "Bremer Modell" (so der Name des ehrgeizigen Projekts) steuert, bilden seine Ex-Knackis in einer Seitenstraße Bremens ihren eigenen kleinen Mikrokosmos: eine kleine Reihenhaussiedlung, in der "seine Jungs" untergebracht sind, die ihn ehrfurchtsvoll "Papa" nennen - und Papa wird´s richten - notfalls mit Gewalt.
Der Mord an einem der Ihren ruft dann auch Lürsen und Stedefreund auf den Plan, die ihre Ermittlungen in der Parallelgesellschaft beginnen. Was sich nach "Copland" mit Ex-Knackis anhört, entpuppt sich jedoch bereits nach wenigen Minuten als geschwätzige und stark überzeichnete "Mitten im Leben"-Schmonzette mit platten Sozialkitsch-Klischees und einem Soundtrack, der die ganze Bandbreite der 70er und 80er-Jahre Hitparade abdeckt. Neben dem Mord, der Lürsens und Stedefreunds Ermittlungen nach sich zieht, geht es darüber hinaus noch um das mysteriöse Verschwinden eines anderen Müllmannes und das Leben von Sascha, der über die Hintergründe des Mordes auspacken will und in ernsthafter Gefahr schwebt.
Eine Story mit Potential - nur leider arg konstruiert, überfrachtet und mit unzähligen Längen inszeniert, die sich zäh wie ein Kaugummi durch die Handlung ziehen. Waren es die reißerischen Themen und Inszenierungen, die dem Zuschauer lange Zeit qualitativ hochwertige Beiträge aus der Hansestadt bescherten, so ist in letzter Zeit ein leichter Abwärtstrend erkennbar.
Die Stories, die Bremen stets aufgreift, setzen sich zwar noch immer wohltuend von anderen Tatort-Beiträgen ab, aber Inga Lürsen, die Revoluzzerin im Tatort-Kosmos, verliert allmählich an Pfiff und Power. Während sie im Vorgänger "Brüder" relativ blass und nahezu machtlos ihrem Gegner gegenüber blieb, schafft es "Alle meine Jungs" zumindest im Ansatz, das alte Lürsen-Feuer wieder zu schüren und ein kleines Psycho- und Dialog-Duell zwischen ehrgeiziger Kommissarin und machtbesessenen Bewährungshelfer in Szene zu setzen.
Es ist die Szene, in der die Lürsen von "Papa", dem heimlichen Müllpaten", mit ihrem eigenen Abfall und dem ihrer Tochter konfrontiert wird, während parallel dazu Stedefreund von "seinen Jungs" brutal zusammen geschlagen und Sascha entführt wird. Eine subtile Drohung und Einschüchterung, der durch entsprechende Gewalt Nachdruck verliehen wird.
"Alle meine Jungs" zeigt zwar eindrucksvoll, wie die verschworene Gemeinschaft in ihrer eigenen Seitenstraße funktioniert, wie Patriarch "Papa" das Zepter in der Hand hält und Probleme auf eigene Art und Weise geregelt werden. Loyalität und Zusammenhalt prägen die "Familie" - auch wenn zu brachialen Mitteln gegriffen werden muss, um Querdenker wieder auf den rechten Weg zu bringen: zum Beispiel die Vergewaltigung von Saschas Schwester als Teil eines Gangrituals - mit der zuvor entwendeten Dienstwaffe von Lürsen durchgeführt! Dies geschieht zum einen, um der Kommissarin noch einmal zu beweisen, dass sie machtlos los ist und ihre Ermittlungen diese Eskalation zur Folge hatte. Und zum anderen um Sascha so von einer Aussage bei der Polizei abzubringen.
Das liest sich alles sehr spannend und hört sich wirklich gut an - aber das sind gerade einmal die zwei Höhepunkte, die "Alle meine Jungs" in den ganzen 90 Minuten vorzuweisen hat.
Angesichts der Tatsache, dass drei Autoren am Drehbuch werkelten und mit dem Oscar-dekorierten Florian Baxmeyer ein hochkarätiger Regisseur am "Tatort" tätig war, ist der Krimi gerade knapp unter dem Durchschnitt und somit nochmals etwas schlechter als "Brüder".
Letzten Endes ist es auch vollkommen belanglos, wer wen und warum unter Druck gesetzt, erpresst und ermordet hat - denn unter dem schweren Gewicht der Handlung mit diversen Nebensträngen und Verbrechen außerhalb des eigentlichen Mordfalls, verliert sich ohnehin jede Spur in einem Geflecht aus sozialer Abhängigkeit, falscher Loyalität, Erpressung und Mord.
Dieses Manko könnte man notfalls noch unter den Teppich kehren - trotzdem bleibt immer noch zu bemängeln, dass dieser "Tatort" trotz guter Ansätze und Darsteller, schlicht und ergreifend langweilig ist.
4/10