DAL NOSTRO INVIATO A COPENAGHEN, der zweite Spielfilm Alberto Cavallones, ist ein Werk der Enttäuschungen. Selten habe ich es so sehr bedauert, dass eine Grundidee, die mir so gut gefiel wie die, die sich Cavallone hier ersann, in einem Film verwirklicht wurde, der nur außerordentlich selten ihren Anforderungen gerecht wird.
Im Mittelpunkt von DAL NOSTRO INVIATO A COPENAGHEN stehen Nick und William, zwei amerikanische Soldaten, die zu Beginn des Films von einem Militärstützpunkt in Wiesbaden desertieren, Kontakt mit einer pazifistischen Organisation aufnehmen, die ihnen neue Identitäten verschafft und sie nach Kopenhagen bringt, wo sie bei zwei verschiedenen Familien unter falschen Namen unterkommen. Das alles verdeutlicht, oder besser: verschleiert man in einer unfassbar rasanten Montage, die in den ersten paar Minuten mehr Informationen unterbringt, als der Zuschauer überhaupt fassen kann. Mittels äußerst hastigen Schnitten, die Raum und Zeit in Sekundenschnelle wechseln, überfordert Cavallone sein Publikum bereits vor dem Vorspann, wie um jedem die Chance zu geben, dass er, wenn ihn dieser wahnsinnige Auftakt bereits überfordert, schon hier und jetzt aus dem Film aussteigen kann. Danach jedoch wird der Film wesentlich ruhiger und folgt Nick und William beinahe dokumentarisch durch die Straßen Kopenhagens, wo sie sich, alsbald ohne Geld, mit Gelegenheitsjobs über Wasser halten müssen. Was sie zu ihrer Flucht bewegte, wer sie eigentlich sind und was sie verbindet, erfahren wir jedoch noch lange nicht. Stattdessen dürfen wir zusehen wie jeder mit der neuen Situation klarzukommen versucht.
Immer wieder treffen sich die beiden Freunde, um gemeinsam Essen aufzutreiben oder sich das Gefühl zu geben, dass sie in der fremden Stadt nicht allein sind. Nick lässt sich als Pornoschauspieler anheuern und leiht billigen Untergrundfilmen seinen Körper, um ihn ernähren zu können. William indessen, der bei einem Ehepaar wohnt, dem er vorgaukelt, ein Student zu sein, der nach Kopenhagen kam, um für eine wichtige Dissertation zu recherchieren, muss sich den sexuellen Avancen des männlichen Parts des Paares erwehren, und steht kurz davor, die Wohnung zu verlassen, bis ihn seine Gastgeberin davon abhält und ihm versichert, dass ihm ihr Mann in Zukunft nicht mehr zu nahe kommen wird. Stattdessen beginnt er nun mit ihr eine Affäre, was allerdings in einer Katastrophe endet. William, der immer wieder von kurzen Schreckensvisionen seiner Zeit in Vietnam gequält wird, verliert nach dem Sex mit der Frau zum ersten Mal vollends die Kontrolle über sich.
Nachdem er die Frau brutal zusammengeschlagen hat, ruft er Nick an und bittet ihn verzweifelt um Hilfe. Der nimmt seinerseits Kontakt mit der Untergrundorganisation auf, die ihnen die falschen Pässe besorgte, und zu denen auch der in Kopenhagen ansässige Psychiater Bork gehört. Dieser soll William, der zunehmend den Bezug zur Wirklichkeit verliert und zu einem sozial inkompatiblen Wesen wird, von seinen Traumata, die ihm seine Beteiligung am Vietnamkrieg einbrachte, befreien. William zieht also bei Bork und dessen junger Frau Ulla ein und soll sich dort unter ständiger Aufsicht des Arztes befinden. Der wiederum führt auch mit Nick lange Gespräche, um möglichst viele Informationen über William zu erhalten. Zögernd rückt Nick mit der Sprache heraus, berichtet ihm von den Gräueln und Kriegsverbrechen, an denen sie beide beteiligt waren, und die William jetzt in Form von Erinnerungen zu verfolgen und in den Wahnsinn zu treiben scheinen. Auch erfährt Bork von Williams Schwester Katie, die ihm wohl der wichtigste Mensch im Leben ist und an die er in Vietnam regelmäßig Briefe schrieb. Diese meint der zunehmend verrückter werdende William in Ulla zu erkennen, die, auf Anraten ihres Ehemanns, in Katies Rolle schlüpft. Nick indessen kommt dahinter, dass Bork nicht einzig aus gemeinnützigen Motiven handelt. Er und die geheimnisvolle Organisation, der er angehört, scheinen zu planen, seine und Williams Geschichte und vor allem dessen Wahnsinn für ihre eigenen Zwecke benutzen wollen…
