Review

Geld oder Menschlichkeit

Was würdest du tun: mit der Aussetzung eines Jahresbonus', könntest du die Stelle einer Kollegin retten. Geld oder Zusammenhalt? Eigene Träume erfüllen oder Menschlichkeit? Ego oder Hilfsbereitschaft? Genau darum geht es in "Zwei Tage, eine Nacht": eine Frau versucht über ein Wochenende ihre Kollegen davon zu überzeugen, für sie auf eine gehörige Geldsumme zu verzichten & bei der montags anstehenden Abstimmung nicht an sich zu denken, sondern ein grosses Opfer zu bringen. Und das, obwohl es fast keinem ihrer Kollegen finanziell & sozial wirklich besser geht als ihr... 

Arbeitslosigkeit, Menschlichkeit, Ängste, Geld, Depression, Gier, Opferbereitschaft, Wirtschaftskälte - dieser realistische Geniestreich der Dardenne-Brüder aus Belgien packt alles konzentriert in 90 Minuten, in ein Wochenende, in mitreißende Gespräche, eine unfassbare Charakterstudie & Situationen, die wir alle fürchten oder sogar kennen. Gerade wenn man sich selbst etwas mit den zutiefst menschlichen Themen auskennt, seien es Depressionen, Arbeitslosigkeit oder Eheprobleme, schnürt der Film einem teilweise unangenehm die Luft ab & klaut einem die Spucke. So verdammt gut ist dieser hyperrealistische Mix aus "12 Angry Men" und "Bicycle Thieves".

Der Star dieser Perle des europäischen Kinos ist ohne Frage Marion Cottilard, die die kämpfende & verzweifelnde Mutter, Ehefrau, Arbeiterin göttlich spielt. Jeder der je an ihrem schauspielerischen Talent gezweifelt hat, muss "Zwei Tage, eine Nacht" sehen. Nie übertrieben oder aufgesetzt, mit einem Blick Trauer, Verzweiflung & Hoffnung zugleich transportierend. Eine der besten Schauspielerinnen die wir in Europa haben! Ihre Wucht & Wichtigkeit wird nur von den Regisseuren & Schreibern der Geschichte getoppt: Jean-Pierre & Luc Dardenne übertreffen sich hier selbst. Wieviele nachvollziehbare, höchst aktuelle & berührende Themen sie in ihr dialogschweres Baby packen, muss man erstmal sacken lassen. 

Gerade in einer Welt & Wirtschaft, in der sich wohl kaum jemand zu 100% sicher sein kann, nächstes Jahr noch Arbeit zu haben & in der man immer öfters an der Menschlichkeit zweifelt, ist dieser Film ein bedeutsames & wichtiges Werk. Emotionale, nüchterne, packende Filmkunst. Man sagt, Filme entführen in andere Welten & alltagsfremde Abenteuer - die Dardennes zeigen einmal mehr, dass eben dieser Alltag & unsere normalsten Ängste, manchmal härter & unvergesslicher treffen als das größte Fantasy-Epos es je könnte. Vor allem das hoffnungsvolle Ende & die positiv gewendete Charakterentwicklung der Hauptfigur, entlässt einen staunend & lächelnd aus dem Kinositz. 

Fazit: ein Film, wie ein realistischer Zementklotz auf der Brust, dabei nicht ohne Hoffnung. Außergewöhnlich gut gespielt & ein simples Thema genial aufbereitet. Für mich das bisherige Meisterwerk der Dardennes!

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