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In seinem vierten Spielfilm AFRIKA begrüßt Alberto Cavallone sein Publikum mit Szenen, die auch aus einem der unzähligen Exploitation-Filme stammen könnten, die zur damaligen Zeit in Italien beliebt waren. Ein Mann fährt in Afrika eine Straße entlang und wird von Polizisten angehalten, die seine Fahrzeugpapiere fordern. Er steigt aus, zeigt ihnen, was sie zu sehen wünschen. In unmittelbarer Nähe badet nicht nur ein weiterer korpulenter Polizist in einem Wasserfall und genießt die Sonne, sondern einige seiner Kollegen sind auch mit zwei jungen Frauen, angeblichen Rebellen, beschäftigt. Nachdem einer der Wachmänner eine brennende Zigarette auf der Brust einer der Frauen ausdrückte, werden sie mit den Gewehren zusammengeschlagen und vergewaltigt. Als eine danach immer noch stöhnt, führt einer der Polizisten den Lauf seiner Waffe in ihre Vagina ein und drückt ab. Zwischen diese nicht besonders graphischen, jedoch vor allem wegen ihrer Unvermitteltheit schockierenden Sequenzen, werden Aufnahmen des in einen Strauch urinierenden Badenden geschnitten und die des Mannes, der darauf wartet, dass er seine Papiere zurückbekommt. Seinem Gesicht sieht man an, dass er zwar entsetzt von den Vorgängen ist, jedoch offenbar bereits zu vielen ähnlichen Szenen beiwohnen musste, um noch wirklich von ihnen ergriffen zu werden. Der Polizist hat seine Routinearbeit erledigt, mit seinen Papieren ist alles in Ordnung. Der Mann darf wieder einsteigen und weiterfahren. Vor einer Landkarte des Schwarzen Kontinents lässt Cavallone jetzt den Vorspann laufen. Bei dem Mann zu Beginn handelt es sich um den Arzt Philip Stone, der gemeinsam mit seiner Frau in Afrika lebt. Von ihr hat er sich längst entfremdet. Ihre Ehe existiert nur noch auf dem Papier, in Wirklichkeit lebt jeder sein eigenes Leben. Zudem leidet Stone unter einem inneren Konflikt, ist unfähig, zu seiner Homosexualität zu stehen, sie als Teil seiner Persönlichkeit zu akzeptierten. Es gelingt ihm, seine Empfindungen für Männer zu unterdrücken bis er in einer örtlichen Bibliothek einen jungen Mann namens Frank kennen lernt. Schnell entwickelt sich eine heimliche Beziehung zwischen beiden, doch selbst in ihr gelingt es Stone nicht, sich vollends für Frank zu entscheiden, den er als Sekretär einstellte, um ihn ständig um sich zu haben. Natürlich ahnt Stones Frau schnell, weshalb ihr Gatte den Jungen in ihr Haus brachte. Eine komplizierte, Stone vor allem psychisch belastende Situation entsteht, die darin gipfelt, dass Frank sich dazu entschließt, sich einer Geschlechtsoperation zu unterziehen, um seine Partnerschaft mit Stone eine werden zu lassen, die dieser als normal empfinden kann.

AFRIKA ist ein Film, der in Rückblenden erzählt wird. Alles beginnt (oder endet) mit dem Tod Franks. Wir hören einen Schuss, ein Hotelangestellter, der ihn ebenfalls vernahm, eilt durchs Treppenhaus zu dem Zimmer, in dem er losging, und findet Frank, der sich inzwischen einer Geschlechtsumwandlung unterzog und sich Eva nennt, mit einem Einschussloch in der rechten Schläfe. Im Folgenden führt der ermittelnde Kommissar mit dem Ehepaar Stone ein endloses Gespräch in der Bar des Hotels, um herauszufinden, wer Frank tötete, ob es einer von ihnen war, denn beide scheinen ihm ein Motiv zu haben, oder ob der junge Mann sich schlussendlich selbst das Leben nahm. In die Unterhaltung, bei der die lange verschlossen gehaltenen Gefühle der Eheleute zum Vorschein kommen, eingestreut sind Szenen der Vergangenheit. Wir erfahren wie Stone und Frank sich das erste Mal trafen, lernen Franks Schwester Jeanne kennen, und erfahren, dass Frank Opfer eines sexuellen Übergriffs durch ein paar Schulkameraden wurde, zwei Jungen und zwei Mädchen. In dieser wiederum recht drastischen, wenn auch nicht sonderlich expliziten Szene wird Frank quasi von der Straße weg entführt und ins Ödland gebracht, wo einer der beteiligten Kerle ihn anal vergewaltigt. Typisch für den Stil des Films ist, dass viele Szenen aus den verschiedenen Blickwinkeln beleuchtet werden. Kurz darauf folgt nämlich eine Rückblende, in der Franks Schwester kurz nach der Vergewaltigung am Ort des Geschehens eintrifft. Noch später wird offensichtlich, dass Franks Schwager die vier Personen engagierte, die ihn misshandeln sollten, um ihn von seiner Homosexualität zu "heilen".
