Yorgos Lanthimos, der Chirurg des Schicksals
Der renommierte Herzchirurg Steven Murphy (Colin Farrell) trifft sich nach der Arbeit regelmässig mit einem Teenager namens Martin (Barry Keoghan), schenkt ihm eine teure Uhr und gibt ihm Ratschläge fürs Leben. Weshalb das? Steven wird von Schuldgefühlen geplagt, da Martins Vater bei einer seiner Operationen ums Leben kam. Nach und nach geht Steven auf Distanz zu Martin – schliesslich kann er sich nicht ewig um ihn kümmern. Das findet Martin gar nicht nett. Und stellt seinem Ersatzvater ein schockierendes Ultimatum. Plötzlich muss Steven um das Wohlergehen seiner Familie bangen.
The Killing of a Sacred Deer ist eine Tour de Force, die den Zuschauer sprachlos zurück lässt – ob er das Gesehene mag oder nicht. Der Regisseur Yorgos Lanthimos (The Lobster) treibt hier seinen kühnen Stil auf die Spitze. Er setzt uns gleichermassen grossartige wie grosskotzige Bilder vor. Bis ins Letzte durchkomponiert sind sie, glatt und spektakulär. Lanthimos geht selbst mit der Präzision und Nüchternheit eines Chirurgen zu Werke. Die Figuren in diesem ungewöhnlichen Racheepos wirken wie Puppen, Spielbälle des Schicksals. Die Schauspieler rezitieren ihre Zeilen so hölzern, als wären sie nur Requisiten in Lanthimos’ Schauermärchen. Der Kontrast zwischen groteskem Plot und seelenlosem Schauspiel entlockt einem manchmal ein schockiertes Keuchen, manchmal ein nervöses Kichern.
Dieser Film verhätschelt sein Publikum nicht. Das wird schon bei der Eingangsszene deutlich, die uns ein pochendes Herz während der Operation zeigt. Die Frage ist: Geht Lanthimos’ Versuchsanordnung auf? Unterm Strich ja. The Killing of a Sacred Deer will die Maschinerie des Schicksals offenlegen und uns vor Augen führen, dass wir manchmal nichts, rein gar nichts am Lauf des Lebens ändern können. Diese Erkenntnis ist frustrierend, entsprechend ist es auch der Film. Martin selbst ist die bewusst nervige, sperrige Personifikation des Schicksals. Am liebsten würde man ihm gehörig die Fresse polieren – aber letztlich müssen wir wie Steven Murphy seufzend einsehen, dass das nichts bringt. Als würde einem jemand mit der Nadel in den Nacken piksen – so fühlt sich der Film an. Und zwei Stunden lang können wir uns nicht dagegen wehren. (Es sei denn, wir entscheiden uns dafür, den Kinosaal zu verlassen. Soll vorkommen.)
Ganz geht Lanthimos’ Vision dann doch nicht auf. Die Bilder sind überladen, hoffnungslos verkrampft in der grosse Geste. Es ist, als hielte der Regisseur eine Tafel in die Höhe, auf der steht: »Achtung, das ist Kunst!« Da ist selbst Lars von Trier (Antichrist) zurückhaltender. Irgendwann geht einem dieses Arthouse-Spektakel dann doch auf den Zeiger. Der penetrant atonale Soundtrack etwa nutzt sich schnell ab. Und wenn Martin irgendwann erklärt, dass seine Handlungen ach-so-symbolisch seien, haben wir den Gipfel der prätentiösen Meta-Ebene erreicht. Das Ende ist in dieser Hinsicht besonders gestelzt. Subtilität sieht anders aus.
Letztlich ist Lanthimos nicht so geistreich, wie er es gerne wäre. Und doch, als kunstvoller Psychohorror kann The Killing of a Sacred Deer durchaus überzeugen. Der Film ist ein Erlebnis, das aufschrecken lässt. Virtuos spielt er mit den Konventionen des Rachethrillers. Er vermag es immer wieder, uns auf dem falschen Fuss zu erwischen. Auch moralische Fragen unterläuft er herzlos, lässt uns am Ende alleine da stehen. Ein konsequent origineller Streifen, emotional spröde und visuell so glatt wie Seide. Die schnittige Fassade führt allerdings oft in die Irre. Hinter ihr steckt nicht so viel, wie Lanthimos uns glauben machen will.
7/10