Feuer frei (Kann Spoiler enthalten)
Am 24.08.1992 war ich knapp über vier Jahre alt, meine Schwester hatte Geburtstag und am anderen Ende unseres Hauses warfen Menschen Molotow-Cocktails in Wohnungen. Das "Sonnenblumenhaus" in Mecklenburg-Vorpommern, Rostock, Stadtteil Lichtenhagen, Mecklenburger Allee 13-19 ist weltweit ein Begriff. Die Spar-Kaufhalle und die Wiese vor dem Haus, auf der sich Randalierer und Mitläufer, Gewalttäter und Schaulustige einfanden, gibt es schon seit Jahren nicht mehr, hier hat sich mit Lidl ein anderer Discounter angesiedelt, auf der Grünfläche steht seit Jahren eine Hammer-Filiale. Keine Spuren mehr von den Asylbewerbern, die wegen der Überfüllung der Zentralen Aufnahmestelle für Asylbewerber vor dem Haus leben mussten, also dort schliefen, aßen und ihre Notdurft verrichten mussten. Auch von den Brandanschlägen ist nichts mehr zu sehen. Doch die Stimmung, die (Fernseh)Bilder, all das hat sich eingebrannt. Klar, bewusst mitbekommen habe ich in dem Alter nichts, aber es genügt auch, wenn mir meine Eltern erzählen, dass meine Schwester und ich beim Nachbarn im Garten übernachteten, dass der Zugang zur eigenen Wohnung nur mit Personalausweis möglich war. Für mich ist die gesamte Situation irgendwo zwischen unfassbar und unglaublich.
Burhan Qurbani, Deutscher mit afghanischen Wurzeln, ist Drehbuchautor, Koproduzent und Regisseur des Films. In Interviews sagt er, dass die TV-Bilder ihm erstmals in seinem Leben (er war elf Jahre alt) das Gefühl gaben, fremd in der Heimat zu sein. Denn Leute, die aussahen wie seine Nachbarn und Freunde, griffen Leute an, die aussahen wie er. Glücklicherweise ergeht sich der Film nicht in dem Aufzeigen von Lösungen oder klaren Schuldzuweisungen. Sicherlich sind Tendenzen erkennbar, den größten Teil des Films erleben wir aber mit einer Gruppe von Jugendlichen um Stefan (Jonas Nay), die am Abend Teil der Anschläge werden. Technisch hochinteressant nutzt Burhani in den ersten zwei Dritteln immer wieder lange Einstellungen mit durchgeplanten Kamerafahrten. Vor allem die Rotation im Zimmer von Lars sowie das Eintreffen der Gruppe vor dem Sonnenblumenhaus seien als Beispiele für die präzise Umsetzung genannt. Das Geschehen präsentiert sich dem Zuschauer zudem in Schwarz-Weiß und 1,85:1. erst, wenn die Jugendlichen am Abend interviewt werden wird das Bild wird erstmals farbig, wechselt sogar kurzzeitig in 1,33:1, um dann schließlich die gesamte Leinwand in 2,35:1 zu füllen.
Ein wiederkehrendes Motiv des Films ist das Feuer. Es brennt in den Jugendlichen. Es wird konkret am Beispiel des Feuerzeugs, welches Stefan von seinem Vater (Devid Striesow), Lokalpolitiker der SPD, haben möchte und selbstverständlicherweise auch in den Anschlägen am Abend des 24. August. Dieser scheinbar nicht zu zügelnden Kraft der Heranwachsenden stehen die übermüdeten, hilflosen Erwachsenen gegenüber. "Ihr schickt uns nackt ins Feuer." muss sich Stefans Vater vom Polizeieinsatzleiter anhören und beide beklagen, dass sie seit Tagen kaum schlafen können. Auch hier deutet der Film eher an, zeigt nicht einfach mit dem Finger und ruft "Die sind schuld. Deswegen ist es passiert." Statt solch simplifizierenden monokausalen Erklärungsansätzen ergibt sich eher ein Zusammenspiel verschiedener Faktoren, die zu den schändlichen Ereignissen geführt haben.
Zu der technischen Raffinesse gesellen sich jede Menge jugendlicher Charaktere, irgendwo zwischen Langeweile, Zukunftsangst, Selbstvertrauen, fehlendem Selbstbewusstsein und mehr. Ja, der Charakter des Sandro mag mit seiner rechten Haltung durchaus als klischeehaft gelten, doch das schmälert den Eindruck nicht, den die anderen aus der Gruppe hinterlassen. Allen voran Robert, bei dem man fast ständig das Gefühl hat, er springe gleich aus der Leinwand. Er trägt eine kaum zu bändigende Energie in sich, die sich in seinen dauernden Bewegung ebenso ausdrückt wie in seinen auf Provokation setzenden Aussagen. Immer wieder sucht er die Konfrontation. Weswegen? Das lässt der Film offen, lässt den Zuschauer selbst zurück mit einer Antwort. Ist es eine fehlende Vaterfigur, ein Mangel an Respekt? Ist es ein "stummer Schrei nach Liebe", die Angst davor, nicht wahrgenommen zu werden? Treibt ihn gar Enttäuschung angesichts nicht erwiderter Gefühle um? Oder ist es gar ein Gemisch aus allen diesen Dingen und noch ganz anderen?
Qurbani wollte einen Film gegen das Vergessen drehen. Bei seinen Recherchen bekam er ab und an zu hören, dass er es doch gut sein lassen solle, es sei ja schon 20 Jahre her. Selbstverständlich sind es gerade solche Aussagen, die zeigen, wie wichtig dieser Film ist. Die letzte Einstellung des Filmes, macht das in ihrer Einfachheit wunderbar deutlich.