Mapleton, eine unauffällige Kleinstadt im US-Staat New York. Auch hier geschieht ein globales Drama: an einem Tag im Oktober verschwinden von einer Sekunde zur nächsten ungefähr 100 Personen. Mapleton ist nicht allein: in aller Welt verschwinden zur gleichen Sekunde 2% der Weltbevölkerung. In Deutschland z.B. 1,6 Millionen Menschen, also immerhin die gesamte Bevölkerung Hamburgs. Es verschwinden auch Prominente wie Shakira oder Jennifer Lopez…
Wie gehen die Hinterbliebenen (The Leftovers) mit diesem Schlag um? Versinken sie in Trauer? Werden sie religiöser? Bitterer? Zerbrechen sie daran oder machen sie dennoch weiter?
Zentrum der HBO-Serie, die u.a. von Damon Lindelof („Lost“) nach dem Roman von Tom Perrotta entstand, ist der überforderter Sheriff der Stadt, Kevin Garvey (Justin Theroux). Seine Frau, die er kurz vor dem „Ereignis“ verlassen wollte, ist inzwischen Mitglied einer mysteriösen Sekte namens „The Guilty Remnants“ geworden, die stumm, gewaltfrei, kettenrauchend und in weiß gekleidet ihre Mitmenschen an die Verschwundenen erinnert, in zum Teil verstörenden Aktionen. Sie sind beliebtes Hassobjekt derer, die das Geschehene quasi vergessen wollen. Sein Sohn Tom ist bei einem „Heiler“ gelandet, der den Schmerz der Hinterbliebenen lindert, indem er sie umarbeitet und den Schmerz „übernimmt“. Zudem beschützt er ein schwangeres Mädchen, die vom besagten Heiler schwanger ist. Garveys Tochter Jill treibt als zynischer Teenager herum, meistens mit ihrer besten Freundin Aimee und etwas debilen Zwillingen, die in die beiden verknallt sind, aber sich nichts trauen. Garveys Vater (Scott Glenn), selbst früher Polizeichef. sitzt in der Klapse, zu irrational wurde sein Verhalten nach dem „Vorfall“. Außerdem gibt es noch marodierende Hunde, deren Besitzer ja verschwunden sind, eine resignierte Frau, die ihren Ehemann und beide Kinder verloren hat, einen unerschütterlich optimistischen Pfarrer (Christopher Eccleston), ein aggressiver Nachbar, der die Hunde gnadenlos erschießt…
Ich habe Befürchtungen. Befürchtungen, weil Damon Lindelof involviert ist. „Lost“ war zum Teil so großartig und spannend, so verwirrend und komplex, dass ich nach all den Entwicklungen umso deprimierter über das magere, unbefriedigende Ende war. Klar, alles muss gar nicht aufgeklärt werden, aber hätte ich geahnt, wie die letzte Folge würde, hätte ich mir wohl sechs Staffeln erspart. Denn bisher ist „The Leftovers“ ein Erlebnis – eigentlich ein positives. Die Betonung liegt auf „eigentlich“, denn die Serie gehört zu dem düstersten, bittersten und härtesten Serien, die ich je gesehen habe. Dagegen kam mir „Breaking Bad“ manchmal fast wie „Eine himmlische Familie“ oder „2 Broke Girls“ vor. Ob das Rätsel des Verschwindens je aufgelöst wird, ist mehr als fraglich und genau diese Ungewissheit hat auch viele Zuschauer verärgert. Aber immerhin nicht genug, denn eine 2. Staffel ist geplant.
Vielmehr geht es in „The Leftovers“ um Schmerzbewältigung, Leere, Angst, Neustarts, Scheitern, Unbehagen und um den Umgang mit immensen, irrationalen Verlust, den auch Religion nicht erklären kann, denn in den Himmel sind die Verschwundenen sicher nicht gekommen, denn unter den Verschwundenen sind auch bekannte Verbrecher, Pädophile usw.
Man muss HBO für seinen Mut bewundern, eine solche existenzialistische Serie zu drehen – sie verlangt viel vom Zuschauer und einige Szenen haben mich tagelang beschäftigt – und nicht, weil sie so schön waren. Ich hoffe nur, sie verrennt sich nicht in zu gewollter Mystik und Provokation, die eine ansatzweise Erklärung oder auch nur Entwicklung unmöglich macht – eben nicht wie „Lost“.
Wer Lust hat, in Abgründe zu schauen, zu trauern, sich mit sehr dysfunktionalen Charakteren zu identifizieren (und dies habe ich im Fall von Chief Garvey getan!), Beunruhigung zu erfahren, dem kann ich die Serie sehr empfehlen. Alle anderen: guckt „The Walking Dead“ (ist auch bitter, aber nicht so existenziell apokalyptisch und negativ), sexy Seifenopern wie „Pretty Little Liars“ oder eben die schnuckelige Kat Dennings in „2 Broke Girls“ o.ä….
Eine knappe 8. Mehr geht gar nicht. Einfach weil’s so wehtut.