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Alberto Cavallones Spielfilmkarriere, falls man den Begriff Karriere bei der Reihe von Misserfolgen und Enttäuschungen, mit denen der italienische Regisseur zeitlebens zu kämpfen hatte, überhaupt benutzen möchte, begann – überraschend sowohl für Cineasten der Gegenwart als auch für die seinerzeit an der Entstehung des Films Beteiligten - mit einem kleinen Erfolg. LA SALAMANDRE, 1969 erschienen, stellte zwar bereits die dritte Regiearbeit Cavallones dar, war jedoch nichtsdestotrotz das erste seiner Werke, das eine kommerzielle Veröffentlichung erfuhr. Sowohl seine bereits 1959 entstandene erste Arbeit, eine Dokumentation über den Algerischen Unabhängigkeitskrieg namens LA SPORCA GUERRA, als auch sein Spielfilmdebut, LONTANO DAGLI OCCHI von 1964, wurden entweder nur einem kleinen Publikumskreis zugänglich gemacht oder aber gleich gar nicht öffentlich aufgeführt . Da beide Werke zudem heute als verschollen gelten, kann man LA SALAMANDRE mit Fug und Recht als Cavallones eigentlichen Erstling betrachten. Mit LA SALAMANDRE scheint er, anders als mit seinen beiden Vorgängern, den Nerv der Zeit getroffen zu haben, gilt der Film heute als sein erfolgreichstes Werk, zumindest was die Kinoeinspielergebnisse des Jahres 1969 betreffen.

Auf den ersten Blick, rein auf die Story bezogen, die in LA SALAMANDRE erzählt wird, verwundert das zunächst nicht. Im Mittelpunkt des Films stehen zwei Frauen, die eine lesbische Beziehung unterhalten, auf der einen Seite Ursula, eine weiße Modephotographin, auf der andern Uta, ihr dunkelhäutiges Model und Muse. Von New York aus sind beide nach Tunesien gereist, wo sie augenscheinlich den Großteil ihrer Zeit damit verbringen, sich an einsamen Stränden zu sonnen, zu spontanen Shootings losziehen, bei denen Ursula einzig und allein Uta als Motiv für ihre Photos wählt, oder sich um die Pflege ihrer zugleich kindlichen und leidenschaftlichen Beziehung kümmern. Klar wird es nie, doch offenbar scheint Ursula als Photographin erfolgreich genug zu sein, um sowohl sich als auch Uta einen eher gehobenen Lebensstil zu sichern, und muss trotz ihrer Afrikareise nicht um ihre Finanzen fürchten. Ursula hat indes nicht nur was den materiellen Aspekt betrifft, den dominanteren Part in der Beziehung inne. Während sie extrovertiert ist, laut, von dem ständigen Wunsch getrieben, sich in den Vordergrund zu stellen, sich zudem mittels ihrer Photos die Realität aneignet und verformt, wie sie sie gerne hätte, der Wirklichkeit also ihre subjektive Sicht überstülpt, verhält es sich mit Uta genau umgekehrt. Sie zeigt sich schüchtern, zurückhaltend, ist geprägt von einer tiefen Unsicherheit und Abhängigkeit gegenüber Ursula, von der sie permanent fürchtet, sie zu verlieren. So sieht sie auch das Auftauchen des Psychiaters Henry zunächst kritisch, der die beiden Frauen zu Beginn des Films an einem verlassenen Strandabschnitt aufstört. Ursula ist es, die den Mann mittleren Alters mit ihrer offensiven Art zum Bleiben bewegt, während es Uta am liebsten wäre, er würde den Strand sofort wieder verlassen, nachdem er bemerkte, dass sie vor ihm dort waren. Gemeinsam kehrt man schließlich in die nahe Stadt zurück. Henry bringt die Frauen zu ihrem Hotel, verabredet sich mit ihnen zum Abendessen, was Uta, wie sie Ursula nach seinem Verschwinden zu verstehen gibt, überhaupt nicht passt. Ursula bietet ihr an, sie könne ihm ja in seinem Hotel ausrichten lassen, dass das Date wegen irgendwelcher unerwarteter Umstände ausfallen müsse, worauf Uta loszieht, um ihm an der Rezeption genau diese Botschaft zu überbringen, stattdessen im Hotelfoyer mit ihm zusammentrifft und sich von ihm zu einer Spazierfahrt überreden lässt. Nicht nur Henry, der als Psychiater scheinbar nichts Besseres zu tun hat, als sich mit den Beziehungsgeflechten aller Menschen, denen er begegnet, dezidiert auseinanderzusetzen und seine Ergebnisse denen dann unter die Nase zu reiben, ist es, der sie an diesem Tag zutiefst verunsichert. Ein junger Mann, kaum älter als sie selbst, den sie auf ungewöhnliche Weise kennen lernt, und der sie daraufhin mitnimmt zu den Ruinen Karthagos, wo er das psychisch labile Mädchen zunächst verführt und dann mit rebellischen, revoltierenden Ideen konfrontiert, legt in Uta ein Saatkorn, das sie ihre Beziehung zu Ursula neu bewerten lässt…

