Eine Nation im Ausnahmezustand
Technisch kann man Ang Lees "Billy Lynns Long Halftime Walk" auf eine Stufe mit "Avatar" stellen - das ist keine Übertreibung, das ist die Wahrheit. So scharf, so flüssig, so hyperrealistisch war ein Film bzw. seine Optik schlicht noch nie. Ein visuelles Experiment, das leider in kaum Kinos in seiner idealen Version lief - entweder die Zukunft oder ein beeindruckendes Unikum. So oder so sehenswert, allein schon um sich seine eigene Meinung zum HFR-Spektakel zu machen. Doch egal wie krass, teuer & anders ein Film ist, ausschaut oder gemacht wurde - das Wichtigste bleibt seine Geschichte. Ist hinter all der ultrascharfen Technik, die ihre eigene Kritik verdient hätte, also auch ein guter Film? Ich sage ziemlich eindeutig: ja! Denn ein Ang Lee nimmt nicht nur technisch den Mund proppe voll, er weiß meistens auch wie man abliefert. Egal ob Plot, Charakter oder Optik, egal ob "Der Eissturm", "Tiger & Dragon" oder "Life of Pi" - dem Mann vertraue ich blind. Ohne Frage eines der absoluten Schwergewichte auf dem Regiestuhl, der sich hier extrem viel aufschultert & mehrfach ins kalte Wasser springt.
Krieg, Amerikas Ambivalenz & Wahnsinn, Show, posttraumatische Störungen von Soldaten oder einer ganzen Nation - alles keine neuen Themen. Doch in "Billy Lynns Long Halftime Walk" wirkt das alles noch unmittelbarer, purer, feiner. Als ob man mittendrin wäre. Es wirkt nicht mehr wie ein klassischer Film. Mauern werden eingerissen. Durch die innovative Technik, doch ebenso durch Lees Art Bilder, Szenen & Charaktere aufzubauen. Definitiv schade, dass dieser ungewöhnliche Kriegsfilm schneller aus den deutschen Kinos verschwand, als man den sperrigen Titel aussprechen konnte. Sicher in keiner Beziehung ein einfacher Film, erst recht nicht für das Land der unbegrenzten Möglichkeiten. Bei weitem kein perfekter Film. Und trotzdem ein wichtiger Film, den man sich nicht entgehen lassen sollte. Erst recht nicht, wenn man nur minimal technikaffin ist. Sei es Soap-Opera- oder Doku-Look, Ultra HD oder perfektes 3D, sei es zu realistisch oder stagy - Billy Lynn ist eine Augenweide & ein Must See schon allein auf Grund seines bisher unerreichten Looks & der massiven Immersion, die jedoch auch jeden Fehler in Sachen Schärfe, Bildaufbau, Kulissen, Schminke oder Schauspielerei offenbart.
Lee setzt hier mit recht trockenem, aber etwas zu bravem Humor, den Irakkrieg einer jungen Gruppe Soldaten deren Rückkehrsfeier in einem Footballstadion entgegen. Manchmal wirkt der Film etwas plakativ & ungeschickt, zu auf die Nase &, im Gegensatz zu seiner zukunftsweisenden Technik, etwas mut- & zahnlos. Und dennoch war ich die meiste Zeit gebannt & angetan. Die Darsteller fallen nur selten der neuen Technik zum Opfer & spielen aufopferungsvoll - allen voran der namensgebende Protagonist. Die prunkvolle Party daheim beißt sich einfach so sehr mit der staubigen & blutigen Realität in Kriegsgebieten, dass man schmunzeln & mitfühlen muss. Erzählerisch & qualitativ keinesfalls gleichwertig zu seiner Technik, als reines Technik-Experiment würde ich ihn jedoch auch nicht beschreiben. Wer die verstörenden Nachwirkungen des Krieges auf Zelluloid mag, kommt diesen hier so nah wie noch nie. Der seltsame Genütszustand & die konträre Einstellung der USA werden hier ebenfalls interessant getackelt. Nur zu gerne würde ich jedoch einen richtig guten Film in dieser neuen Technologie sehen - denn das hier kann nur die Aufwärmrunde gewesen sein.
Fazit: Ang Lee ist einer der mutigsten Visionäre unserer Zeit. Hinter der optischen Brillanz & Revolution steckt ein gefühlvolles Porträt eines mutigen jungen Mannes, einer zwiespältigen Nation, eines fragwürdigen Lebensstils. Mehr als nur das Technikwunderwerk - selbst wenn einem die 4K-Blu-ray den Atem raubt!