Ang Lee, ein Meister der Offenlegung menschlicher Gefühlswelten, nimmt sich in "The Ice Storm" der gutbürgerlichen Mittelklassefamilie der 70er Jahre an. Eine Geschichte einer sich selbst entfremdeten Familie und gleichzeitig ein analytisches Portrait einer moralisch ins Wanken geratenen Dekade. Eine scheinbar aufgeklärte, selbstsichere Gesellschaft die ihre egozentrische Maske fallen lässt und dabei Unsicherheit und ein starkes Bedürfnis nach Liebe und Wärme offenbart. Eine Zeit in der angesichts politischer Skandale und des Vietnamkrieges, die Gesellschaft mit moralischer Ratlosigkeit reagiert und sich in die zwischenmenschliche Distanz flüchtet.
Die Geschichte handelt von der Familie Hood und ihrer Verflechtung zu der Familie Carver. Vater Ben (Kevin Kline) betrügt seit längerer Zeit seine Ehefrau mit der resoluten Janey Carver (Sigourney Weaver) und versucht noch am stärksten den Schein einer intakten Familie aufrecht zu erhalten. Mutter Elena (Joan Allen) ist innerlich verschlossen sehnt sich ihrer Jugend und verhält sich angesichts ihres betrügerischen Mannes, verschlossen und unnahbar. In der Tochter (Christina Ricci) erwacht neben der Sexualität ein politisches Bewusstsein, das sie recht flapsig in einfachen Provokationen ihrer Familie gegenüber ausdrückt. Letztlich ist da der halbwüchsige Sohn Paul (Tobey Maguire), der sich in seine Studienkollegin (Katie Holmes) verliebt hat und seine Eltern nur noch bei den alljährlich Festtagen sieht.
Vereiste Schienen über die knirschend ein tonnenschwerer Zug rollt, Eiswürfel die zersplitternd aus dem Behälter gebrochen werden, vom Eis umschlossene, konservierte und fragile Schönheiten wie Blumen und Knospen. Die Metaphern des Filmes sind eindeutig und spiegeln Ton und Atmosphäre wieder. Unter den Menschen herrscht ein Klima, das sich aus Nüchternheit, Gefühlskälte und distanzierendem Sarkasmus definiert. Eine Gesellschaft die progressiv und scheinbar aufgeklärt, in egozentrischer Verschlossenheit verharrt. Unfähig geworden sich mitzuteilen, sich in ihrer Mittelklasse-Tristesse langweilend und nach Abenteuern lechzend. Vater Ben flüchtet sich in sexuelle Abenteuer mit der dominanten Janey. Deren rein sexuelle Beziehung versprüht kein bisschen Wärme oder Geborgenheit sondern wird als fast pragmatischer Akt durchgezogen. Jeder emotionale Kontakt wird vor allem von Janey abgeblockt um die scheinbare Anonymität und Ungebundenheit großteils zu wahren. Die Tochter Wendy erforscht mit naiver wie aggressiver Neugier ihre Sexualität und geht mit dem mäßig interessierten Nachbarsjungen Mickey Carver (Elijah Wood) eine Partnerschaft ein, die mehr als Spiel- und Experimentierwiese dient. Die offenen, geradezu freimütigen Welten der Kinder sind fast ein Kontrast zu der verschlossenen, eisigen Welt der Erwachsenen. Noch unfähig ihre Gefühle unter Kontrolle zu bekommen bzw. sie zu verschließen sind Wendy und der älteste Sohn Paul die einzigen, die ihr Wärme- und Harmoniebedürfnis in ihren Taten am offensten artikulieren. Deutlich wird dieses Unverhältnis wenn sich am Ende die Erwachsenen peinlich pubertären Gesellschaftsspielen hingeben, während als einzige Wendy mit dem kleinen Bruder von Mickey zu ehrlichen und tatsächlich warmen Gefühlsbezeugungen fähig sind. Insgesamt scheinen die Kinder hier die tatsächlich aufrichtigeren zu sein. So schafft sich z.B. auch die Mutter Elena, ihrer Jugend nachtrauernd, durch kindische, nervenkitzelnde Ladensiebstähle zumindest kurzzeitig Befreiung aus der engen und verlogenen Beziehung zu ihrem Ehemann und ihrer Umwelt. Unter der dicken Eisschicht aller Beteiligten brodelt es.
Letzten Endes läuft alles auf eine schicksalsträchtige Nacht hinaus. Die tiefgefrorenen, starren Gefühle brechen heraus. Elena stellt angesichts der fortwährenden Demütigungen und dem peinlichen Aufeinandertreffen mit Janey Carver ihren Mann und zwingt ihm zu einer Entscheidung und Offenlegung seiner Gefühle. Paul hat angesichts einer verlockenden Nähe zu seiner insgeheimen Liebe eine schwerwiegende Entscheidung zu treffen und Wendy findet einen Ausdruck für ihre überbordenden Gefühle. Doch einer aus diesen familiären Verstrickungen wird diese Nacht nicht überleben und zwingt damit seine Mitmenschen, ihre Prioritäten neu zu Ordnen. Es ist ein tragisches, schockierendes und aufwühlendes Ende, das aber gleichzeitig einen Ton- und Gefühlswechsel zu den bisherigen Ereignissen darstellt. Dieses Ereignis zwingt die Beteiligten sich ihren Gefühlen zu stellen, metaphorisch gesprochen erfolgt auf die Tragödie ein Auftauen der vereisten, starren Gefühle. Eruptiv brechen am Ende die Emotionen ungehindert heraus, die Gefühlswelt aller Beteiligten ist tiefgehend verändert worden. Ein Ende das trotz aller Tragik und Beklemmung als ein positives, wenn auch zu teuer erkauftes, zu verstehen ist.
Ang Lee ist wahrlich ein Meisterwerk gelungen. Mit unaufdringlichen Mitteln und poetischen Bildern erschuf er eine komplexe Auseinandersetzung mit einer Generation bzw. einer ganzen Gesellschaft. Dabei funktioniert "The Ice Storm" universell und niemals herablassend als Charakterstudie. Auch bei den schauspielerischen Leistungen weiß man nicht wem man das größere Können zuschreiben soll. Kevin Kline, Joan Allen, Sigourney Weaver und nicht zu letzt Christina Ricci spielen dermaßen authentisch, nahegehend und lassen zutiefst nachvollziehbare, wenn nicht gar entlarvende Gefühle bei einem entstehen. Eine wahre Meisterleistung von allen Beteiligten. Auch technisch bzw. inszenatorisch gibt es hier nicht das geringste auszusetzen. Die thematisierte Kühle wird fast spürbar durch die dezente Kameraführung, die treffenden, symbolischen Bilder und von der höchst atmosphärischen musikalischen Untermalung eingefangen. "The Ice Storm" ist ein Film der interpretiert, verstanden und tatsächlich gefühlt werden muss, ein wahres Meisterwerk eben.