Review

Kampf gegen Windmühlen

"I, Daniel Blake" ist Ken Loachs neuester Streich, mit dem er schon die Jury in Cannes überzeugen konnte & an seine besten, humansten Zeiten anknüpft. Ein ruhiger Film, aber höchst aktuell, politisch brisant & tief traurig. Ein Bürokratie-Revoluzzer, der machtlos gegen das System kämpft. Der Staat gegen Daniel Blake. Ein neues Gesicht des kleinen Mannes & ein Paradebeispiel eines Gutmenschen, im ursprünglichen Sinne des Wortes, der nicht aufgibt, egal welche Steine ihm in den Weg gelegt werden & dabei trotzdem noch an Andere denkt. Kurze Inhaltsangabe: ein alter britischer Zimmermann wird durch einen Herzinfarkt von seinen Ärzten für arbeitsuntauglich befunden. Doch die Behörden beschließen, dass er nicht krank genug für Arbeitslosengeld/Invalidenrente sei, wodurch er zwischen den Stühlen & schnell komplett ohne Einkommen, Job & irgendwann auch Hoffnung da steht. Wäre da nicht die alleinerziehende Mutter von zwei Kindern, die er auf dem Amt trifft & der es zwar ähnlich mies geht wie Daniel, doch die ihm wieder Hoffnung & einen Sinn im Leben gibt. 

Das britische Drama, welches man sich durch den starken Dialekt der Newcastler Gegend unbedingt mit Untertiteln angucken sollte, ist zwar berechenbar, ziemlich links & einseitig, doch der Film gewinnt sehr schnell Herzen. Er macht wütend & traurig, geizt jedoch auch mit wirklich lustigen, aus dem Leben gegriffenen Szenen nicht. Wenn es in den englischen Behörden bzw. System wirklich so läuft, dann sollten wir Deutschland wohl nicht weiter Bürokratie-Vorreiter nennen & fast etwas glücklich sein. Plus die aufgezeigten, schockierenden Zustände dokumentieren einmal mehr, wie wichtig eine stabile Arbeitslage für ein Land ist & lässt es vielleicht etwas besser nachvollziehen, warum ein Brexit als letzte Hoffnung für den Umschwung gesehen wurde. Dave Johns spielt den gebeutelten Kämpfer & Humanist, den sympathischen Mann aus einer anderen Zeit, wirklich perfekt. Es hätte keine bessere Besetzung geben können, egal ob er stumm protestiert oder gegen die Tücken der digitalisierten Welt kämpft. Und auch die Chemie zu Hayley Squires, die ebenfalls eine der besten schauspielerischen Leistungen des Jahres von der Insel abliefert, macht einen Großteil der tiefen Verbindung zu den Charakteren aus. Näher kam man nachvollziehbaren, traurigen & realistischen Personen im Filmjahr 2016 selten. 

Audiovisuell bleibt der Film mehr als unspektakulär, eher eine graue Maus, doch seinen Punkt macht er glasklar. Selbst wenn das Ende schnell zu erahnen ist & er die Sache vielleicht etwas zu subjektiv & übertrieben darstellt. Trotzdem ist es ein deprimierender Extremfall, den man keinem gönnt. So netten, normalen Leuten wie diesen erst recht nicht. Der Wahnsinn des Verwaltungsapparats in der Bürokratiestarre über uns, wird zuerst witzig, dann schnell aufregend, ätzend & unfassbar aufgezeigt. Man hat nicht auf einzelne Personen Hass, sondern fast auf ein ganzes, festgefahrenes System in einer Sackgasse. Eine Sackgasse die Menschenleben zerstören kann. Und es könnte doch alles so einfach sein... so zumindest die Auffassung des Films & seiner Macher. Ein stummer, etwas untergegangen Held des Filmjahres 2016. "I, Daniel Blake" ist einer der stärksten Filme, die dieses Jahr von der Insel herüberkamen & ein Aufschrei was die Situation dort drüben betrifft. Und Deutschland ist ganz ehrlich gar nicht so weit entfernt davon. Traurig aber frustrierend wahr. Am Ende war ich auf Grund der etwas aufdringlichen Predigt zwar nicht ganz so angetan, verstört & traurig wie erwartet, hatte jedoch trotzdem ein mulmiges, betroffenes Gefühl in der Magengegend. 

Fazit: ein Gutmensch wie er sein sollte. Er ist das Volk. Im besten Falle. Und doch auf verlorenem Posten. Genug Politik... Ken Loach ist zurück & stark wie lange nicht - zutiefst menschlich, nachvollziehbar & klar Stellung beziehend. Erschütternder Alltag. Bitte jeder mal an die eigene Nase fassen.

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