L’ennui
(1998)
Es ist nicht viel zu sagen: die Welt der Cécilia. --- Achtung, SPOILER !!! ---
Zum Film ist nicht viel sagen: typisch französisch: viel Gerede, Sex, Eck-Cafés. Gelaber, Bett- und Latsch-Szenen. Realistisches Licht, Ausstattung, alltägliche Straßenszenen, normale Leute, viel Zeit für Müßiggang, Alkohol- und Nikotingenuss. Keine Mätzchen. Der Stil ordnet sich dem Drehbuch unter. Woody Allen in Frankreich.
Zur Handlung ist nicht viel zu sagen. Martin, spilleriger, dürrer, nervöser, unreifer Philosophieprofessor – der typische Stadtneurotiker, bekannt aus unzähligen Filmen - verfällt Cécilia, einem einfachem Mädchen (nicht „vom Lande“, wirkt aber so – als Gegenpol zum „Stadtneurotiker“), was ihn prompt überfordert.
Um diesen Widerspruch geht es, und damit ist es ein philosophischer Film: der Prof Martin und seine Welt (seine Ex-Frau, gemeinsame Freunde, seine hohlköpfigen Studenten) können nicht anders: sie müssen alles hinterfragen, allem wollen sie auf den Grund gehen. Nie kann er zur Ruhe kommen. Auch fieberhaft genossener (nein, herabgestürzter) Alkohol und Kaffee helfen nicht. Immer ist er auf Jagd: Keine Aussage, Tat, Handlung, kein Gefühl darf für sich selbst stehen, alles muss untersucht, seziert, erforscht, zerlegt werden - sogar Möbelstücke wie Bett und Stuhl dienen in Martins endlosen Verbalattacken als Beispiele.
Wenn er niemanden zum Reden hat – manisch quält er seine Geliebte und seine Ex-Frau mit seiner Wortkotze – rennt er durch die Straßen, rast im Auto, telefoniert hektisch, all das beim Stalking dieser zwei Frauen, ständig müssen sie ihm Rede und Antwort stehen (bzw. ihn anhören). Doch nie ist er zufrieden: keine Antwort ist ihm gut genug.
Dann, wenn sie irgendwann nicht mehr wollen – obwohl Cécilias Engelsgeduld UNGLAUBLICH ist! - dann wird er, der Intellektuelle, auch schon mal handgreiflich. Doch nicht einmal das verstört seine unbedarfte Geliebte: „Au, Du hast mir weh getan!“ Doch weil es vorbei ist, verschwendet sie auch keinen weiteren Gedanken daran. Sie hat nicht viel zu sagen.
Er umso mehr.
Als Martin die Beziehung mit Cécilia beginnt, die aber nur sexuell ist, und keine weiteren, „tieferen“ Ebenen einschließt, kriegt er die Krise. Cécilia ist unfähig, auf seine ständigen Fragen zu antworten. Sie macht sich nun mal keine Gedanken. Sie hat Lust oder nicht, sie liebt oder nicht. Eine Begründung gibt es nicht. Was die rätselhafte Charlotte in „Bandslam“ beansprucht: „I don’t do why’s!“ (aber nicht durchhält), das schafft Cécilia, doch ganz OHNE (!) Hintergedanken. Sie sieht die Menschen nicht näher an, sie fragt nicht, warum sie selbst oder warum andere fühlen oder existieren. Die Vergangenheit vergisst sie; Zukunft reicht etwa zwei Wochen voraus: so lange wird sie im Urlaub sein, danach wird sie Martin wiedersehen.
Sie hat das Nirwana erreicht, aber sie musste sich nie anstrengen. Das erträgt der „Philosoph“ Martin nicht. Sie ist aus dem ewigen „Kreislauf des Leidens“ erwacht – allerdings hat sie es besser getroffen als die meisten Menschen. Sie musste nicht erst 10 Kreise der Hölle durchleben; sie hat schon mit 17 Jahren den Ausstieg geschafft.
Für einen Philosophieprofessor wie Martin ist das nicht akzeptabel! Er rennt sich den Kopf an dieser „Wand“ ein. Sein gewalttätiger Sex ist ein Versuch, mit seinem ständig erregten Schwanz zu Cécilia durchzubrechen. Sie scheint das sogar zu genießen: die Urgewalt, die dabei unkontrolliert aus dem frustrierten Philosophen herausbricht. Natürlich wird rasch deutlich, dass ihm der ganze philosophische Zirkus im Grunde scheißegal ist: eine Fassade, eine Fiktion, damit er auf Partys was zu sagen hat. Aber eine ihn anhimmelnde Studentin wird ignoriert, das geschwätzige Referat in seinem Kurs verdöst er, sein „Buchprojekt“ dient nur als Gesprächsthema, als Ausrede zum Überbordwerfen der Uni - niemals schreibt er ein Wort dafür - die Uni schmeißt er sofort hin, um seine Zeit nur noch seiner Geliebten zu widmen, die ihm eigentlich zu langweilig ist – so sagt er. Doch tatsächlich beherrscht sie sein ganzes Denken, Fühlen, Leben. Sein ganzes bisheriges Leben war eine Illusion, hat ihm eigentlich nichts bedeutet, ihm war wohl immer „langweilig“. Das ist seine „Ennui“, die „Langeweile“ des Titels.
Das macht – für mich – den bizarren Reiz des Films aus: natürlich ist er als „Kunstfilm“ erkenntlich; das bedeutet, allein weil ich ihn sehe (aus „Langeweile“?!?), zähle ich zum Typ „Martin“, will jemanden darstellen, der fragt und analysiert.
Aber natürlich bewundere ich eigentlich den Typ „Cécilia“: Sie hat diese Probleme oder Ansprüche nicht. Sie sorgt sich noch nicht einmal um den krebskranken Vater, der zum Sterben ins Krankenhaus muss: sie fliegt einfach in Urlaub. Sie kann das Leben (hier: den Sex mit zwei Geliebten) ohne Schuld genießen. Sie lebt den Augenblick! Ihre „Ennui“, ihre „Langeweile“, sind – vielleicht, sie selbst sagt natürlich nichts dazu - nur die Momente ohne Lustgewinn, ohne Gesellschaft. „Wie geht es Dir, wenn Dir langweilig ist?“ „Mir ist dann halt langweilig.“
Sie verzeiht, sie trägt nichts nach – wir sind gewöhnt, dass eine moderne Frau diesen eifersüchtigen, obsessiven, aggressiven, beleidigenden, störenden, schimpfenden, dauerredenden Stalker Martin in den Wind schießen würde. Aber sie ist weiterhin „nett“ zu ihm, schenkt ihm ihre Gunst, nimmt sein Geld – wenn er ihr eins gibt. Wenn nicht, ist es ihr auch egal. Sie hat keine Sorgen, weil sie sich keine macht. Ganz anders als Martin, als der Zuschauer. Hach, ich bete sie an! – Da bin ich wohl genau wie Martin…