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Der große Krieg ist mit dem desaströsen Untergang des „tausendjährigen Nazi-Reiches“ zu Ende gegangen. Anschließend ist in Ostdeutschland das unheilvolle Regime weitergeführt worden. Die Fahne hatte halt jetzt andere Farben, an den Mützen war jetzt ein anderes Logo. Westdeutschland hat nach dem Krieg eine gut funktionierende Demokratie aufgebaut, angeleitet und gestützt vor allem durch die USA.

Nach Trümmerbeseitigung und Wiederaufbau hat das von Bundeskanzler Ludwig Erhard verwirklichte „Wirtschaftswunder“ für Wohlstand, Frieden und Gemeinsinn gesorgt. Das hat gut funktioniert. Die deutsche Industrie hatte sogar zu wenig Arbeitskräfte, um die weltweite Nachfrage nach Produkten „Made in Germany“ zu erfüllen.

Die Bundesregierung ging deshalb auf Werbetour in den südeuropäischen Staaten. Italien, Portugal, Spanien, Türkei, Jugoslawien und Griechenland hatten zu dieser Zeit relativ viele Geringbeschäftigte. Hunderttausende folgten dem Ruf nach Deutschland, verdienten dort gutes Geld. Und: Diese Leute halfen engagiert mit bei der weiteren sehr positiven gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Entwicklung Deutschlands. Nach Jahren gingen einige wieder zurück in ihre Heimatländer. Die meisten blieben hier, fanden sich in der Gesellschaft gut zurecht und sind gute Deutsche geworden.

In den folgenden Jahrzehnten verlangsamte sich der wirtschaftliche Aufwärtstrend. Die Arbeitslosenzahlen stiegen an. Viele Deutsche hatten und haben keine Beschäftigung, oder sind unter ihren Möglichkeiten beschäftigt. Und siehe da: Plötzlich kommt es langsam aber sicher wieder hoch, das Ungute aus dem „Dritten Reich“. Kollegen, Freunde und Nachbarn, deren Eltern nach Deutschland einwanderten, sind nicht mehr so richtig willkommen. „Die nehmen uns die Arbeitsplätze weg... die sollen nach Hause gehen... wir müssen die durchfüttern..! Solches und Ähnliches ist in den Gassen und an den Stammtischen ziemlich laut und deutlich zu hören.

Aufkeimender Nationalismus mit Haß auf Ausländer, Haß auf Andersdenkende, Haß auf anders Aussehende, Haß auf anders Glaubende... Das hatten wir in Deutschland schon zur Genüge. Nach den Erfahrungen des letzten Jahrhunderts müßte meinen, daß sich die entsetzlichen Folgen solchen Irrsinns ins deutsche Volksgehirn eingebrannt hätten.

Das Gegenteil ist der Fall. Mit jeder Generation schwindet die Erinnerung an die schreckliche Zeit des nationalistischen und sozialistischen Terrorstaates. Selbst einst gutbürgerlich geprägte politische Parteien brüsten sich mit einer Neupositionierung „mitte-rechts“, was immer das heißen mag. Eine äußerst befremdliche Konsequenz daraus ist, daß Deutschtümelei und Ausländerhass plötzlich wieder zum guten Ton gehören. Wer da nicht mitmacht wird gemobbt und gestalkt, soll heißen: politisch verfolgt! Und wie immer rasten hirnlose Extremisten zuerst aus. Wie früher zu Zeiten der RAF beschäftigt man sich nun wieder mit Molotov-Cocktails, chemischen Keulen und bastelt Sprengkörper. Vor allem in den entsprechenden Vierteln mancher Städte, mit hohen Anteilen an anderen Ethnies, ist man mittlerweile seines Lebens nicht mehr sicher.

