Review

Hardcore-Stummfilm

Ein deutscher Film, der komplett an einem Stück gedreht wurde & auch noch ein Film ausschließlich in ukrainischer Gebärdensprache, alles dieses Jahr - na ist denn schon Arthouse-Weihnachten? ;-)

"The Tribe" hatte ich schon lange auf dem Schirm, waren schon die ersten Bilder & Stimmen zu wuchtig um ihn außer Acht zu lassen. Eigentlich war er bis kurz vor seinem Kinostart schwer einzuschätzen, ein kleines Ostblock-Mysterium - ist er ein Drama? Ein Horrorfilm? Mit Untertitel? Oder wirklich komplett sprachlos? Versteht man ihn? Ist er wirklich so aufwühlend wie die ersten Kritiken versprachen? Eine kleine Arthouse-Revolution? Ein Film ohne verbale Sprache, der sprachlos macht?

Viel Frage - klare Antworten, die das beeindruckende Erstlingswerk vom ukrainischen Regietalent Slaboshpitsky liefert. Die Geschichte eines Neuankömmlings an einem Internat für taubstumme Jugendliche ist sehenswert & mit absolut nichts zu vergleichen. Ich war vielleicht etwas zu müde für die über 2-stündige Konzentrationsübung - aber trotzdem liess mich der Film danach nicht gut schlafen. Und das trotz gefühltem Sekundenschlaf in so manch langer Sequenz. Definitiv ein Film, der im Kino eine mächtige Wirkung hat, in seinem unterkühlten Stil & seiner realistischen, teilweise verrohten Art so Einige im kleinen Kino schlucken ließ.

"Plemya" ist ein Film, bei dem man nicht alles versteht, erst recht nicht auf Anhieb. Und das nicht nur, weil die Wenigsten mit ukrainischer Gebärdensprache vertraut sind, sondern weil manche Szenen sich auch erst im späteren Verlauf der Geschichte erklären. Aber das Wichtigste - der Hass, die Liebe, die Kälte, die Brutaltät - wird einem schnell klar, dafür braucht man keine Worte. Das Internat, was manchmal wie eine verfallene Kaserne aus einer anderen Welt wirkt, auch durch die Abwesenheit von Lehrern oder Eltern, ist wunderschön eingefangen. Die Bildsprache ist kalt, abstoßend & irgendwie beängstigend hübsch. Und das steht in extremen Kontrast zu den abscheusslichen Taten & Hierarchien, die sich im Internat & "dank" einem Prostitutionsring drum herum gebildet haben.

Eiskalt, statisch & realistisch hält die Kamera aus sicherer Distanz drauf - ob es ein barbarische Abtreibung oder eine Schlägerei unter Halbstarken ist. Als Zuschauer fühlt man sich hilflos & machtlos, als ob man einem komplett anders entwickelten Stamm, neben der Gesellschaft, beim Treiben zu guckt. Und man kann nichts machen. Daher wohl auch der Titel. Die Einstellungen sind quälend lang, die Soundkulisse naturalistisch, die Schauspieler jung, unverbraucht & einfach real, extrem aufopfernd. Schmerz wird fühlbar, überträgt sich stärker als in den meisten Kriegs- oder Gefängnisfilmen. Gewalt wird fast unmittelbar.

So manch einer dargestellten Prügelei fehlte zwar die Durschlagskraft & man merkte die Inszenierung. Auch die Geschichte rund um Liebe, Verlorenheit & Hass ist simpel & nicht so furios wie die geniale Idee & greifbare Umsetzung. Hinzu kommt, was aber den verlorenen Einduck von uns "Betrachtern" nur unterstützt, dass wirklich überraschend viel "gesprochen" bzw. gestikuliert wird - und man versteht wie gesagt wenig bis nichts. Dadurch gingen einige Details bei mir unter & der Film zwang mich zur Konzentration auf das Wesentliche, die Grundzüge der Geschichte. Aber allein als Aufklärung fände ich optionale Untertitel später im Heimkino interessant. Und der Film zeigte mir schmerzhaft, wie sehr ich Dialoge mag & wie sie mir fehlen. Auch das war mit Sicherheit eher Ziel als Fehler, Teil der Erfahrung.

Ein archaischer Film, dessen letztes Drittel schmerzhaft & heftig ist, dessen Spannungsaufbau aufmerksamen Zuschauern eine Gänsehaut verpasst. Mir war das aber manchmal trotzdem einfach zu viel, zu lang. Ein Film, der beeindruckt, den man sich aber eher ungern allzu oft anguckt. Spaß macht er nicht, eher bedrückt er & haut einem ohne Grund auf den Kopf. Aber vielleicht ein klassische Fall von "Ist er zu stark, bist du zu schwach!".

Fazit: anders, kalt, anstrengend - oft schwer zu verstehendes, aber extrem mutiges Werk, wie man es so noch nie gesehen hat. Wahrhaft eine schlauchende Erfahrung!

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