In der ersten Dreiviertelstunde konzentriert sich der Film völlig auf diese Geschichte. Zu zarten Pianoklängen verlieben Frank und Stone sich ineinander. Stones Frau versucht, Frank zu verführen, indem sie sich nackt vor ihm in der Badewanne räkelt. Es gibt unzählige Dialoge zwischen dem Kommissar und den Eheleuten. Im Großen und Ganzen hat mich der Film, vor allem nach dem aufwühlenden Beginn, in dieser Phase enttäuscht. Man sieht ihm, wie vielen Werken Cavallones, das fehlende Budget an allen Ecken und Enden an. Zudem setzte Cavallone das Drehbuch relativ konventionell um. Natürlich ist die Flashback-Struktur einigermaßen ungewöhnlich, hat mich allerdings nicht wirklich begeistert, da sich vor allem bei den Gesprächen in der Bar etliche Längen einschleichen und der Film teilweise auf der Stelle tritt. In der ersten Hälfte gibt es nur wenige Szenen, die mir gut gefielen, allesamt welche, in denen der Film etwas Dokumentarisches zu bekommen scheint. Wenn Stone Frank nach ihrer Begegnung in der Bibliothek sucht und dabei mitten in einen Basar gerät, lässt Cavallone die Kamera kurze Momente über die Stände und Händler schweifen, zeichnet auf, was sich um sie herum abspielt, und bringt Bilder, die ich interessanter fand als die Konflikte, die sich in Stones Haus abspielen.
Dann jedoch liefert Cavallone Szenen, mit denen ich nicht mehr rechnete. In einer weiteren Rückblende, der insgesamt längsten, die auch am wenigsten mit der restlichen Handlung verbunden zu sein scheint, brechen die Eheleute Stone zusammen mit einigen anderen Europäern, unter anderem einem erblindeten ehemaligen Oberst und seiner Frau, ins Landesinnere auf, um ein afrikanisches Dorf zu besuchen. Die Einwohner des Dorfes biedern sich den Touristen an, da sie auf ihr Geld angewiesen sind, und die Touristen wiederum behandeln die Afrikaner von oben herab, machen sich über ihre Traditionen lustig, versuchen gar nicht, ihre Kultur zu verstehen, sondern betrachten sie als etwas Archaisches, das heutzutage höchstens noch zum Amüsement dient. Für die Ankömmlinge schlachten die Eingeborenen einen Ochsen, um ihnen ein angemessenes Mahl zu bereiten. Die eigentliche Tötung des Ochsen wird dabei aus einiger Distanz gefilmt. Man sieht deutlich, dass dem Tier die Kehle durchgeschnitten wird, doch befindet sich die Kamera zu weit entfernt, um irgendwelche Details zu enthüllen. In einer meiner liebsten Szenen des Films fährt sie daraufhin mitten unter den Dorfbewohnern im Kreis herum, dreht sich einmal um sich selbst, erfasst die vielen Menschen, die umherlaufen oder in ihre Linse starren, und senkt sich schließlich, um in Großaufnahme den Kopf des Ochsen, die klaffende, blutige Wunde an seinem Hals zu zeigen. In den Dorfszenen, bei denen man bereits deutliche Parallelen zu Cavallones späterem Meisterwerk SPELL ziehen kann, kommt die gesamte Verzweiflung und Verlorenheit der Figuren stärker zum Ausdruck als im gesamten restlichen Film. Stone stolperte in eine Hütte, deren eine Wand mit Comiczeichnungen bedeckt ist. Plötzlich beginnt er zu weinen und zu schreien, verliert seine Lethargie, greift nach einem Eimer mit schwarzer Farbe und übertüncht die Comicfiguren mit mehreren kräftigen Pinselstrichen. Der blinde Oberst sitzt am Bankett vor den Tellern voller Ochsenfleisch und bekommt nicht mit, dass seine Ehefrau in unmittelbarer Nähe mit einem weiteren Reisenden flirtet. Stone und seine Frau geben vor den Europäern das liebende Paar, obwohl sie kurz davor stehen, sich endgültig voneinander zu trennen. Ergreifend und wunderschön ist am nächsten Morgen der See, an dem die Eheleute sitzen und über ihre Gefühle sprechen. Die Kamera schweift über die idyllisch und friedlich wirkende Landschaft. Ein paar Eingeborene sind mit Arbeiten am Ufer beschäftigt. Stone folgt dem Flug zweier Vögel mit seinen Blicken. Er und seine Frau wirken hoffnungslos verloren, ihren Gefühlen ausgeliefert, viel zu klein für die unendliche Weite und die Schönheit um sie herum. Sämtliche Personen, die an dem Touristenausflug in das Dorf teilnehmen, scheinen sich in Afrika vergraben zu haben, um ihren eigenen Problemen nicht in die Augen sehen zu müssen, doch für Stone und seine Frau gibt es zu dem Zeitpunkt kein Zurück mehr. Sie beobachten nicht mehr aus der Ferne, sondern starren mitten hinein in die blutige Wunde.
