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1978 machte sich Werner Herzog daran, seine eigene Interpretation des klassischen Stoffes Graf Dracula auf die Leinwand zu bringen. Und was uns diese deutsch-französische Produktion an Eindrücken beschehrt ist wahrlich nicht das, was man gemeinhin von solcherlei Streifen erwartet. Für die Rolle des blutsaugenden Dämons erkor man, passend wie die Faust auf's Auge, "Berufs-Wacko" Klaus Kinski aus und orientierte die Figur am Urvater aller Vampirfilme, der seinerzeit in den frühen Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts (um genau zu sein 1922) ebenfalls unter dem gleichen Titel anlief. Dort war Dracula eine bleiche, glatzköpfige und zudem zutiefst beunruhigende Erscheinung, deren lange stiftartige Scheidezähne unfehlbar von seiner vampirischen Herkunft zeugten.

Und in genau solcher Kostümierung darf sich hier nun auch der Meister des irren Blickes austoben. Eine selten verwandete und eigenwillige Interpretation des Vampirfürsten "Vlad Tepesh" (wahres, geschichtlich authentisches Pendant des Film-Protagonisten), die aber durchaus zur restlichen Machart des Films paßt. Denn die ist nicht minder ungewöhnlich: Die Bildführung ist gänzlich anders gelagert als zum Beispiel in der bekannten Hollywoodverfilmung der Neunziger und auch der Storyfluß geht eigenwillige Wege. Während man in anderen Verfilmungen des Genres stets um den nahtlosen Filmfluß bemüht war und ist, praktiziert Herzog hier das genaue Gegenteil und präsentiert uns Szenen in ausgedehnter Länge, die Hollywoodregisseure vermutlich sofort ganz aus dem Drehbuch verbannt hätten. Da sehen wir eine Frau minutenlang am Strand sitzen, eine Kutschfahrt wird nahezu komplett und zur Gänze mit dem Objektiv mitverfolgt bis die Reisenden schlußendlich ihr Ziel erreichen und Vieles ähnliches mehr. Aber auch von Graf Draculas "wahrem Alltag" bekommen wir mehr zu sehen, und das "realistischer" als uns das Autor Bram Stoker und die amerikanischen Filmemacher bis dato zeigen wollten. Nach seiner maritimen Übersiedelung nach England (o.k., in dieser Version ist es natürlich unsere traute Alemannenerde) werden wir somit überrascht Zeuge, wie der gefürchtete Graf geschäftig an Board des Hochsee-Seeglers herumhüpft und höchsteigens (denn die komplette Schiffscrew hat er unklugerweise längst verschnabuliert) im dutzend Sperrholzsärge mit seiner Heimaterde ächzenderweise in die neue Bleibe verfrachtet. Grad dass wir nicht noch vorgeführt bekommen, wie der Gute sich die wuchernden Beißer mit Dr. Best ausgiebig auf Weiß bürstet und im Anschluß hingebungsvoll auf dem Lokus furzt. - Dererlei Szenen wirken so überflüßig wie unfreiwillig komisch, sind sie doch für den Storyverlauf nicht zwingend notwendig und problemlos mit anderweitigen Stilelementen zu umgehen. Auch in anderen Punkten offenbahrt Kinskis Rolle des Fürsten in diesem Werk neuartige Züge. Durch ihn ist er nicht der überheblich-allmächtige Untote, sondern eine von ihrem Schicksal gezeichnete und leidgeplagte Gestalt, die mehr als Opfer ihres Seins denn als Täter verstanden wird. Entsprechend fällt in diesem Film auch das Ende des Grafen aus. Hier sind es im Grunde nicht die Pflöcke des Dr. van Hellsing, die ihm letztlich den Garaus machen, sondern schlicht seine eigene Liebe zur schönen Mina, die ihn das herannahende Morgengrauen vergessen und so zugrunde gehen läßt. Auch die nachfolgenden Schlußsequenzen beschehren einen höchst ungewohnten Ausgang, der aber hier noch nicht verraten sein soll.

Im Fazit ist diese Siebzigerjahrevariante von Dracula mit ihren zahlreichen, wenngleich gewöhnungsbedürftigen Ansätzen zumindest originell und interessant. Jedermanns Geschmack wird sie allerdings mit ihrer doch recht getragenen Erzählweise und Bildregie, unterlegt mir ebenso bedeutungsschwangerem wie klassischem Musikstücken, wohl nicht unbedingt treffen. Ich persönlich kann jedoch nicht umhin den Film als durchaus unterhaltsam empfunden, auch wenn ich ihn nicht unbedingt als DVD im heimischen Regal stehen haben muß. - Aber allein schon die denkwürdige Gelegenheit zu verfolgen wie der Graf seine Särge hurtigerweis' und vor Anstrengung durch die Stiftzähne pfeifend von Board des Schiffes schleppt war derart göttlich, dass mir alleine das die verwandte Zeit schon wert war. Gutes Personal ist eben schwer zu finden. Auch für den Vampirfürsten schlechthin :D

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