Obgleich ich LA SALAMANDRE attestieren muss, dass es sich bei ihm um den konventionellsten der mir bisher bekannten Filme Cavallones handelt, der im Grunde nur in seiner ersten und seiner letzten Szene, sowie in einigen wenigen über seine Laufzeit hinweg verstreuten ungewöhnlicheren, assoziativeren Montagen rein optisch etwas Ungewöhnliches bietet, ist das Werk dennoch weit entfernt von dem formelhaften Beziehungs- und Liebesdrama, das man in ihm allein nach der obigen Inhaltsangabe vermuten könnte. Cavallone wäre nicht er selbst, würde er die Liebesbeziehung zwischen Uta und Ursula, die für das Jahr 1969, zumindest aus einem konservativen-traditionellen Blickwinkel, zwei Tabubrüche begeht, zwei Grenzen niederreißt, die, die Angehörige des gleichen Geschlechts, und die, die Angehörige verschiedener Rassen im Sexuellen voneinander trennt, nicht nur als Basis benutzen, von der aus er manchmal wütend, manchmal sachlich-kritisch, manchmal auch ironisch überspitzt und zynisch auf all die Feindbilder einschlägt, die ihn auch im weiteren Laufe seiner Filmographie begleiten werden. In LA SALAMANDRE ist Cavallone nahe bei Godard, wenn er die eigentlich recht banale Liebesgeschichte zum Sprungfeld nimmt, um seine Figuren in endlose Dialoge über Politik, Religion, Moral, den Zeitgeist, Vietnam, Rassismus und Kolonialismus zu verstricken, und sich weniger darum kümmert, dass sein Film eine stringente, bruchlose, kohärente Geschichte erzählt, als ihn vielmehr als Sammlung von Ideen und Bildern gestaltet, mit der er eindeutig politische Motivationen verfolgt. Leider schafft es LA SALAMANDRE dabei nicht immer, die Balance zu halten zwischen seiner fiktiven Story und den dieser übergeordneten Metaphern und Überlegungen. Hauptschuld sind hierfür, meiner Meinung nach, vor allem die Dialoge. In keinem mir bekannten Cavallone-Film wird so viel gesprochen wie in LA SALAMANDRE. Es gibt kaum einen Moment der Ruhe, in denen die Münder der Protagonisten einmal schweigen würden. Notwendig ist diese Geschwätzigkeit allerdings nicht immer, zumal die Dialoge es fertigbringen, innerhalb kürzester Zeit von interessanten, prägnanten, philosophischen Statements in nichtssagende Phrasen oder endlose inhaltlichen Wiederholungen umzukippen. Aus welchem Grund auch immer, die Figuren in LA SALAMANDRE reden selbst dann, wenn es eigentlich nichts zu sagen gibt, was dazu führt, dass manche Passagen viel an Wirkung verlieren oder manche Idee derart oft wiederholt wird, dass sie am Ende nur noch plakativ wirkt.

