Manchen Leuten tut es gut sich hin und wieder mal neu zu erfinden. Anderen steht es besser zu Gesicht bei ihrem Leisten zu bleiben. So wie Kevin Smith, der sich nach Sekten-Belagerungsfilm „Red State“ mit „Tusk“ erneut in Horrorgefilde begeben wollte.
Wallace Bryton (Justin Long) und sein Kumpel Teddy Craft (Haley Joel Osment) den Podcast „The Not-See Party“, in dem sie besonders interessante und/oder abgedrehte Leute vor- und gelegentlich auch bloßstellen. In der Hoffnung, dass die Popkultur das Internet-Phänomen des „Star Wars Kid“ auch anno 2014 noch nicht vergessen hat, führt „Tusk“ das „Kill Bill Kid“ ein – ein anderer Volltrottel, der das gleiche Rumgehampel wie besagter „Star Wars“-Fanboy mit einem Samuraischwert durchführt, was ihn ein Bein kostet. Da Teddy ungern reist, macht sich Wallace auf nach Kanada, muss aber feststellen, dass sich der Gesuchte mittlerweile selbst entleibt hat. Ob der mediale Spott, etwa durch Wallace‘ und Teddys Podcast, etwas mit dem Freitod zu haben könnte, lässt Smith offen, denn „Tusk“ flirtet zwar kurz mit der Idee der Medien- und Internetkulturkritik, lässt diese aber ganz schnell wieder fallen.
Dumm gelaufen, denn irgendwas muss Wallace für die Reisekosten ja heimbringen. Als er auf dem Kneipenklo den Aushang von Howard Howe (Michael Parks) sieht, der einen Mitbewohner sucht und einen reichhaltigen Fundus an Storys aus seiner Karriere als Seemann anbietet, glaubt er den nächsten Interviewpartner gefunden zu haben. Beim Tee erzählt Howe von seinem Zusammentreffen mit Hemmingway, vom Schiffbruch, den er erlitt, und von jenem Walross, das ihn damals rettete. Dazu gibt es ein paar Schwarz-weiß-Rückblenden, die Smith weitestgehend konzeptlos einsetzt, aber vielleicht ist das auch schon eine Metapher für diesen Film an sich.
Howes Tee enthält nicht nur einen Schuss Brandy, sondern auch eine ordentliche Ladung Betäubungsmittel, weshalb Wallace bald gefesselt wieder aufwacht. Denn sein Gastgeber hat einen besonderen Plan: Er will aus Wallace ein menschliches Walross machen, um seinen Lebensretter von einst zu ersetzen…
Wahrscheinlich dürfte Kevin Smith durch das „Human Centipede“-Phänomen zu „Tusk“ inspiriert worden sein, gleichen sich beide Filme doch mit ihrer Menschliches-Tier-Marke-Eigenbau-Prämisse. Doch wo der berühmt-berüchtigte Tausendfüßlerfilm von 2009 seinen Stiefel trotz absurder Story weitestgehend ironiefrei durchzog, da scheint Smith als Drehbuchautor und Regisseur von „Tusk“ nicht zu wissen, was er eigentlich will. Mal wirkt das Ganze wie eine Parodie auf Torture Porn und Body Horror, mal wie eine komödiantisch angehauchte, aber insgesamt doch eher ernst gemeinte Variante des Themas. Wollte Smith das Genre auf die Schippe nehmen, so scheitert „Tusk“ schon daran, dass er auf „The Human Centipede“ und Co. kaum noch einen draufsetzen kann, so reichlich abstrus die Idee vom menschlichen Walross auch ist. In wenig subtiler Form trägt Wallace, dessen Name auch schon wie das Tier klingt, auch noch einen walrossartigen Schnauzer, noch bevor er seinen späteren Peiniger überhaupt das erste Mal sieht.
Wenn „Tusk“ komisch sein will, dann vermisst man leider den Dialogwitz und die treffsicheren Pointen aus Smith View-Askew-Verse-Filmen. Vor allem die witzig gemeinte Figur des Ermittlers Guy Laponte (Johnny Depp) ist eher nervtötend mit seiner salbadernden Art und seiner Angewohnheit Namen immer möglichst lang und breit auszusprechen, auf dass seine endlosen Monologe noch endloser werden. Am ehesten sorgt noch Wallace‘ anfänglicher Trip für ein Minimum an Belustigung, aber auch da ist der Film humortechnisch eher kläglich. Zumal er auch keine klare Haltung zu seiner Hauptfigur findet: Für echte Sympathien kommt Wallace bisweilen zu arschig und zu wenig entwickelt daher, für echte Schadenfreude ist er dann wiederum nicht unausstehlich genug. So ruft sein Schicksal allenfalls noch dezentes Mitleid hervor, weil man sich eben darauf einigen kann, dass Wallace diese Behandlung trotz seiner Fremdgeherei und seiner Respektlosigkeit nicht verdient hat.
Für die Transformation des Protagonisten zeichnet FX-Profi Robert Kurtzman als Special Effects Supervisor verantwortlich, aber auch hier macht „Tusk“ oft den Eindruck nichts Halbes und nichts Ganzes zu sein. So schaut das menschliche Walross etwas zu fake für echten Body Horror aus, ist aber für eine richtige Trash-Note zu kompetent umgesetzt worden. Im Gegensatz zum durch und durch niederträchtigen „Red State“ will „Tusk“ aber etwas Gefühl für die Leiden seines Protagonisten haben, doch im Gegensatz zum Schicksal von Brundlefly aus „Die Fliege“ und Co. lässt Wallace das Publikum weitestgehend kalt. Was auch daran liegen dürfte, dass diese Figur so gnadenlos unterentwickelt ist, was sich jedoch aufs komplette Ensemble bezieht. Howe hat eben einen Schlag an der Waffel, das war es dann auch, und alle Szenen, die Teddy und Wallace‘ Freundin Ally Leon (Genesis Rodriguez) charakterisieren sollen, wirken wie gewolltes Füllmaterial.
Da rettet es den Film dann nur ein wenig, dass Michael Parks den 08/15-Psycho immerhin mit so viel Charisma zum Leben erweckt, dass dieser zumindest ansatzweise interessant wird. Justin Long ist okay, verschwindet in der zweiten Filmhälfte aber unter dicken Latexschichten, während Haley Joel Osment und Genesis Rodriguez kaum Akzente setzen können. Johnny Depp, der große Teile seines Textes improvisierte und als einzige Regieanweisung wohl „Gib mir ordentlich Verschrobenheit im Jack-Sparrow-Gedächtnismodus“ bekam, fällt einem schnell auf den Wecker, während seine Tochter Lily-Rose Depp gemeinsam mit Harley Quinn Smith, der Tochter des Regisseurs, als Supermarktangestellte auftritt. Damit schließt sich der Kreis zu Smiths Spielfilmdebüt „Clerks“, wodurch allerdings nur noch deutlicher wird, wie wenig vom früheren Witz des Filmemachers „Tusk“ letztendlich hat.
So bleibt dann ein gewollter, vor allem in der zweiten Hälfte extrem dröger Mix aus Horror, Comedy und Drama, der noch nicht mal aus seiner absurd-originellen Grundidee so wirklich Kapital schlagen kann. Michael Parks als Schurke kann „Tusk“ noch ein wenig aufwerten, aber letzten Endes ist und bleibt das Ganze ein riesiges Missverständnis, das in jeder Beziehung halbherzig und in seiner Gesamtheit nervtötend wirkt.