Review

Bevor ich ein paar Zeilen über Briefe eines Toten verliere, ein Wort der Warnung! Mein Text beinhaltet Spoiler. Das kann und will ich nicht ändern, und wer den Film kennt, versteht das vielleicht. Das Bedürfnis, nicht nur, aber auch, über das Ende zu schreiben.

Doch zuerst: der Anfang. Ein dunkler, karg eingerichteter Raum. Eine nackte, von der Decke baumelnde Glühbirne spendet Licht, aber viel zu wenig, um das fensterlose Zimmer adäquat auszuleuchten. An der Wand schläft auf einer notdürftig errichteten Bettstatt eine Frau, ein ernst blickender Mann sitzt wachend daneben, beobachtet sie mit starrem Blick. Die Frau ist krank, davon zeugen die Utensilien auf dem Nachttischchen: eine Spritze, ein Wattebausch, Medikamente, Tabletten. Es ist eine Art Bunker im Keller eines Museums, wie sich bald herausstellt, in dem eine kleine Gruppe Menschen Zuflucht gefunden hat. Mit einem Mann in Schutzkleidung und Gasmaske, der wenig später den Bunker verläßt, erhaschen auch wir Zuseher erste Blicke auf die Außenwelt. Oder das, was noch davon übrig ist. Es ist kein schöner Anblick. Wohin man auch schaut: zerstörte Gebäude, verbrannte Erde, trostloses Ödland. Einst eine blühende Wohngegend mit Kindergeschrei und Vogelgezwitscher, nun eine verseuchte, leichenübersäte Trümmerwüste. Es würde eine gespenstische Totenstille herrschen, wenn nicht der Wind unablässig durch die Ruinen pfeifen würde.

So beginnt Konstantin Lopushanskiys Briefe eines Toten, ein deprimierender Blick auf das Leben und Sterben in Rußland nach einem atomaren Vernichtungsschlag. Lopushanskiys dritter Spielfilm ist ein erschütternder Gegenentwurf zu den launigen Post-Nuke-Abenteuer-Spektakeln, die Anfang der Achtziger die große Katastrophe als Vorwand nutzten, um eine coole Action- und Gewalt-Show abzuziehen. Einen Max Rockatansky findet man hier jedoch ebenso wenig wie einen Rush oder einen Stryker. Kein starker Held weit und breit, der den Menschen einen Weg aus der Misere zeigt. Vielleicht, weil es keinen Weg mehr aus der Misere gibt. In der Nähe befindet sich zwar ein großer Zentralbunker, doch dort wird nur starken, gesunden, kräftigen Menschen Zutritt gewährt. Der Professor (Rolan Bykov), obwohl nicht mehr der Jüngste, hätte eventuell eine Chance, dort unterzukommen, seine dahinsiechende, strahlenkranke Frau allerdings nicht. Und so bleibt er bei ihr, unter dem zerstörten Museum, und bringt seine Gedanken in Form von Briefen an seinen (höchstwahrscheinlich) toten Sohn zu Papier.

Außerdem kümmert er sich um eine kleine Schar von Waisenkindern, denen der Schock die Sprache genommen hat und die meist teilnahmslos an der Wand sitzen und ins Leere starren. Ob es für die Kleinen noch ein Fünkchen Hoffnung gibt, dieser Hölle zu entfliehen? Der Professor ist davon überzeugt, und so haucht er ihnen kurz vor seinem Tod ein aufforderndes "Go" zu. "Go while you have the strength. For while a man is on his way, there is still hope for him." Und die Kinder... sie folgen seinem Rat. Eingehüllt in Schutzkleidung, mit klobigen Gasmasken über ihren kleinen, schmalen Gesichtern, verlassen sie den Schutzraum und machen sich auf den Weg. Eine kleine Karawane, die mutig durch das windgepeitschte, verseuchte Land stapft. Raus aus der Hölle, in eine ungewisse Zukunft. Vielleicht wird es besser. Schlimmer jedenfalls kann es nicht werden. Mit diesen Bildern beendet der 1947 geborene Regisseur, der sein Handwerk u. a. bei Tarkovsky (Stalker) gelernt hat, seinen Film. Ob die Kinder elendig zugrunde gehen oder tatsächlich irgendwo ein neues Zuhause finden, bleibt offen. Und weckt Hoffnung, so minimal sie auch ist.

Keine Frage, Briefe eines Toten ist eine ungemein erschütternde, deprimierende Utopie, die in ihrer Intensität beinahe an Isao Takahatas unendlich traurigen, zwei Jahre später entstandenen Hotaru no haka (Die letzten Glühwürmchen) heranreicht, nicht zuletzt, weil Lopushanskiys visueller Kniff, das Geschehen in schaurig-schöne Sepia-Töne zu hüllen, die allgegenwärtige Tristesse nur noch verstärkt. Manche Bilder brennen sich förmlich ins Gehirn. Der Besuch einer Krankenstation, gefüllt mit verstrahlten, verbrannten, schreienden Kindern. Stumme Bastelarbeiten fürs Weihnachtsfest. Die Mitfahrt auf einem Zug voller Leichen. Oder die grandiosen, unvergeßlichen Schlußbilder. Briefe eines Toten ist keine leichte Kost. Der auf jeglichen Pathos verzichtende Film liegt lange Zeit schwer im Magen und läßt sich nur ganz, ganz langsam verdauen. Manche Meisterwerke schmerzen eben. Briefe eines Toten ist eines davon.

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