Was folgt, ist die Auflösung der Frage, wie Frank ums Leben kam, die ich hier natürlich nicht verraten werde, und die Rückkehr zu eigentlichen Story. Neben weiteren Dokumentaraufnahmen, in denen Cavallone wie beiläufig Eindrücke Afrikas zeigt, darunter einen Mann, der zur Belustigung von Touristen Hyänen füttert, indem er sich rohes Fleisch in den Mund steckt und ihnen dann den Kopf hinstreckt, hat mir auch das Ende sehr gut gefallen, das verrät, dass Cavallone es schon damals gefiel, seinen Filmen eine Kreisstruktur zu verleihen, etwas, das er später auch bei BLUE MOVIE, wo man während des Vorspanns Schüsse hört und erst am Ende gezeigt bekommt, wer schoss und weshalb, oder vor allem bei BLOW JOB anwandte. In AFRIKA besteht die allerletzte Einstellung, nachdem Stone und Jeanne sich voneinander verabschiedeten, aus den beiden Frauen vom Anfang. Ihre Leichen liegen wie nutzlos gewordene Gegenstände am Straßenrand herum, daneben hat man auf ein Pappschild REBELS geschrieben.

In AFRIKA scheint Cavallone für mich noch auf der Suche nach einer eigenen Sprache zu sein. In gewisser Weise besteht der Film aus zwei ungleichen Teilen, die sich nie wirklich zusammenfügen. Zum einen bietet er einen bissigen, kritischen Kommentar der Zustände in Afrika, wo, nach dem Abzug der früheren Kolonialmächte, etwas Neues entsteht, und der europäischen Haltung gegenüber des Kontinents, der mich streckenweise an AFRICA ADDIO von Jacopetti erinnerte. Zum andern liefert die eigentliche Story des Films eine tragische Liebesgeschichte, in der, für die Zeit ungewöhnlich, männliche Homosexualität das Hauptthema bildet, oder, weiter gefasst, die Unfähigkeit der Menschen, sich selbst zu finden, sich selbst zu akzeptieren, in einem gesunden Verhältnis zu sich selbst und ihrer Umwelt zu stehen. Es ist bezeichnend, dass die brillanten Szenen im Dorf, in denen sich Cavallones Figuren in Metaphern verwandeln, quasi außerhalb der Handlung stehen, nicht wirklich in sie eingebunden sind. Hier ließ mich die Art und Weise wie er die Verzweiflung und die Leere der Personen anhand von Landschaften inszenierte an ähnliche Szenen in Filmen von Michelangelo Antonioni denken. Sonst erreicht Cavallone diese Qualität leider nicht mehr. Teilweise wirkt alles ziemlich zerrissen und unausgegoren. Die Idee, den Film in Flashbacks zu erzählen, mag zwar recht innovativ sein, ihr Sinn hat sich mir nicht unbedingt erschlossen, vor allem da ich die vielen Dialogpassagen zwischen Stone, seiner Frau und dem Kommissar nicht besonders interessant fand. AFRIKA würde mir wahrscheinlich besser gefallen, wenn Cavallone die Handlung überzeugender in den politischen Kontext seines Films eingebunden und seine Akzente ein bisschen anders gesetzt hätte. Selbst das Potential der Liebesgeschichte zwischen Stone und Frank scheint er nie vollends auszuspielen, und einige Szenen wirken eher wie Füllmaterial, ohne dass sie etwas Neues bringen.
Überhaupt scheint mir AFRIKA von sämtlichen Filmen Cavallones, die ich bisher sah, derjenige zu sein, der am ehesten kommerziell erfolgreich hätte gewesen sein können. Freilich war er das nicht, doch insgesamt ist er, bis auf die Dorfszene und die erwähnten dokumentarartigen Einsprengsel, ein Film, der sich nicht besonders von anderen unterscheidet, die damals in Italien gedreht wurden. Während man in Cavallones Spätwerk einige äußerst schockierende, verstörende Filme findet, fällt AFRIKA auch hier relativ zahm aus. Der Einstieg mit den brutalen Folterungen und Erschießungen ist natürlich ein Schlag in die Magengrube und auch Franks Vergewaltigung und die Schlachtung des Ochsen verfehlen ihre Wirkung nicht, ansonsten hat AFRIKA ein schleppendes Tempo, eine Lethargie, eine traurige Ruhe, die der ähnelt, in der sich sein Hauptdarsteller durch den gesamten Film bewegt. Später ertranken Cavallones Filme zuweilen beinahe in nackter Haut, mitunter überschritt er die Grenze zum Hardcore-Porno. In AFRIKA ist, wenn man von den beiden Frauen am Anfang absieht, einzig seine damalige Ehefrau Jane Anvil für eine kurze Badeszene nackt zu sehen.Schlussendlich verdankt AFRIKA seine Wertung vor allem seinem Mittelteil und einigen Einzelszenen. Unterm Strich kann man ihn als ein Homosexuellendrama mit gesellschaftskritischen Obertönen betrachten, fast ohne Geld gedreht und nur stellenweise erkennen lassend, zu was sein Regisseur in ein paar Jahren fähig sein sollte.

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