Review

Wenn die Angst spazieren geht

Es beginnt harmlos. Eine Vorstadtszene, unspektakulär, fast schon banal. Ein junges Mädchen rennt panisch aus dem Haus, umrundet das Auto, schaut sich um – und läuft davon. Keine Erklärung, kein Schrei aus dem Off, kein Monster im Gebüsch. Nur eine Kamera, die ruhig und unerbittlich folgt. Schon hier offenbart „It Follows“, was ihn so eigenartig beunruhigend macht: Er erzählt das Grauen nicht in lauten Momenten, sondern in der geduldigen Bewegung des Blicks.

David Robert Mitchells Film aus dem Jahr 2014 ist ein merkwürdiges Wesen in der Landschaft des modernen Horrorkinos – so altmodisch wie radikal, so still wie verstörend. Während die Konkurrenz mit digitalem Getöse und theatralischen Exorzismen um Aufmerksamkeit buhlt, vertraut „It Follows“ auf das klassische Werkzeug des Suspense: das Warten, das Schauen, das Unausweichliche. Es wirkt wie ein trotziges Stück Zelluloidnostalgie – so sehr auf Atmosphäre, Blickachsen und Beklemmung bedacht, dass Hitchcock wohl anerkennend genickt hätte, während Carpenter zufrieden die Synthesizer streichelt.

Die Prämisse ist gleichzeitig absurd, genial und – wenn man ehrlich ist – ein bisschen pubertär: Eine mysteriöse, übernatürliche Entität verfolgt Menschen, die sie durch Geschlechtsverkehr „weitergeben“. Ein Fluch als sexuell übertragbare Paranoia, quasi STD meets Poltergeist. Doch so banal sich das liest, so klug spielt Mitchell mit dieser Idee. Er nutzt das Übernatürliche nicht als Gimmick, sondern als Allegorie – auf Angst, Verantwortung, Schuld, Vergänglichkeit. Das Böse hier hat kein Gesicht, keine Motivation, kein Ziel. Es ist schlicht da – wie das Wissen um die eigene Sterblichkeit.

Dabei ist das Tempo des Films ebenso unnachgiebig wie seine Bedrohung: langsam. Mitchell lässt sich Zeit, und das muss man als Zuschauer aushalten können. Die Erzählung fließt gemächlich dahin, fast träge, mit langen Pausen, weiten Einstellungen, stillen Momenten. Gerade der Beginn könnte etwas mehr Drive vertragen; man wünscht sich, der Regisseur hätte die Figuren früher aus ihrer melancholischen Trägheit gerissen. Doch sobald der Film einmal seinen Rhythmus gefunden hat, entfaltet diese Langsamkeit eine hypnotische Kraft. „It Follows“ traut seinem Publikum etwas zu – Geduld, Beobachtung, ein Gefühl für langsames Entsetzen. Das Drehbuch bleibt dabei bewusst vage. Weder wissen wir, woher das „Es“ kommt, noch, was es eigentlich ist. Und das ist gut so. In einer Welt, in der alles bis zum letzten Pixel erklärt werden muss, ist „It Follows“ ein erfrischender Reminder, dass das Unbekannte immer das Unheimlichste bleibt.

Das Grauen im Schritttempo

In der Atmosphäre liegt die wahre Stärke des Films. Es ist diese ständige Unruhe, dieses leise Unbehagen, das sich einschleicht wie ein kalter Luftzug durch ein offenes Fenster. Mitchell versteht Suspense – nicht als Sprung aus der Dunkelheit, sondern als Gefühl, dass etwas Unvermeidliches näherkommt. Immer näher. Die brillante Idee, die Bedrohung sichtbar, aber langsam zu machen, erzeugt eine fast hypnotische Spannung. Wenn irgendwo im Hintergrund jemand gemächlich auf die Kamera zugeht, während die Figuren es noch nicht bemerken, spürt man als Zuschauer das eigenartige Kribbeln im Nacken. „It Follows“ schafft es, uns zu Beobachtern einer drohenden Katastrophe zu machen – ohne je laut zu werden. Gleichzeitig ist der Film in seiner Inszenierung fast träumerisch. Die Welt wirkt entrückt, zeitlos – alte Autos, analoge Fernseher, aber moderne Kleidung. Eine merkwürdige Zwischenzeit, wie ein Albtraum, der keine Epoche kennt.