Überrascht hat mich, wie eindeutig man schon LA SALAMANDRE als einen Film Alberto Cavallones ausmachen kann. Viele Themen und Motive, die sich durch sein gesamtes Werk ziehen werden, sind auch hier schon vertreten, angefangen von Figuren aus dem psychiatrischen und photographischen Milieu über den hohen Stellenwert, den Sex innerhalb der Geschichte zukommt, auch wenn Cavallone mit nackter Haut hier noch vergleichsweise zahm und zurückhaltend umgeht, bis hin zu dem bereits erwähnte Einbeziehen der Realität in seine fiktive Filmwelt, unter anderem bereits mit dem Einfügen von Dokumentaraufnahmen, die die Handlung kontrastreich unterbrechen. Neben vielen Szenen von Rassenunruhen in den Vereinigten Staaten sind es vor allem die reellen Bilder einer Hinrichtung, die dem Zuschauer im Gedächtnis bleiben. So erklärt Henry den beiden Frauen relativ am Anfang auf deren Frage, weshalb der Strand, an dem sie ihren Tag verbrachten, von keinem Einheimischen besucht werde, dass die ihn aufgrund seiner Vergangenheit meiden würden. Dort seien nämlich Aufständische einer Revolte erschossen worden, was auch die Einschusslöcher in einer Mauer beweisen, an der sie gerade vorbeikommen, worauf der Film im nächsten Moment schon in Archivaufnahmen von zwei knienden Männern umschlägt, denen hinterrücks in den Kopf geschossen wird, eine Praxis der Verwischung der Grenzen zwischen Fiktion und Wirklichkeit, die Cavallone bis zu seinem wohl radikalsten Werk BLUE MOVIE beibehalten sollte. Jedoch sind nicht nur für die positiven Trademarks des Regisseurs bereits in LA SALAMANDRE die Grundstöcke gelegt, auch die Budgetprobleme, die alle seine folgenden Filme, vielleicht mit Ausnahme von SPELL, überschatten sollten, werden hier schon offensichtlich, wenn der Film auch immerhin nicht derart stark unter den fehlenden Finanzmitteln leidet, wie beispielweise DAL NOSTRO INVIATO A COPENAGHEN, wo die geringen zur Verfügung stehenden Gelder es größtenteils verhinderten, dass der Film so umgesetzt werden konnte wie er es verdient hätte. LA SALAMANDRE ist aus technischer Sicht beileibe kein Meisterwerk, meisterhaft ist dennoch die Art und Weise, wie Cavallone und sein Team es schafften, sich von dem schmalen Budget nicht daran hindern zu lassen, dem Film nichtsdestotrotz eine äußere Gestalt zu verpassen, die ihn weitaus teurer aussehen lässt als er wahrscheinlich gewesen ist.

Wie bereits angedeutet, hat LA SALAMANDRE in seiner ersten und seiner letzten Szene eine Art Rahmen, der die realistische, weitgehend nachvollziehbare Geschichte um Ursula und Uta umschließt. Ähnlich wie Jahre später AFRIKA beginnt er mit einer bizarren, drastischen (Traum)sequenz, in der Uta, panisch hinter einem Gebüsch hockend, an einem Strand mitansehen muss, wie ein Schwarzer von mehreren Weißen gehetzt, schließlich überwältigt und kastriert wird. Nachdem sie den Fremden seines Geschlechtsteils entledigten, setzen sie die Jagd auf Uta fort, die erst in den sich um sie schließenden Armen Ursulas Schutz findet. Um seinen genialsten Einfall auszuspielen und in seinen Zuschauern einen noch größeren Schock als mit diesem Auftakt auszulösen, wartet Cavallone bis zum Ende. Nachdem der Film die Beziehung zwischen Ursula und Uta in den Kontext von Kolonialismus, Sexualität und Macht setzte, und das farbige Model, das ein Gespräch zwischen Ursula und Henry belauschte, in dem die Photographin sie wie ein Stück Vieh an den Psychiater verschachert, nur um eine Nacht mit ihm verbringen zu dürfen, lässt er sie zur Mörderin an ihrer einstigen großen Liebe sowie an Henry werden. Analog zur Traumsequenz des Anfangs ersticht Uta Ursula an ihrem verlassenen Strand. Die Photographin schleppt sich sterbend zum Meer, bricht blutüberströmt in den Wellen zusammen. Gerade wenn man sich über diesen doch recht einfallslosen, wenig subtilen Schluss wundern will, fährt die Kamera zurück und zeigt Cavallone und sein Filmteam bei der Arbeit. Eine Frau schüttet Kunstblut über die Schauspielerin der Ursula. Eine Klappe fällt. Eine Stimme ruft quer über den Strand, dass alles im Kasten sei, und man nun das Finale für den amerikanischen Markt drehen wolle, das, in dem nicht die Weiße, sondern die Farbige sterbe. Es ist alles nur ein Film, scheint Cavallone seinem frustrierten Publikum damit klarmachen zu wollen. Die wahre Revolution findet nicht auf der Kinoleinwand statt. Der Film endet mit einer Großaufnahme des regungslosen Gesichts des Mädchens, von dem man nicht weiß, ob es noch immer in seiner Rolle als Uta steckt, oder ob man nun die Persönlichkeit hinter der Rolle vor sich hat. Glücklich sieht ihr Blick nicht aus, der in die Ferne schweift, während um sie herum Anweisungen gebrüllt werden. Kolonialismus, Rassismus, Machtpolitik, das steht damit fest, sind allerdings durchaus auch auf der Kinoleinwand zuhause.

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