Es ist nicht überraschend, dass Cavallone schon seinen zweiten Spielfilm wie eine einzige Anklage formuliert. Im Zentrum seiner Kritik steht freilich der Vietnamkrieg, stellvertretend für Krieg an sich und für die USA im Besonderen, die wohl zeitlebens zu Cavallones größten Feindbildern zählten. In den Rückblenden, anfangs nur spärlich eingestreut und später immer größere Teile des Films einnehmend, lässt er keinen Zweifel daran wie sehr er den Krieg verachtet. Nick, William und alle anderen Soldaten, denen man in den Szenen begegnet, sind keine eigenständigen Individuen, sondern reine Tötungsmaschinen, darauf gedrillt, gefühllos zu morden und nicht zu hinterfragen, was sie tun. Einmal verspricht William demjenigen Soldaten, der die meisten Vietnamesen ermordet, eine beträchtliche Geldsumme als Belohnung. In einer anderen Szene wird er von einem Untergegeben gefragt, was er mit einem kleinen Jungen tun solle, den dieser einfing, und unterstreicht ungerührt den Befehl, dass er keine Gefangenen nehmen wolle. In den Rückblenden versteckt sich William unter einer Kappe und hinter einer Sonnenbrille, dadurch auch rein äußerlich separiert von seiner Umwelt, handelt emotionslos, kühl und brutal. Nick ist die meiste Zeit von einer fast apathischen Ruhe beseelt, selbst in Szenen, wo er selbst aktiv zum Täter wird. Ganz anders begegnen Nick und William uns in der Gegenwart. Der Krieg hat sie förmlich zerstört. Während Nick sich noch einigermaßen in Kopenhagen zurechtfindet, wenn auch als Pornodarsteller, so wird es William mehr und mehr unmöglich, in die Gesellschaft zurückzufinden. Er ist hysterisch, nervös, leidet unter Stimmungsschwankungen und wird schließlich zur Gefahr für seine Umwelt, indem er beinahe einen Mord begeht.
Weitere Kritikpunkte schiebt Cavallone seinem Film subtiler unter. So rückt er andauernd die schrillen Neonreklametafeln Kopenhagens in den Fokus der Kamera. Es wird für amerikanische Produkte und für Sexshows geworben. Auch gibt es den Monolog eines Pornoproduzenten, der Nick engagiert, und der keinen Zweifel daran lässt, dass Cavallone in der aufkommenden Pornoindustrie nur ein weiteres Mittel sah, die Massen zu betäuben und von den wesentlichen gesellschaftlichen Problemen abzulenken. Ironie des Schicksals, dass Cavallone seine Karriere einige Jahre später selbst als Pornoregisseur beendete, und sich exakt in dem System wiederfand, das er hier kritisiert.
Jedoch bleibt die Kritik, die in DAL NOSTRO INVIATO A COPENAGHEN geübt wird, beileibe keine einseitige, was mehr als deutlich in der Figur Borks zum Ausdruck kommt. Der Psychiater ist Mitglied einer linken Vereinigung, die sich gegen all das ausspricht, was Cavallone selbst verachtet, dennoch nimmt er sich William nicht etwa aus hehren Motiven an, sondern weil er sich von seinem Schicksal Ruhm und Ehre erhofft, und ihn eher als Versuchskaninchen betrachtet, als Mittel zum Erreichen seiner eigennützigen Ziele. Hinzu kommt noch der interessante Aspekt, dass Borks Frau, da ihr Mann es verlangt, die Identität von Williams Schwester annimmt, quasi ihre eigene Identität den Plänen ihres Gatten unterordnet.
