FFF Nights 2015
German Angst (D 2015)
Ein Mädchen (Lola Gave) kuschelt mit seinem Meerschweinchen. Dann begibt sie sich mit einer Gartenschere ins Schlafzimmer ihres Vaters. / Als zwei Gehörlose vom einer Gruppe Neonazis bedrängt werden, könnte ein Amulett aus dem in Kriegsjahren besetzten Polen helfen. / Ein Star-Fotograf (Milton Welsh) wird Mitglied in einem Club für mörderische Sexpraktiken…
„Sie dürfen auch rausgehen“, sagt der Berliner Regisseur Jörg Buttgereit (geb. 1963) vor Filmbeginn, doch niemand der erwartungsfrohen Zuschauer wird während der Vorstellung den großen Saal im Sony Center am Potsdamer Platz verlassen. Tatsächlich sind während der Weltpremiere von „German Angst“ beim Internationalen Film Festival in Rotterdam einige „Arthaus-Zuschauer“ geflüchtet, weiß Buttgereit zu berichten, der 1987 beim 2. Fantasy Film Fest sein Meisterwerk „Nekromantik“ präsentiert hatte, das auch international zum Kultfilm wurde. Knapp 30 Jahre später ist Jörg Buttgereit erfolgreicher Theater-Regisseur (aktuell: „Nosferatu lebt!“ in Dortmund), inszeniert Hörspiele für den WDR („Green Frankenstein“) und arbeitet als Comicautor („Captain Berlin“ bei Weissblech). Er folgt dem Ruf von Andreas Marschall (geb. 1961, „Tears of Kali“ 2004) und erschafft mit Michal Kosakowski (geb. 1975, „Zero Killed“ 2012) als 3. Regisseur einen Episodenfilm, der die internationale Konkurrenz nicht zu scheuen braucht, sie sogar inhaltlich und inszenatorisch oft übertrifft.
In Buttgereits „Final Girl“ wird das Thema Kindesmissbrauch so subtil, wie dramatisch behandelt, dass es dem Zuschauer noch lange schwer im Magen liegen wird. Viele Detailaufnahmen, vom Meerschweinauge bis zur blutige Gartenschere schaffen Intimität, die junge Darstellerin spielt erschreckend realistisch und die letzte Szene verwirrt – was bei einem Horrofilm keinesfalls negativ ist. Pädophilie sorgt für Angst in Deutschland, wie auch Fremdengfeindlichkeit, die Michal Koskakowski im 2. Teil thematisiert. Die Gewalt, die einem taubstummen Pärchen von einer etwas zu bunten Truppe Rechtsradikaler angetan wird, erschüttert, wie der Rückblick ins Jahr 1944, wenn in Polen unschuldige Menschen von Nazi-Schergen hingerichtet werden. Der finale Twist in „Make a Wish“ zerstört jede Hoffnung im Keim. Andreas Marschalls „Alraune“ erinnert entfernt an Kubricks „Eyes Wide Shut“ (1999), doch ist hier nicht etwa der Mensch Ursprung sexueller Obsessionen bzw. Perversionen. Maschalls Übertragung einer alten gotischen Sage in die Neuzeit könnte für die Urängste der Deutschen stehen. „German Angst“ ist intensives Horrorkino aus Deutschland. (8/10)