kurz angerissen*
Mag Peter Bergs Rekonstruktion der Ereignisse beim Bostoner Marathonlauf 2013 technisch auch einwandfrei umgesetzt sein mit seinen elegant geflochtenen Nebenplots, drei Jahre nach den Geschehnissen kann die Verarbeitung noch nicht weit genug fortgeschritten sein, als dass man sinnvolle Rückschlüsse aus ihr ziehen könnte. Das lässt den klug neu betitelten „Boston“, im Herkunftsland als „Patriots Day“ mit pathosgetränkter Doppeldeutigkeit belegt, bereits in der Anlage ein Stück weit unnötig dastehen. Es hinterlässt ein unangenehmes Gefühl, wenn bekannte Schauspieler wie Kevin Bacon, John Goodman oder eben Mark Wahlberg auf eine Set-Replika des Straßenchaos blicken, das viele Zeugen noch tief in den Knochen stecken haben dürften. Und im Gegensatz zum ähnlich zeitnahen „Deepwater Horizon“ nicht nur die, denn „Boston“ war nicht einfach eine auf menschlichem Versagen basierende Katastrophe, sondern ein bewusst herbeigeführter Anschlag und als solcher Teil des Weltgeschehens.
Diskutabel (aber auch typisch amerikanisch) sicherlich, einen fiktiven Charakter zum perspektivischen Dreh- und Angelpunkt zu machen, insbesondere, da es sich wieder um einen gutherzigen Familienmenschen mit einem Beruf handelt, der für Recht, Ordnung, Sicherheit und einen großen Dienst an der Bevölkerung steht. Seriöser wäre es wohl gewesen, eine dokumentarische Perspektive einzunehmen, was selbstverständlich die Erfolgschancen der Produktion an der Kinokasse geschmälert hätte; denn Helden braucht das Land.
Dafür, dass ein intrinsischer Blickwinkel eingenommen wird, bleibt die Inszenierung allerdings über weite Strecken bemerkenswert nüchtern. Unterschwellig ist zwar eine Neigung zur Gut-und-Böse-Kategorisierung zu spüren, wirklich ausgespielt wird sie aber nie. Der zwei Stunden lange Film ist zunächst daran interessiert, anhand unterschiedlicher Charaktere ein repräsentatives Bild der Stadt in den Stunden vor der Explosion zu zeichnen, doch er wählt seine Subplots nicht zufällig aus, sondern möchte die kollektive Wirkung aufzeigen, mit der das Leben der unterschiedlichsten Menschen für immer verändert wird. Der Knall erfolgt sehr abrupt, noch bevor alle Subplots schlüssig miteinander verzahnt sind. Schließlich verwandelt sich „Boston“ in einen Kriminalthriller, der die modernen Mittel polizeilicher Ermittlungen fast wie eine Warnung präsentiert. Die Schneisen des reinen Unterhaltungsfilms, der einem Peter Berg schließlich nicht ganz unbekannt ist, werden durch die realistisch anmutende Anatomie der Abläufe in den folgenden 80 Stunden gerade noch vermieden.
Eine sauber angefertigte Nachbetrachtung des Bostoner Anschlags aus zeitgenössischer Perspektive also, die einen Kompromiss zwischen Neutralität und emotionaler Teilnahme zu finden versucht und ihn so kurze Zeit danach kaum finden kann. Leider zu prominent besetzt, als dass man den Hollywood-Schleier darüber ignorieren könnte.
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