Fantastische Depressionen
Den vielleicht letzten offiziellen Film des einzigartigen Studio Ghibli, ehrte ich selbstverständlich mit einem Kinobesuch. Samt Freundin, da diese auch mal sehen sollte, dass es neben lebschen gelben Männchen in Latzhose, auch noch richtig gute Animationsfilme gibt. Und auch wenn ihr, trotz Aufwärmprogramm & Vorwarnung mit "Kikis kleiner Lieferservice" & "Mein Nachbar Totoro", der Film nicht zu 100% gefallen hat & es ihr teilweise schwer fiel, wach zu bleiben, glaube ich, dass im Nachhinein doch mehr Staunen als Langeweile hängen bleiben wird. Denn auch wenn die ungewohnt ruhige, fast meditative Art anstrengend für westliche, unvorbereitete Zuschauer (& erst recht Kinder) sein kann, bin ich der festen Überzeugung, dass das, was am Ende destilliert, wertvoller ist, als man sich vorstellen kann. Kurz gesagt: "Erinnerungen an Marnie" ist ein Meisterwerk zum Abschluss einer Ära, welches mit seiner zauberhaften Art & herzzerreißenden Message, seine wenigen Schwächen verblassen lässt.
Die Geschichte handelt von einem tief depressivem & introvertiertem Mädchen, welches auf eine Art Reha-Urlaub in ein unberührtes Dorf zu entfernten Verwandten geschickt wird & dort der Faszination eines alten Hauses am anderen Ende des Sees erliegt. Auch wenn es unbewohnt & verfallen erscheint, sieht sie immer wieder ein kleines blondes Mädchen namens Marnie, welches ihr Zuneigung & Verständnis entgegen bringt, die das verlorene Mädchen so dringend sucht. Also Drama über Depressionen, fantastische Geistergeschichte & melancholisches Coming Of Age-Abenteuer in einem. Anmutig, wunderschön & voll schwerer Emotionen - weit mehr als ein Kinderfilm. Aber was erwartet man auch Anderes von dem Studio, dass uns solche Meisterwerke wie "Prinzessin Mononoke" geschenkt hat. Ich wäre wirklich traurig, wenn dies nun das Ende wäre. Egal ob grandios, würdig, wundervoll - eigentlich will man, nachdem das Studio mit "Wie der Wind sich hebt" & eben Marnie wieder in die Spur gefunden hat, nicht das Schluss ist...
"When Marnie was there" ist wunderschön gezeichnet & durchzogen von Momenten des Innehalten & Genießen - das ist Entspannung & Urlaub für den Geist, allerdings auch etwas redundant & möglicherweise ermüdend. Zum Glück ist der Film nicht zu lang geraten. Da ich schon einige Filme dieser Art gesehen habe & sie liebe, sehe ich das mittlerweile fast schon eher als Besonderheit & Stärke dieser, als langweilige Schwäche. Gewöhnungssache & mit der eigenen Offenheit hat das sicher auch etwas zu tun. Die Geschichte über ein Mädchen mit tiefsitzenden Problemen, ist harter Tobak & absolut exemplarisch für etwas, was in einem Zeichentrickfilm aus dem Westen undenkbar wäre. Von Selbstmordgedanken bis Wutanfälle & tiefer Verzweiflung, wird gerade im ersten Drittel wenig ausgespart. Gegen Ende & mit der wundervollen Auflösung, wird dieses Problem zwar etwas zu locker überwunden, aber das störte nur bedingt. Auch mit den offensichtlich homosexuellen Andeutungen konnte ich umgehen, auch wenn sie ebenfalls durch die Auflösung am Ende im Nichts verliefen. Das dies die mysteriöse, traumgleiche Aura des Films aber nur noch unterstreicht, ist ebenfalls deutlich. Das Finale ist zwar eine Art Erklärbär, ließ mich aber dennoch Strahlen & eine Träne verdrücken gleichzeitig. Wer die bisherigen Filme der Studios auch nur ansatzweise mag: beide Daumen hoch! Es gab selten mehr zu Entdecken, Träumen, Rätseln & sogar ein wenig Fürchten. Ebenso erwachsen wie manchmal kitschig, versammeln sich nochmal viele der üblichen Themen & Muster des Studios (Träume, Familie, Tod, Liebe, Natur, Geister) zu einem unvergesslichen Mix.
Fazit: ein mögliches (aber hoffentlich nicht endgültiges!) Finale der Studio Ghibli-Ära, welches dem legendären Studio gerecht wird. Bleibt noch lange im Kopf & wird meine Jahresendliste der besten Filme sicher bereichern! Wahrlich traumhaft!