Inhalt:
Mit der Kurzfilm-Anthologie ‚Applecart‘ eint Filmemacher Dustin Wayde Mills seine in 2014 und 2015 entstandenen Shortstories ‚Die Übernachtung‘, ‚Die Betreuung‘, ‚Vater‘ und ‚Lass mich Dir etwas zeigen‘. Darin erzählt er Geschichten von Lust und Laster, von Begierde und Enttäuschung, von Liebe und Tod.
Kommentar:
Die vier viertelstündigen Beiträge dürfen als experimenteller Kunstfilm verstanden werden; als Hommage ans Stummfilmkino des frühen 20. Jahrhunderts. Alle vier Shorties sind in Schwarzweiß gehalten, dialogfrei und leicht expressionistisch angehaucht, mit unterhaltsamer Klimpermusik unterlegt, teilweise ist diese so unterhaltsam ausgefallen dass sie dem Gezeigten fast schon sarkastisch entgegentritt, da es mitunter recht fies und moralisch als auch ethisch verwerflich zugeht.
Während Episode I noch ausschließlich sexuell orientiert ist und sich mit interfamiliärer Lüsternheit beschäftigt, ehe sie ihr böses Ende nimmt, beschäftigt sich Episode II mit der Hilflosigkeit eines alten Mannes, der von seiner Betreuerin gedemütigt und sexuell vorgeführt wird. Episode III handelt von der Vater-/Tochter- Beziehung in einem strenggläubigen Haushalt, sodass die ungewollte Schwangerschaft der Tochter in gleich mehreren Akten der Grausamkeit mündet. Episode IV erzählt schließlich von Fabrikarbeitern, die sich zu einer Kollegin hingezogen fühlen. Während der Eine mit seinen Avancen bei ihr abblitzt, entführt der andere sie kurzerhand um sie zu missbrauchen.
Alle Episoden beschäftigen sich eingehend und explizit mit Sex und Masturbation. Es wird gebumst, gefummelt und onaniert was das Zeug hält. Pornografisch wird ‚Applecart‘ allerdings nicht, auch wenn man hier und da ein erigiertes Glied sieht und sich der Zwangsläufigkeit von Busen und Schambehaarung sowieso nicht entziehen kann. Es geht eben in allen Episoden um Triebbefriedigung, um sexuelle Ablehnung oder Zuneigung, um Voyeurismus, Inzest und Eifersucht. Es geht um Dominanz, Unterwerfung, häusliche Gewalt und Mord. Denn Sex ist nicht alles, unter der Oberfläche brodelt es gewaltig, dort geht es um Erwartung, Enttäuschung, Ausnutzung, Liebe, Hass und Kummer. Die Achterbahn der Gefühle wird hier komplett durchgerattert.
Sexualisierte Schauwerte hin, brodelnde Theatralik her, am Ende münden alle vier Beiträge in einem schematischen Raster, das mit den Scheitelpunkten Begierde, Befriedigung und Erlösung eine explizite Rezeption ihrerselbst bezieht. Ideengeber Mills arbeitet nämlich bei allen Episoden mit derselben Schablone und auch wenn die Hintergründe variieren, so erfahren sie wenig Vielfalt in Ihrer Ausgestaltung. Die Episoden ähneln sich stark und wenn die Ideen auch gut sind, in Form dieser Anthologie verkümmern die Ansätze von gesellschaftlicher Anonymität und der Kraft der Gesten, weil Abrundung, Abwechslung, Signal- und Sogwirkung auf Dauer fehlen.
Für sich betrachtet ist jede Episode, nicht zuletzt durch die kurze Laufzeit von nicht einmal fünfzehn Minuten, kurzweilig, exzentrisch, sexy und gleichwohl boshaft. Mills verfolgt neue Ansätze der Gestaltungskunst und das gelingt ihm feudal. Für Fans des abstrakten Kinos und des guten Theaters ein echter Geheimtipp.
Fazit:
Sexy, boshaft und eigenwillig, so geht intelligentes Bühnenkino.