GEFANGENE DER TIEFE
Ich empfehle sehr, sich den nächsten Absatz zu überspringen, da er die komplette Handlung des Films durchkaut, der nebenbei sehr empfehlenswert ist, und seine Stärke vor allem aus der Tatsache bezieht, daß man am Anfang überhaupt nicht weiß, was los ist.
Die Handlung spielt zu 95% in einem mehr oder weniger spießig eingerichteten Haus, zwei Männer spielen Billiard, nach und nach werden noch ihre beiden Frauen und ein etwa 20-jähriges Stiefkind vorgestellt. Man trinkt, ißt, feiert und schläft ab und zu zusammen und wir fragen uns schnell, was das alles soll, ob man es hier mit einem spanischen Ableger vom "Dencer Clan" zu tun hat, ob man am Ende nicht sofort ausschalten soll. Aber genauso schnell merkt man auch, daß irgendetwas nicht stimmt. Der eine der beiden Männer ist tablettenabhängig, eine der Frauen schläft den ganzen Tag und läßt sich fast nie blicken, das adoptierte Kind hängt den ganzen Tag vor einem Funkgerät, welches meist nur seltsame Geräusche ausspuckt. Dazu nehmen die Spannungen in der Gemeinschaft stark zu, man fragt sich, warum die Leute überhaupt noch zusammen rumhängen, warum geht nicht mal einer vor die Tür, frische Luft schnappen? Etwa in der Mitte des Films präsentiert man uns dann die Lösung: Weil es keine frische Luft mehr gibt! Die Erde ist nach einem weltweiten Atomkrieg zerstört und vor allem vollkommen verseucht. Wir befinden uns in einem hübsch eingerichteten Bunker mit Sauerstoff-Filteranlage. Doch die vermeintliche Sicherheit kann nicht darüber hinwegtäuschen, daß der Mensch ein soziales Wesen ist und also Anschluß an andere und Austausch benötigt um zu überleben. Und so liegen die Nerven der Gefangenen bald blank. Der Tablettenabhängige stirbt, man verdächtigt den Stiefsohn, weil dieser kurz zuvor eine Affäre mit der Frau des Verstorbenen gehabt und also ein Motiv hatte. Nach der Beerdigung dreht er durch und bricht aus, fährt mit dem Fahrstuhl an die Oberfläche. Und wundert sich: Alles scheint in Ordnung. Die Straßen, die Häuser, die Supermärkte -- alles wie von früher gewohnt. Nur das keine Menschen mehr da sind. Die Lösung wird er bald finden: Radioaktive Strahlung hat sie alle hinweggerafft und auch er soll schon bald den gleichen Weg gehen. Im Bunker spitzt sich unterdessen die Situation zu: Die Nahrung wird knapp, man greift auf die "zufällig" gestorbene Katze zurück und der übriggebliebene Mann, der Bunkerbesitzer offenbart sein faschistoides Denken und Handeln, dem bald auch noch seine Frau zum Opfer fallen soll...
Mit das Brillianteste des Films ist für mich der Anfang: Wir sehen das New York der 70er Jahre, zeitgenössische E-Gitarrenmusik dazu, und denken uns nichts dabei. Das ist selbstverständlich, das ist bekannt, jeder hat sofort seine Assoziatsionsketten parat, wir denken uns weiter zum Broadway, zu den Wolkenkratzern, zum Central Park usw. usf.. Mit diesem Hintergrund in unseren Köpfen blendet der Film erst um in das "Haus" -- das kann man nicht besser machen!
WAS für ein Film! Eindeutig inspiriert von Sartres Vorzeige-Drama "Bei geschlossenen Türen" (1954 verfilmt), in dem die Hölle "die Anderen" sind, wo sich drei Menschen, eingeschlossen in ein Hotelzimmer, langsam und bösartig gegeseitig psychisch zu Tode foltern. Genau wie in Sartres Drama erfährt man auch in "Gefangene der Tiefe" erst allmählich, WO man sich eigentlich befindet (bei Sartre ist es die Hölle) und das der schlimmste Feind nicht von Außen kommt sondern die Menschen selber sind.
Regisseur Jose Ulloa hat mit diesem Film ein von der ersten bis zur letzten Minute packendes Psycho-Kammerspiel mit perfekter Atmosphäre geschaffen, das sich trotz seines geringen Budgets nicht vor Großproduktionen zu verstecken braucht. Hier stimmt einfach alles: Schauspieler, Kamera, Schnitt und dazu die großartige Idee, Brahms' finstere erste Symphonie einzubauen und z.B hinter die Szene zu montieren, als der Stiefsohn verzweifelt durch die total verseuchte Stadt rennt und langsam verbrennt -- schlichtweg genial!
Fazit: Erstklassiger Endzeitfilm, neben "Stalker" und "Briefe eines Toten" DER Genrebeitrag! Brilliant!
10 von 10 Punkten