Review

Sono un Poet

Momentan schmeißt Sono seine locker fünfzigste (!) Regiearbeit in die Runde - eine wahnsinnige Zahl, vor allem wenn man sein noch gar nicht so hohes Alter berücksichtigt. Respekt an die fünf Leute auf der Welt, die alle gesehen haben. Ich würde allerdings ganz frech behaupten, ähnlich wie beim noch produktiveren Miike (mit dem ich ihn zuerst verwechselt hatte), dass es ein Drittel seiner Arbeiten ebenso tut und man nicht jeden Gehirnpups von ihm inhalieren muss. Warum "The Whispering Star" unbedingt in dieses sehenswerte Drittel gehört? Ganz einfach: weil dieses Sci-Fi-Gedicht mit Understatement, Geduld und Feingefühl aus jeder noch so aufdringlichen Masse heraussticht. Sicher mit einer gewissen Portion Langeweile oder geforderter Geduld, doch das Warten und Einziehenlassen lohnt sich. Ein Gourmetfilm, viel eher Gedicht als Unterhaltung. Ein Film, bei dem "normale" Filmgucker nicht verstehen können, wie man ihn auch nur ansatzweise gut finden kann. Wir Filmnerds sprechen aber genau diese Sprache und lassen den Film wirken, einziehen, nachhallen. Jedes Bild ein Kunstwerk, ein hypnotisches Poem voller Kraft. Und sei es nur die, dich zum Träumen zu schaukeln. Der langweiligste und gleichzeitig vielleicht wichtigste Lieferdienst der Filmgeschichte. 

Wie ein eleganter und in sich ruhender Mix aus "Dark Star", "Letztes Jahr in Marienbad" und einem Stilleben-Gemälde in futuristisch. Das Leben geht auch nach der Apokalypse weiter. Nur anders. Oder: der schleichende Untergang einer Spezies. Es geht um eine Roboterpaketbotin, die jahrzehntelang durch den Orbit der Zukunft reist, damit wir paar übrig gebliebenen Menschen uns ganz klassisch Pakete schicken können. Und dabei kommt sie unserer Spezies, dem Sinn oder Unsinn des Lebens und menschlichen Gefühlen immer näher... Voller Wiederholungen, voller Stillstand, nahezu komplett ohne sinnvolle Dialoge oder äußere Handlung neben den Botendiensten. Das kann nerven, das kann zehren, das langweilt stellenweise ohne Frage. Und trotzdem versprühen die unheimlich hübschen Bilder in schwarz-weiß eine Kraft, Weisheit und Eleganz, dass man ihrem Zauber gerne erliegt. Der Film hat ein Auge und Ohr für Details, die kleinen Dinge im Leben, er schärft unseren Blick für die lustig klingenden Dosen oder mürrisch guckenden alten Menschen dieser Welt. Weitere Highlights waren für mich der kleine, süße, verwirrte Boardcomputer, das kauzige Raumschiffdesign und die unterkühlt-starke Hauptdarstellerin. Eine starke Frauen- bzw. Roboterfigur, die selbst extremste Langeweile, Einsamkeit oder Redundanz kaum aus der Ruhe bringt. Den ein oder anderen Zuschauer sicher schon eher. Viele verließen vorzeitig die Vorstellung. Muss man Mitleid mit ihnen haben? 

Fazit: Sion Sono kann auch anders - träumerisch, poetisch, melancholisch. Sono der leisen Töne. Genauso extrem wie immer, nur diesmal am anderen Ende des Spektrums. "The Whispering Star" kann in seinem aufgeblähten Filmkanon leicht untergehen, sollte dies aber nicht. Wundervoll futuristisch, elegant entschleunigt, faszinierend fortbringend. Polarisierende Zeitlupe.

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