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Wenn der Western das Fürchten lernt

S. Craig Zahler hat mit seinem Regiedebüt einen Western geschaffen, der nicht nur sattelt und losreitet, sondern sich Zeit nimmt, die Landschaft zu bestaunen, die Menschen zu sezieren – und dich dann mit einem grotesken Gewaltexzess in den Staub drückt. Bone Tomahawk ist ein Werk, das mit einem einzigen Satz kaum zu beschreiben ist. Es ist Western, es ist Horror, es ist Kannibalen-Schocker, es ist Slow-Burn-Erzählung, die irgendwann explodiert wie Dynamit.

Die Handlung klingt zunächst vertraut, fast schon klassisch: Im verschlafenen Westernstädtchen Bright Hope verschwinden Menschen. Sheriff Franklin Hunt (Kurt Russell in Vollbart-Pracht) stellt ein Suchteam zusammen, um die Vermissten zu retten. Doch schnell wird klar: Die Entführer sind keine gewöhnlichen Banditen, sondern ein Stamm archaischer Kannibalen, irgendwo zwischen mythischen Ungeheuern und atavistischen Monstern angesiedelt. Was wie ein klassischer „Männer-reiten-los-und-befreien-die-Damen“-Plot klingt, entfaltet sich in Zahler’s Händen zu einer Geschichte von unaufhaltsamer Intensität, einer Reise ins Herz der Finsternis.

Zahler hat ein Gespür für Dialoge, die weder modern abgeklatscht noch peinlich altbacken wirken. Sie sind lakonisch, trocken, teilweise zum Brüllen komisch, und dann wieder messerscharf in ihrer Ernsthaftigkeit. Es gibt Momente, in denen man sich fühlt, als hätte Tarantino beim Poker verloren und sein Talent an Zahler abtreten müssen. Diese Wortgefechte machen die langsame Erzählweise zu einem Vergnügen – nie Leerlauf, immer Vorahnung. Wer sich Dauerfeuer-Schießereien oder Action im Minutentakt erwartet, sitzt hier im falschen Saloon. Zahler gönnt seiner Geschichte keine Hektik. Er nimmt sich Zeit, seine Figuren zu zeichnen – detailverliebt, sorgfältig, beinahe literarisch. Ja, Bone Tomahawk ist behäbig erzählt. Aber das ist kein Makel, sondern die größte Stärke. Diese Langsamkeit ist wie das gespannte Zurückziehen einer Armbrust: Je länger die Sehne gespannt bleibt, desto brutaler schlägt der Bolzen ein, wenn er sich löst. Die Action-Momente sind rar, aber wenn sie kommen, dann bricht die Hölle los. Jede Kugel, jede Axt, jeder Knochenbruch hat Gewicht, hallt nach. Diese Verdichtung sorgt dafür, dass die Gewalt einschlägt wie ein Hammer auf sprödes Glas. 

Staub im Bart, Blut an der Axt

Zahler inszeniert ohne Schnörkel. Kein nervöses Wackelkamera-Gewackel, kein Schnittmassaker. Stattdessen: klare Bilder, lange Einstellungen, ruhige Bewegungen, beinahe stoisch. Er vertraut seiner Geschichte und seinen Figuren – und dieses Vertrauen zahlt sich aus. Manchmal wirkt es, als sehe man einem düsteren Western-Epos aus den 70ern zu, nur um im nächsten Moment in einen Albtraum von Lucio Fulci hineingezogen zu werden. Diese Mischung funktioniert erstaunlich organisch, nie aufgesetzt. Auch beim Sounddesign wird nicht gekleckert, sondern dosiert. Der Score ist spärlich, beinahe minimalistisch, was dazu führt, dass jedes Knarzen, jedes Heulen des Windes, jedes Splittern von Knochen umso intensiver wirkt.

Besondere Erwähnung verdient die Darstellung des Kannibalenstamms. Diese Wesen wirken nicht einfach wie „Indianer-Karikaturen“ – sie sind etwas Anderes, etwas Unheimliches, Archaisches, das sich jeder klaren Kategorisierung entzieht. Sie erscheinen wie eine Urgewalt, wie ein Überbleibsel aus einer Zeit, in der die Menschheit noch nicht wusste, ob sie Mensch oder Bestie sein wollte. Keine romantisierte Folklore – sondern eine Bedrohung von fast mythischer Wucht. Und wenn sie zuschlagen, dann erbarmungslos, roh, intensiv. Der Film zelebriert diese Gewalt nicht, er benutzt sie als Schockwelle. Die Qualität der Splattereffekte ist schlicht fantastisch, sie sind nicht übertrieben cartoonhaft sondern wirken extrem realistisch. 

Allen voran strahlt natürlich Kurt Russell, dessen Bart allein schon mehr Autorität ausstrahlt als die meisten Hollywood-Cops mit ganzen SWAT-Teams im Rücken. Er bringt diese knorrige Mischung aus väterlicher Fürsorge und „zieh lieber schneller, sonst liegst du gleich“-Härte auf die Leinwand, die man in dieser Form kaum besser besetzen könnte. Doch Bone Tomahawk ist kein One-Man-Show. Patrick Wilson humpelt sich als verletzter, aber unbeirrbarer Ehemann mit stoischer Zähigkeit durch die Prärie. Richard Jenkins als Deputy Chicory, ist verschroben, naiv, manchmal zum Schmunzeln und Matthew Fox schließlich, dessen Dandy-Scharfschütze so arrogant und elegant zugleich daherkommt, dass man ihm abwechselnd einen Whiskey spendieren und ihm eins über die Rübe ziehen möchte.

Fazit

Bone Tomahawk ist roh, er ist langsam, er ist verstörend – und gerade deshalb ist er großartig. S. Craig Zahler hat mit seinem Debütfilm ein Werk geschaffen, das Genres kreuzt wie ein Revolverheld die Straßen einer staubigen Stadt: mit Selbstbewusstsein, Präzision und einem Hauch Wahnsinn. Die Mischung aus Western und Kannibalenhorror ist so ungewöhnlich wie faszinierend, die Erzählweise so entschleunigt wie hypnotisch, die Gewalt so brachial wie unvergesslich. Kurt Russell führt ein Ensemble an, das glänzt, die Atmosphäre ist zum Schneiden dick, die Splattereffekte sind von makabrer Meisterklasse. Zahler beweist Mut, indem er Tempo gegen Intensität eintauscht und das Western-Genre mit archaischem Horror kreuzt. Was zunächst wie ein klassischer Ritt in die Wildnis beginnt, verwandelt sich in einen Albtraum aus Knochen, Blut und archaischer Brutalität – und genau darin liegt die Faszination.

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