Review

Nackte Puppen in Lebenskrisen

"Anomalisa" ist Charlie Kaufmans neue Kopfgeburt - wie gewohnt brillant, anders, besonders. Und für einen oft als so verkopft verschrieenen Arthouse-Autor, vor allem überraschend emotional & tiefschürfend. Die als eine Art modernes Puppentheater inszenierte Geschichte über einen unglücklich verheirateten, gelangweilten & frustrierten Mann, der auf einer Vortragsreise in Cincinnati möglicherweise seine Traumfrau trifft, ging mir an's Herz, ist psychologisch anspruchsvoll & begleitet einen noch lange nach dem Abspann. Erst recht wenn man den sympathisch verrückten & gleichzeitig herrlich normalen Film an sich heran & die melancholisch-traurige Stimmung & sein Weltbild sacken lässt. 

"Anomalisa" ist hübsch & anders, vom Look her aber eher unspektakulär oder höchstens spektakulär normal, oft intim. Er punktet eher mit detaillierten Emotionen, von denen man nie gedacht hätte, dass Puppen diese auch nur ansatzweise so transportieren können. Egal ob diese realistisch nackt durch ihr Hotelzimmer laufen oder vollkommen normal, ziemlich erotischen Sex haben - Vieles was sich unfreiwillig komisch liest, wirkt im Film überraschend normal & bekannt. Puppentheater war nie menschlicher & rührender. Alles ist hier irgendwie makelbehaftet & liebevoll. Auch die Idee, dass alle Figuren auf die unser trauriger Held trifft, mit der gleichen Stimme sprechen, ist genial & weit mehr als nur ein Gimmick, das verdeutlicht, wie eintönig & gleich ihm die ganze Welt erscheint.

Der Film schneidet etliche Themen an, wie Einsamkeit, wahre Liebe, Unzufriedenheit, Glück oder Mut, führt jedoch Wenig bis Nichts zu Ende. Das hat Vor- & Nachteile, lässt den Film zuerst kleiner & unfertiger wirken als er ist, förderte aber im Endeffekt nur meine eigenen Gedanken zu den Themen & war so weitaus langanhaltender, als man es zuerst meint. Trotz seiner kurzen Laufzeit hat der Film ein paar Längen, lullt einen manchmal ein mit dem Unspektakel eines menschlichen Normalo-Lebens - vollkommen beabsichtigt würde ich bei den fädenziehendem Genies mal behaupten. In den spannenden, dunkelsten Momenten gefiel mir der Film fast am besten & ich hätte irgendwie noch mit einem krassen Twist gerechnet, der aber ausblieb oder nur in Form einer Traumsequenz aufblitzte, die die surreale Seite dieser gefühlvollen Allerweltsgeschichte nochmal hervorhob. Aber seid euch sicher: die traurigen aber in jedem Leben unvermeidbaren Themen betreffen jeden von uns & der Film wächst enorm mit den Tagen & Stunden die ins Land ziehen. Er hat etwas entrückt Magisches, dass die Besonderheit unserer Leben samt aller Details unterstreicht. Egal wie grau & monoton diese Details auch sein mögen.

Fazit: viele geniale, emotionale Ideen, die zum Teil (leider) nur angeschnitten werden, so aber Spielraum für eigene Gedanken & Interpretation lassen. Vielleicht hätte das außergewöhnliche Werk als konzentrierter Kurzfilm noch besser gefallen/funktioniert. In seinen dunkelsten oder auch lustigen Momenten jedoch zutiefst menschlich, unperfekt & bezaubernd. Für Kaufman-Fans eh ein Meisterwerk, für mich nahe dran. Eine Anomalie in der Filmlandschaft, von denen es gerne noch mehr geben dürfte!

Details
Ähnliche Filme