In einem solchen Umfeld spielt der Film „Aus dem Nichts“. Eine deutsche Familie führt ein gutes und glückliches Leben, hat ein schönes Zuhause. Er ist beratender Unternehmer mit einem kleinen Büro im Stadtzentrum. Seine Frau Katja führt den Haushalt und kümmert sich um den kleinen Sohn. Beide hatten auch schwierige Zeiten, aber jetzt läuft alles gut. Das Söhnchen bleibt ab und zu bei seinem Vater im Büro, wenn Katja etwas zu erledigen hat. An einem solchen Tag besucht Katja mit einer Freundin ein Spa, beide verbringen dort ein paar angenehme Stunden. Anschließend fährt sie zum Büro ihres Mannes, um den Sohn abzuholen. Ein paar Blocks vorher ist eine Straßensperre, Polizei und Feuerwehr sind vor Ort. Sie steigt aus dem Auto, und fragt nach was passiert ist. Es gab eine heftige Explosion. Die furchtbare Wahrheit: Vor dem Haus, in dem ihr Mann sein Büro hat, explodierte eine Bombe. Ihr Mann und ihr Söhnchen sind beide bei dem Bombenanschlag ums Leben gekommen.

Die Kriminalpolizei vermutet von Anfang an Täter aus dem extremen nationalistischen Umfeld. Die Ermittlungen bestätigen das. Es war eine aus handelsüblichen Bestandteilen selbst gebastelte ferngezündete Bombe. Nach professioneller und akribischer Arbeit werden relativ schnell eine Frau und ein Mann festgenommen. Die Beweislast ist erdrückend, selbst der Vater des einen Bombenlegers bestätigt, daß der Sprengkörper in dessen Werkstatt gebaut worden ist.

Katja, jetzt Witwe und trauernde Mutter, ist verständlicherweise mit den Nerven am Ende. Die Täter werden angeklagt, es kommt zu einer für Katja sehr belastenden Gerichtsverhandlung. An einem der Verhandlungstage erfolgt eine schonungslose Schilderung der Tat und deren Folgen durch eine Spezialistin der Kripo. Die als Nebenklägerin anwesende Katja greift daraufhin wutentbrannt die weibliche Täterin an. Damit beginnt für die eh schon leidgeprüfte Frau eine weit schlimmere Zeit. Weitere Informationen zum Film sollte man vorher vermeiden, damit dessen Botschaft richtig wirken kann.

Diane Kruger in der Rolle der Katja prägt diesen Film durchgehend. Ihre Interpretation dieses Charakters wirkt erschreckend intensiv, man muß sie in dieser Rolle gesehen haben. Mit viel Charisma dominiert Sie diesen Film von Anfang an, bis zum sehr bemerkenswerten Schluß. Die wirklich ergreifende Darstellung von Schmerz und Trauer, perfekt inszeniert. Und ich habe großen Respekt vor dieser schönen Frau, vor ihrem Mut zur Hässlichkeit und Ungepflegtheit, die die Darstellung dieses Charakters phasenweise mit sich bringt. Faszinierend ist: Sie ist in der Lage, eine vollkommen gegensätzliche Persönlichkeit darzustellen, als z.B. bei „Sehnsüchtig“ oder „Troja“ oder „Inglourious Basterds“. Das ist hohe Schauspielkunst, wozu nur wenige Andere in der Lage sind.

Mit im Team sind hochkarätige Akteure aus der deutschen Filmszene. Beeindrucken können vor allem auch Ulrich Tukur, Denis Moschitto und Johannes Krisch, in den Rollen der beiden Rechtsanwälte und als Vater der Täterin. Fatih Akin hat diesen Film realisiert und Regie geführt. Behutsam und mit viel Fingerspitzengefühl für das brisante Thema ist ein sehr realitätsnahes Werk entstanden, das in seiner Art außergewöhnlich ist. Der Film erzählt eine fesselnde Geschichte, die mit perfekter Regiearbeit, erstklassiger Kameraführung und hoch motivierten Schauspielern vorzüglich inszeniert und umgesetzt worden ist.

Filmfans mit Sinn für anspruchsvolles und professionell gemachtes deutschen Kino müssen „Aus dem Nichts“ gesehen haben. Natürlich werden Einige die Besorgnis erregenden Inhalte als realitätsfern und überzeichnet beschreiben. Jenen sei empfohlen, sich persönlich an Ort und Stelle in den entsprechenden Problemzonen einiger deutschen Großstädte zu informieren. Und das möglichst zu den jeweils kritischen Tages- und Wochenphasen.

Unvoreingenommene und klar Denkende werden schnell erkennen: Eine Prise provokatives Verhalten oder ein falsches Wort, und man nimmt den alltäglichen „heimlichen“ Bürgerkrieg mit ins eigene Wohnzimmer.

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