Leider hört sich das alles wahrscheinlich interessanter an als es von Cavallone umgesetzt wurde. Dass ihm zur Realisierung des Projekts alles andere als ein üppiges Budget zur Verfügung stand, sieht man auch bei diesem Film an allen Ecken und Enden, und zudem wirkt die Geschichte stellenweise äußerst unausgegoren, wie noch nicht ganz ausgereift, als habe man bereits mit den Dreharbeiten begonnen, während der Film noch in der Vorbereitungsphase steckte. Technisch gibt es die vielen unnötigen Kamerazooms zu bemängeln und vor allem zu Beginn verwendet man einen äußerst nervtötenden Soundtrack, um Williams und Nicks Verzweiflung in Kopenhagen zu untermalen. So gebärdet sich William voller Schmerz, hadert mit sich und der Welt, und dazu erklingt ziemlich alberne Musik wie aus einer Klamaukkomödie. Mit Sicherheit hat Cavallone sich dabei etwas gedacht, wollte wohl die Verzweiflung seiner Helden ironisch kommentieren, aufzeigen, dass ihr Aufbegehren gegen die Umstände genauso sinnlos ist wie sich ihnen zu fügen, so wie sie es vorher in Vietnam taten, und schlussendlich nirgendwohin führt, dennoch büßen gerade diese emotionalen Szenen das meiste ihrer Wirkung dadurch ein, dass sie durch solche Musikeinsprengsel ins Lächerliche gezogen werden. Auch das Ende wirkt ziemlich unbefriedigend. Viele der unzähligen Dialogszenen treten auf der Stelle und vor allem gegen Schluss hin schleichen sich doch einige ermüdende Passagen ein. Der Film verliert immer mehr an Tempo und immer weniger wird klar, wo er eigentlich hin will.
Neben der harschen Kritik, mit der Cavallone auf alles und jeden einschlägt, was er verabscheut, ist ein weiterer Aspekt, den man auch in seinem späteren Meisterwerk BLUE MOVIE findet, der Einsatz von Dokumentaraufnahmen. Hier sind es reale Bilder des Vietnamkriegs, die er in DAL NOSTRO INVIATO A COPENAGHEN hinein schneidet. Leider nicht mit der erwünschten Wirkung. Auch hier scheitert das Unterfangen an den geringen Finanzierungsmitteln. Zu deutlich unterscheiden sich die Originalaufnahmen von denen, die Cavallone selbst inszenierte, um Williams und Nicks Zeit in Vietnam zu schildern, und die offensichtlich im italienischen Hinterland gedreht wurden, was dadurch, dass sie sich mit realem Filmmaterial abwechseln, umso deutlicher wird, und Cavallones eigenes Vietnam recht billig aussehen lässt.
Gefallen haben mir an dem Film wie bei dem später entstandenen AFRIKA (auf den die Rückblendenstruktur im Mittelteil bereits hinweist) fast ausschließlich Einzelszenen, die aus dem Rest herausstechen. Als William sich für einen Porno anheuern lässt, beobachtet die Kamera eine Weile zwei Pornodarstellerinnen, die mit einer Maus, die an einer Kette geführt wird, ihre Spielchen treiben. In einer Szene, die überhaupt nichts mit dem übrigen Film zu tun hat, fahren Ulla, Bork und William in eine Schneelandschaft irgendwo im Norden, wo sie auf eine Herde Rentiere stoßen, die William hin und her jagt, sie immer wieder aufscheucht, dabei strauchelt, in den Schnee stürzt, sich wieder aufrappelt und die Jagd lachend fortsetzt. Die Vietnamszenen gehören ebenso zum Besten, was der Film zu bieten hat. Eine Szene, in der William und Nick einen Vietnamesen foltern, um Informationen aus ihm herauszupressen, und ihm dazu die Fingernägel mit einer Zange abreißen, wurde ziemlich graphisch umgesetzt. Auch die Stürmung eines Dorfes und dessen Niederbrennen durch die amerikanischen Soldaten fand ich, in Anbetracht des Budgets, nicht schlecht inszeniert. Schlussendlich ist auch der völlig überstürzte Anfang etwas, das ich nicht so schnell vergessen werde.
Dass DAL NOSTRO INVIATO A COPENAGHEN im Vergleich zu anderen Filmen Cavallones dennoch relativ schlecht abschneidet, liegt daran, dass diesen Höhepunkten gegenüber ein Gros an Szenen steht, die mich wenig oder kaum begeistern konnten. Daher muss ich Cavallones Version eines psychologischen Kriegsdramas als schlechtesten Film aus seiner seriösen Schaffensperiode bezeichnen, den ich bisher gesehen habe.