kurz angerissen*
Dass Miles Davis seiner Zeit in vielen Phasen der Karriere weit voraus war, ist keine leere Satzhülse, um die Größe des Jazztrompeters zu untermauern, sondern beschreibt die Unfähigkeit der Zeitzeugen, einige seiner Werke auf Anhieb richtig einzuordnen, vor allem aber den stets im Wandel begreiflichen Gedankensprung von einer Strömung zur nächsten. Dem Wesen eines Musikers mit derart progressivem und vorauseilenden Charakter ist durch die episodische Abfertigung einer Lebensphase nach der anderen nicht Genüge getan.
Don Cheadle weiß um diese Aufgabenstellung und liefert einen impressionistischen Ansatz, der für ein Regiedebüt unheimlich stilsicher erscheint. Ausgerechnet die Phase Mitte bis Ende der 70er, in der seine Figur musikalisch völlig inaktiv war, kürt der Regisseur und Hauptdarsteller zum Handlungszentrum. Er dichtet darüber hinaus auch noch einen Rolling-Stones-Redakteur hinzu (Ewan McGregor), der im Laufe des Films von der journalistischen Plage zum Freund und begleitenden Kommentatoren wird.
Aus Davis' musikalischer Inaktivität heraus entsteht schließlich das streitbare Bild eines Gangsters in einer Welt voller Drogen, Waffen und Korruption. Privatparties, in deren Hinterräumen Lines gezogen werden, gehören vielleicht noch zu den erwartbaren Szenen, nicht aber Autoverfolgungsjagden mit Schusswechseln. Ein solches Portrait bildet Person wie Musiker natürlich nur unzureichend ab, vermutlich sogar irreführend. Nachdem Cheadle die vorliegende Biografie immerhin ein Jahrzehnt lang vorbereitet hat, ist er aber zu dem logischen Schluss gekommen, dass es nicht seine Aufgabe ist, ein abdeckendes Bild zu liefern. Womöglich wäre dies Aufgabe einer Dokumentation; von „Miles Ahead“ darf man vielmehr eine Abbildung der Denkweise des Trompeters und Bandleaders erwarten.
So befasst sich der Film über seine ungewöhnliche Struktur hauptsächlich damit, welcher Geist hinter der beispiellosen Metamorphose vom Bebop und Cool Jazz, Modal Jazz und Fusion verbirgt. So lässt Cheadle den älteren Miles auf eine junge Version seiner selbst treffen und verwandelt den Besuch eines Boxkampfes so zum surrealistischen Tanz. Die 70er Jahre sehen manchmal bewusst nachgestellt aus, um in Momenten besonderer Immersion plötzlich vollständig im Filmkorn zu versinken, so als schaue man sich Originalmaterial an. Der vor allem aus den mittleren Jahren entlehnte Soundtrack konterkariert das meist inaktive Geschehen auf der Leinwand (Don Cheadle hat dennoch eigens für den Film das Spielen der Trompete gelernt und vermittelt dies durchaus gekonnt) mit fortwährender Produktivität; persönliche Dramen und Liebesdinge, aus denen Filme wie „Walk The Line“ rückblickend fast ausschließlich zu bestehen schienen, begrenzt das Drehbuch auf Fußnoten. Vielmehr fungiert eine Rolle mit unveröffentlichten Privataufnahmen fast schon wie ein McGuffin aus dem Schaffen Tarantinos, nur um letztendlich den Wendepunkt der Schaffenskrise zu markieren.
„Miles Ahead“ ist damit keine vollständige Abhandlung und kein ultimatives Portrait; der Ansatz, Miles Davis als eine Art neurotischen Gangster auf eigene Faust zu zeichnen, ist zumindest streitbar. Cheadle vor der Kamera kommt dem Original trotz ansprechender Leistung optisch auch nur bedingt nahe. Dennoch überzeugt das Regiedebüt des Schauspielers mit einer einfallsreichen Struktur und von sicherer Hand geführtem Strich.
*weitere Informationen: siehe Profil