kurz angerissen*
Der nächste große Schritt Richtung internationaler Anerkennung ist vollzogen. Für sein US-Debüt verbiegt sich Yorgos Lanthimos (noch) nicht, es handelt sich erneut um eine rätselhafte Schlüsselbox voller chiffrierter Dialoge. "Killing Of A Sacred Deer" ist ein weiteres kunstvoll geschnitztes Unikat, wie man sie bereits in seinen früheren Werken serviert bekam. Die theriomorphen, das Tier im Menschen behandelnden Ansätze seiner letzten Arbeit "The Lobster" übertragen sich in gewisser Weise auf eine Anklage gegen die "Götter in Weiß", deren hochpräzise Operationsinstrumente im Angesicht unerklärlicher Phänomene zu den hilflosen Schaufelbaggern eines Hummers degradiert werden. Es ist also wieder, so auch der Bezug zu "Dogtooth", der Gottkomplex des Menschen, dem in der gewohnt unterkühlten Dialogregie des Griechen eine Demontage bevorsteht.
Passend dazu bilden die Schatten der Fenster Kruzifixe an der Wand, so wie überhaupt jedes Szenenbild mit derselben religiösen Symbolik durchzogen ist, die auch dem Titel anhaftet. Am anderen Ende der Skala wartet jedoch bereits das Primitive, Instinktgetriebene. Nicht ganz ohne Humor integriert Lanthimos eine Szene, in Hauptdarsteller Colin Farrell dem neugierigen Schützling seine Brust- und Achselbehaarung präsentiert. In den Gesprächen des Chirurgen mit seinem Umfeld geht es darüber hinaus hauptsächlich um Banalitäten. Kartoffelpüree beispielsweise, das zum Symbol für die Entfremdung in der Ehe wird, oder die Erörterung der Vorteile einer Uhr mit Metall- statt Lederarmband. Dabei sind in diesen Dialogen viele Verweise auf die Hauptthematik verborgen. Wenn die Uhr für Präzision steht und das Metall für Beständigkeit, so werden die Vorlieben des Sprechenden zu Symptomen dessen, was er ideologisch verkörpert: Zuverlässigkeit, Expertise und absolute Kontrolle.
Als Lanthimos seiner Hauptfigur jene Kontrolle mit einem Paukenschlag entzieht, gleicht der Effekt einem unerwarteten Schlag in die Magengrube. Bewusst trennt der Regisseur Bildinhalte von seinem unruhigen, bisweilen regelrecht paranoiden Soundtrack. Lange, ruhige, übersichtliche Einstellungen werden gezeigt, doch konterkariert werden sie mit schrillen Streicher-Einsätzen, die bisweilen auch die emotionslosen Dialoge übertünchen.
An Farrell lässt sich anschaulich demonstrieren, weshalb so viele Regisseure aus dem Indie-Umfeld einen Vorteil darin sehen, mehrfach mit den gleichen Darstellern zu arbeiten, denn den bärtigen Mann mit Göttermaske, dessen Leben durch einen Jungen plötzlich aus den Fugen gerät, könnte man kaum nuancierter anlegen. Nicole Kidman fügt sich mit schrillem Blick und operiert wirkenden Gesichtskonturen nahtlos in das Ensemble ein. Und Barry Keoghan weiß genau, warum er die Bedrohung, die von seiner Figur ausgeht, aus einem Quell von Unschuld nährt. Beinahe fremdgesteuert agiert er und erschafft so einen wahrhaft beängstigenden Charakter mit leicht autistischen Zügen, der nicht einfach im Begriff ist, eine Familie zu zerstören, sondern das gesellschaftliche Trugbild einer perfekten Familie, die zu Viert ihren Vorzeigetraum lebt.
Für das große Hollywood zeigt Lanthimos, im Gegensatz etwa zu seinem Kollegen Denis Villeneuve, vielleicht noch zu wenig Allrounderfähigkeiten, weil er zum wiederholten Mal einfach einen Film über dysfunktionale Kommunikation dreht, den man unmöglich einem speziellen Genre zuordnen kann. Innerhalb dieser speziellen Disziplin ist er aber inzwischen zum Meister gereift und sollten die großen Studios noch einmal eine Produktion ohne einstürzende Hochhäuser und mit mehr als zwei Seiten Dialogtext planen, wäre dieser Mann sicher zu großen Taten in der Lage.
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