Review

Der große Trip - Wild(2014)

Cheryl "Strayed"(Reese Witherspoon) reißt drei Monate auf dem Pacific Crest Trail in den weiten der USA, um einiges hinter sich zu lassen. Den plötzlichen Tod der Mutter, eine verkorkste Ehe und deren suchtprägende Phase danach...puh. Ein (sehr schwerer) Rucksack, ein (monumentaler) Wille und jede Menge (wichtiger) Gedanken begleiten den Zuschauer und natürlich Cheryl knapp zwei Stunden zu einer knisternden Erkenntnis...

Ich mochte das Tatsachenbuch der Autorin nicht. Neben dem interessanten und amüsanten Teil der ersten Campingerfahrungen, bot die Selbstfindung der Cheryl viel zu viel zielloses Geschwafel, wirre Gedanken und einen gewisse "von oben auf euch alle herab" Attitüde. Ich mochte die Idee, musste aber nach beenden des Romans feststellen, dass diese Geschichten über Trauer, Verlust und Bewältigung schon mal deutlich packender und vor allem empathischer gestaltet wurden.

Egal ob in Buchform, als Doku(einfach mal Jo Bentfeld oder Ein Blockhaus am Yukon bei Youtube eintippen) oder eben in Spielfilmen. Wenn Menschen in die Natur aufbrechen und auf vieles verzichten, dann hat das etwas, dem ich selbst ein zwei Wochen im Jahr folge. Die Ruhe, die Drucklosigkeit und das abgleiten der Struktur...für ein paar Tage ein großartiges Gefühl. Ich schweife ab. Leider trieb mich die Erfahrung mit dem Buch nicht gerade ins nächste Kino um der Verfilmung beizuwohnen. Und im nachhinein ärgere ich mich schon ein bisschen, dass ich nicht nur diese tollen Naturaufnahmen auf der großen Leinwand verpasst habe, sondern auch die Talente um die Kamera herum unterschätzte.

Jean-Marc Vallee empfiehlt sich erneut als Inszenierungswunder kleiner Gesten und des Subtilen. Eine solide Regie, tolle Kompositionen im Schnitt und der wundervolle Soundtrack stimmen auf ein wohliges Wanderfest mit etlichen, aber teilweise ergreifenden Rückblenden in das "alte" Leben von Cheryl. Dieser Rhythmus zwischen dem Jetzt und dem Davor gelingt viel besser als in der gedruckten Version und wirkt nie aufgesetzt. Wenn Cheryl das erste mal ein Zelt errichtet oder beim kochen in der Wildnis fast verzweifelt, ist es eine Wohltat ihren teils verpeilten Gedanken beizuwohnen, die sie erst in die Wildnis gebracht haben. Sexorgien, Drogen und eine ungeschönte Hoffnungslosigkeit prägten den tiefen Fall dieser Frau. Einiges wirkt Klischeebeladen und etwas zu knapp, aber wenn man Buch und Film übereinander legt, liegt die Wahrheit wohl irgendwo in der Mitte.

Der Wechsel zwischen dem alten und dem neuen Leben wirkt gekonnt und lässt keine Langeweile aufkommen. Die gedankliche Bewältigung lässt sich beine fühlen, wird allerdings durch das starke Tempo des Filmes nie völlig ausgeschöpft. Etwas weniger von dem guten Soundtrack hier, ein längeres harren in der Landschaft dort und tada - wir hätten den perfekten Outdoorfilm.

Ich ziehe jetzt bewusst keine Vergleiche zu Into the Wild, Bear Grylls oder irgendwelchen anderen Medien dieser Richtung. Denn einen wertvollen Punkt hat keiner der verwandten Naturburschen. In Wild geht es nicht um das Abenteuer, nicht um Action oder darum, der Zivilisation den Rücken zu kehren. Wild ist im großen und ganzen höhepunktlos, was man als großen Pluspunkt verbuchen muss. Das Drama bewegt sich hier auf angenehm echten Niveau. Wenig wirkt übertrieben, nichts wird zelebriert. Auf so einen Film habe ich Jahre gewartet. Ein Mensch, friedlich im Einklang mit der Natur und im abklingen der eigenen Vergangenheit. Ein narrativer Traum der einfachen Dinge.

Wer schon mal einen geliebten Menschen verloren hat, wird so einen aufrichtigen Film zu schätzen wissen. Cheryl's Trauma, die tote Mutter und der Schlussstrich - hier kommt der große Unterschied zur Buchvorlage. Während Vallee und Witherspoon wie die Faust auf das geschundene Auge passen, muss einer mehr leisten. Nick Hornby, seines Zeichens hervorragender Autor, krempelte die geschwätzige Vorlage in das, was wohl näher an echte Taten bringt, als es Cheryl selbst zu formulieren vermochte. Erstaunlich wie viel gegenüber dem Buch weggelassen wurde, was eigentlich keiner Erwähnung bedurfte. Ein Triumph und der Beweis, damit man eine Vorlage durchaus toppen kann.

Fazit...ein bewegender, kleiner und wichtiger Film über Gedanken anderer und dem, was vielleicht wirklich wichtig sein könnte. Wild schwingt zu keiner Zeit mit irgendeiner Moralkeule und lässt vieles offen, appelliert an die Ehrfurcht des Zuschauers und winkt nur ganz sanft mit dem "weniger ist mehr" Tanz. Der Lauf der Dinge...8

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