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HÖHERE GEWALT ist ein ungemein starker Streifen über die Demontage des Rollenklischees des "starken" Geschlechts.

HÖHERE GEWALT zeigt geschickt auf, dass es weder eine echte Kontrolle des eigenen Lebens oder gar des von anderen gibt noch sich unsere Instinkte durch gesellschaftliche und moralisch-ethische Prägung völlig unterdrücken lassen.

Nach dem Versagen als Beschützer der Familie begeht Tomas den nächsten schwerwiegenden Fehler, denn anstatt sich mit seinem Versagen auseinander zu setzen, verleugnet er dieses nicht nur gegenüber sich selbst, sondern auch gegenüber seiner Frau.


Da Tomas das auf der rationalen Ebene vielleicht noch entschuldbare Versagen, allein seinem Überlebensinstinkt zu gehorchen, die Feigheit folgen lässt, sich diesem zu stellen, manövriert sich Tomas immer mehr in eine Sackgasse bzw. Ebba, die dieses Verdrehen der Wahrheit kaum glauben mag, drängt ihn immer weiter in diese argumentative und emotionale Sackgasse hinein.


Und spätestens hier bezieht Östlund Stellung, indem er Tomas als quasi gebrochenen Mann darstellt, der sogar zu feige dazu ist, seine Angst zuzugeben und als hysterisches Etwas sein wahres Gesicht zeigt. So kommt es zu einem Rollentausch und Ebba übernimmt die Rolle der Beschützerin der Familie. Zwar überlässt sie ihm die Führung in beherrschbaren Situationen (Skiausflug im Nebel), wenn es aber um echte Gefahrensituationen geht (Busfahrt), übernimmt sie das Zepter.

So wird am Ende des Filmes klar, dass nach dieser Prüfung die Rollen getauscht wurden. Letztendlich entscheidet das Bedürfnis und die Notwendigkeit nach Schutz und nicht die von der Gesellschaft vorgegebene Rolle.

Die Szenerie des mondänen Skiresorts ist dabei offensichtlich sehr bewusst gewählt. Hier flanieren tagsüber die Reichen und Wohlhabenden und geben vor, ihr Leben nicht nur zu jeder Zeit komplett im Griff zu haben, sondern auch über allem zu stehen, letztendlich auch über der eigenen Verletzlichkeit. Den Kampf gegen die Natur müssen sie aber schon lange nicht mehr selbst führen, der wird für sie in dieser eigentlich völlig lebensfeindlichen Welt von nächtlichen Lawinensprengungen und Pistenraupen übernommen.

Umso mehr wird deutlich, dass heutzutage kaum noch ein Mann dazu in der Lage oder auch Willens ist, seine von der Natur vorgesehene Rolle wahrzunehmen, wenn er urplötzlich mit der höchsten Anforderung überhaupt konfrontiert wird. Welcher Mann wächst in unserer (westlichen) Welt noch in eine solche Rolle hinein? Da sich das kaum jemand eingestehen will, wird dies mit übertriebenen Balzritualen kompensiert.

Mir hat "Höhere Gewalt" sehr gut gefallen, was nicht daran liegt, dass ich dessen Aussage als Befreiung von der mir übertragenen Rolle ansehe, sondern weil er geschickt aufzeigt, dass wir letztendlich nur Sklaven unserer eigenen Instinkte sind, mal mehr, mal weniger.

8,5/10

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