Die Kameraarbeit von Mike Gioulakis ist schlicht fantastisch. Lange Einstellungen, geschmeidige Schwenks, eine Komposition, die fast geometrisch wirkt. Jede Bewegung der Kamera ist bedeutungsvoll, jede Perspektive durchdacht. Gioulakis’ Kamera ist der wahre Erzähler des Films – sie beobachtet, lauert, verweilt, tastet. Besonders gelungen ist die Art, wie Mitchell und Gioulakis das Bedrohliche immer am Bildrand platzieren. Oft wissen wir nicht, ob die Gestalt in der Ferne einfach nur ein zufälliger Passant ist oder „es“. Diese subtile Form des Horrors – das Spiel mit dem Off, mit dem Raum hinter der Figur – ist schlicht meisterhaft.

Und doch: so sehr die Kamera fasziniert, so sehr verführt sie auch zum Träumen. Das hat eine Kehrseite. Gerade zu Beginn zieht sich das Tempo, das Pacing bleibt gemächlich, die ersten 30 Minuten hätten ein bisschen mehr narrative Energie vertragen. Man spürt Mitchells Ambition zur Stimmung, aber manchmal wünschte man, er hätte kurz an der Spannungsschraube gedreht. Wenn „It Follows“ einen Puls hat, dann schlägt er in Tönen von Disasterpeace – alias Richard Vreeland, dessen Score das Rückgrat des Films bildet. Diese elektronische Soundlandschaft klingt, als hätte Carpenter in einem Albtraum Daft Punk getroffen. Die Synths wabern, dröhnen, pulsieren – nie aufdringlich, immer bedrohlich. Zusammen mit den langsamen Bildern und der gemächlichen Erzählweise, entfaltet der Score eine fast hypnotische Wirkung. Das Sounddesign insgesamt ist bemerkenswert subtil. Kein kreischendes Violinen-Gewitter, keine übertriebenen Schreckgeräusche. Stattdessen: Wind, Stille, entfernte Schritte – die akustische Übersetzung des drohenden Unheils.

Maika Monroe, die schon in „The Guest“ eine bemerkenswerte Präsenz zeigte, trägt den Film mühelos. Jay ist keine klassische „Final Girl“-Heldin, sondern eine Figur, die langsam zerbricht – glaubwürdig, verletzlich, nie hysterisch. Monroe gelingt es, diese eigentümliche Mischung aus Teenager-Melancholie und metaphysischer Angst glaubhaft zu verkörpern. Die Freunde Jays sind eher Stichwortgeber als Figuren, archetypische Begleiter auf dem Weg ins Ungewisse. Das stört nicht weiter, mindert aber den emotionalen Impact. Ein wenig mehr Charaktertiefe hätte der filmischen Welt gutgetan – gerade weil Mitchell so sehr auf Stille und Beobachtung setzt.

Fazit

David Robert Mitchell hat hier ein Werk geschaffen, das sich weigert, den einfachen Weg zu gehen – ein Horrorfilm, der es wagt, altmodisch zu sein, ohne nostalgisch zu wirken. Mitchell nutzt die Grammatik des klassischen Suspense-Kinos – von Hitchcock über Carpenter bis Lynch – und übersetzt sie in eine zeitgenössische Filmsprache, die Intelligenz und Atmosphäre über Effekt und Geschwindigkeit stellt. Statt Schockmomenten setzt er auf Atmosphäre, statt Action auf Andeutung. Er vertraut darauf, dass echte Angst nicht im Schrecken, sondern im Warten liegt. Es ist ein Werk von großer handwerklicher Präzision, getragen von einer hypnotischen Kamera, einem grandiosen Score und einer Hauptdarstellerin, die das Unheimliche im Alltäglichen spürbar macht. Doch bei aller Eleganz bleibt ein leiser Wunsch: ein Moment des Kontrollverlusts, ein Ausbruch, der das perfekt konstruierte Geflecht einmal zerreißt. Ein richtiger Climax, ein Moment, in dem sich all das Unbehagen entlädt, bleibt aus. Das ist einerseits konsequent – schließlich geht es um eine Bedrohung, die nie anhält –, andererseits dramaturgisch unbefriedigend. Ein Hauch mehr Eskalation, ein Quäntchen mehr Mut zum Chaos hätte dem Film gutgetan. Man wünscht sich, Mitchell hätte den Mut gehabt, die Spannung nicht nur aufzubauen, sondern auch zu eskalieren. 

So bleibt „It Follows“ ein faszinierendes, ästhetisch brillantes Stück modernen Horrors – ein Film, der sich zwischen Traum und Albtraum bewegt, zwischen Konzeptkunst und Gruselmärchen. Er ist zu klug, um trivial zu sein, und zu kontrolliert, um ganz loszulassen. Eine filmische Parabel über das Unvermeidliche, über die Angst, die nie rennt, aber immer da ist. Langsam. Beständig. Unaufhaltsam.

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