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DAS ENDE VON ETWAS

"Love, Liza" - mit diesen Worten endet der Abschiedsbrief, den Wilson (Philip Seymour Hoffman) nach dem Selbstmord seiner Frau unter seinem Kopfkissen findet. Doch bis zum Ende des Films wird er diesen Brief nicht gelesen haben, vielmehr erzählt der Film gerade den langen, schwierigen Weg zur inneren Bereitschaft, sich dem in Worten zur Endgültigkeit gebrachten Schicksal zu stellen.

Es geht hier nicht um die Gründe für den Selbstmord, sie bleiben für den Zuschauer unzugänglich im Inneren Wilsons verborgen. Und Wilson will weder sich selbst der Tragödie wirklich stellen, noch Anderen Zugang zu sich erlauben. Er umgeht wirkliche Auseinandersetzung durch Ersatzhandlungen, die die Üblichen Klischees bedienen: Blumen auf der Grabstätte (die aber umfallen), eine Auszeit im Urlaub (den er am Ort seiner Flitterwochen plantschend verbringt, während auch dort sein Cocktail im Strandsand umkippt), ein neues Hobby, Modellflugzeuge, die Freiheit verheißen, aber statt zur Passion zu werden reine Obsession bleiben. Seltsam, wie Wilson mitten unter Menschen, den Strandurlaubern und Modellfans, einsam, isoliert und nicht dazu gehörend bleibt.

Damit er selbst diese Diskrepanz nicht wahrnimmt, sich nicht der Tragödie seines Lebens stellen muss, betäubt er sich: zunehmend schnüffelt Wilson Benzin, verliert den Kontakt zu seiner Umwelt, verspielt die Hoffnungen, die seine Arbeit- und Auftraggeber in ihn setzen.

Wir erleben diesen selbstzerstörerischen Weg nah bei Wilson, seine Mitmenschen bleiben oberflächlich, vielleicht mit Ausnahme seiner Schwiegermutter (Kathy Bates), die ihre eigene Gechichte der Bewältigung hat, und Denny (Jack Kehler), der ein naives Interesse hat, dem Unglücklichen beizustehen. Obwohl die Kamera stets bei Hoffman ist, den Film völlig in dessen Hände legt, sich auf die Präsenz seiner stummen Mimik verlässt, erfahren wir nichts über die Beschaffenheit seines Leids. Wir lernen Liza nicht kennen, wir wissen nichts von der Art ihrer Beziehung oder möglichen Problemen, wir erleben nicht, was genau in Wilson vorgeht - können lediglich wiederum oberflächliche Klischees antizipieren, unpersönliche Gemeinplätze. Wir bleiben ebenso Outsider, wie es Wilson gegenüber dem offenbar völlig unverständlichen Selbstmord seiner Frau ist.

Das bedingt eine Unverbindlichkeit und Äußerlichkeit, die man dem Film übelnehmen kann. Das bewirkt aber auch viel Platz für die Gedankenwelt des Betrachters und erzeugt Spannung in dieser ruhig erzählten Studie einer Depression. Den Zugang zur Tiefe unter der Oberfläche ermöglicht Hoffmans ausgezeichnetes Spiel. Überwiegend stumm und wenn er spricht eher verloren Worthülsen benutzend, ohne wirklich Konversation zu betreiben, bleibt es seinem Gesichtsausdruck, seinem tränenschwangeren oder rauschbenebelten Blick, uns zu zeigen, wie sehr vom Leben bedroht diese Figur innerlich ist. Und das schafft Hoffman über die gesamte Länge des Films. Ein Schauspieler, der den gnadenlosen Blick der Kamera erträgt ohne sich hinter dramatischen Effekten verstecken zu müssen.

Wohin der Weg Wilson letztlich führt und was genau der Brief letztlich bei ihm bewirkt, bleibt offen. Die Hauptbewegung des Films ist zweifelsohne die der (Selbst-) Zerstörung. Allerdings mag hier gelten, dass ein Ende auch ein Anfang ist, aus Zerstörtem Neues geschaffen werden kann. Auch hier ist der Zuschauer gefragt. Der Film erzählt einen langen Abschied, doch wohin der Zurückgelassene am Ende geht, sagt er uns nicht. Gewiss ist jedoch, dass da ein Schritt stattfindet und endlich etwas beendet ist, ausgelöscht, verabschiedet ist. Und dass Lizas Brief ihm ein Werkzeug zur Selbstbefreiung schenkt, so dass diese Liebe im Rückblick trotz aller Vagheit umso größer erscheint, als uns Wilsons Betroffenheit ohnehin schon zeigte.

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